Zwisschen Latz und Leder...

■ paßt 'ne Menge rein, zumal man es guten Gründen an wachsamen Augen vorbeischmuggeln muß

...paßt 'ne ganze Menge 'rein, zumal man es guten Gründen an wachsamen Augen vorbeischmuggeln muß.

Von Anfang und Ende einer Karriere als Ladendieb berichtet ein LANGFINGER

N

un, offenbar gibt es unter den LadendiebInnen drei Gruppen. Da sind einmal diejenigen, die zwar klauen, aber schon im zarten Alter von 12, 15 oder 18 Jahren lieber die Finger vom begehrten Gut lassen. Sie mögen zunächst dem Reiz von Kinderspielzeug oder Süßigkeiten erlegen sein, finden aber spätestens durch den fortgesetzten Sozialkunde-Unterricht an der Schule wieder zum eigentumsrechten Weg zurück. Dann gibt es solche, die entweder ihr ganzes Leben lang stehlen oder jedenfalls erst als Endzwanziger diese Form der individuellen Aneignung einstellen, weil sie dann schlichtweg genügend Geld verdienen, um sich das Risiko zu ersparen und die Karriere nicht durch eine Strafanzeige zu vermiesen. Und dann sind da noch die Spätzünder, bei denen es erst eines Anlasses bedarf, der zeigt, wie lohnend der Ladendiebstahl ist.

Ich bekenne: Ich gehöre zur dritten Gruppe. Meine Karriere als Ladendieb hat erst mit 25 Jahren begonnen, Anfang der Achziger war das, und sie war nach ein paar Jahren auch schon wieder zu Ende. Aber nicht aus beruflichen Gründen — zu einer Karriere hat es in all den Jahren nicht gereicht. Erwischt worden bin ich nie, nur beinahe; Ladendetektive haben mich nicht beeindruckt, weil meine Klautechniken schließlich recht ausgefeilt waren. Und auch das Trauma eines Gerichtsprozesses ist an mir vorbeigegangen — so hat also auch die Repressionsseite nicht dazu geführt, mit dem Abzocken aufzuhören. Vielleicht wurde das Klauen manchmal langweilig, aber saturiert war ich nie. Allerdings stand die Steigerung des Handwerks, nämlich Einbruchdiebstahl, auch nicht zur Debatte. Bewußt davon Abstand genommen habe ich nicht — Brüche sind mir schlichtweg nie eingefallen.

Wie alles anfing? Nun, mit den Hausbesetzungen des Jahres 1981, mit Tuwat, Anti-Haig-Demo und der Räumung am Winterfeldtplatz. In Berlin waren die Haare schon kurz und die Jacken aus autonom schwarzem Leder, während die kampfbereite Verstärkung aus den VW-Bussen, die an den Wochenenden auf den Transitstrecken nach Berlin kamen, noch überwiegend alternativ, also langhaarig und mit Latzhosen, angetan war. Meine war hellblau; ironisch besprachen wir auf der Anreise die planmäßige Umsetzung unserer „kriminellen Energie“.

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mstände, die hier nicht näher erläutert werden sollen, sorgten so innerhalb weniger Monate für die Erosion meines bis dahin durchaus vorhandenen „Rechtsbewußtseins“. In unseren Diskussionen machten wir uns übrigens erst gar nicht die Mühe, solche Begriffe in die revolutionäre Terminologie zu übersetzen — das war Arbeit für das Verfassen von Flugblättern zu Hause. Entschärft ließ sich die Eingangsmaxime mit Wer Häuser besetzt, klaut auch Bücher übersetzen.

Denn damit fing es tatsächlich an, und das hatte durchaus etwas mit meiner Latzhose zu tun. Das Vorhaben war genau geplant und die Kaufhauszeile in Steglitz schnell als Ort des Geschehens ausgesucht. Die Tasche im Latz hatte etwas mehr als Taschenbuchformat, und noch heute ist es erstaunlich, daß ich nicht gleich erwischt worden bin: Das Buch schnell reingesteckt und raus aus dem Laden, war das Erfolgsrezept. Bichsels Kindergeschichten waren es übrigens. Im zweiten Warenhaus, eine halbe Stunde später, waren es drei Taschenbücher, beim dritten, wiederum eine halbe Stunde später, schon fünf. Nach diesem durchschwitzten Nachmittag war kein Halten mehr. Ich entdeckte, wie viele verschiedene Taschen eine Kombination aus Latzhose und Parka haben kann, und wie viele Bücher, Lebensmittel, Kassetten, Elektroartikel und Klamotten dort hineinpassen können. Mit Politik, ich räume es gerne ein, hatte das alles nur in Ausnahmefällen zu tun.

Schnell waren die Techniken verfeinert und eine Infrastruktur auf die ganze BRD ausgedehnt — man kommt schließlich herum und entdeckte immer aufs neue, wo die Gelegenheiten günstig sind. Nur bei Horten in Münster wurden die Verkäuferinnen plötzlich ganz aufgeregt, als ich mit einem Teppich auf der Schulter die Rolltreppen herunter fuhr; wie im Film hatte ich übersehen, daß hinten das Preisschild herunterbaumelte. Bin aber, mit Teppich, noch weggekommen.

Hier sollen weder Prahlereien noch technische Tips oder gar Ermahnungen abgegeben werden. Dennoch sei angemerkt, daß für mich immer und ausnahmslos nur große Geschäfte in Betracht gekommen sind. Zum Klauen jedenfalls; zum Verkaufen mußten die Läden schon recht klein sein. Übrigens war das „Einklaufen“ in Steglitz nur zur Probe: Abgesehen hatte ich es eigentlich, demohalber noch, auf einen der schönen schwarzen Helme, die bei Karstadt am Hermannplatz — im Keller, am Durchgang zur U-Bahn — seinerzeit noch recht einfach erhältlich waren. Immer, wenn zu jener Zeit das Mitführen eine Helmes bei der Einreise nach Berlin untunlich war, wurde die Motorradabteilung von Karstadt besucht. Die hellblaue Latzhose wurde alsbald durch dunkles Tuch ersetzt (Hertie, Frankfurt), der Parka durch ein leichtes Blouson (Wertheim am Kudamm, wenn ich mich recht erinnere). Die Haare wurden auch viel kürzer, aber vor allem unter dem Gesichtspunkt, mir meine damals ausgeübte Erwerbstätigkeit nicht unnötig zu erschweren.

So ging das wohl vier Jahre lang, bis auch ich schließlich meine große Liebe fürs Leder entdeckte und die Schlabberklamotten verstieß. Besorgt waren sie schnell (Bielefeld und Berlin), ganz enganliegende Hosen und eine schnelle Jacke. Über Wochen mochte ich sie gar nicht mehr ausziehen, obwohl gerade die Hose mich in meiner Bewegungsfähigkeit arg einschränkte. Trotzdem habe ich gerne in Kauf genommen, mal eine Zeitlang nichts einzustecken. Nur, nach drei Monaten etwa, als wegen einer Reparatur mal wieder die Jeans dranwaren — da mochte ich einfach nicht mehr klauen. Zack, wie nach einer Entzugstherapie, nur unbewußt, sozusagen von einem Moment auf den anderen. Und selbst als die über Jahre aufgehäuften Rücklagen verbraucht waren (das war übrigens glücklicherweise noch vor dem Börsencrash von Ende 1987 und nicht danach, wie manche meiner Freunde bösartig behaupten), selbst als ich mich also wieder meinem gelernten Beruf zuwandte, kam die Lust auf die Kombination aus Reiz, Routine und Reichtum nicht wieder zustande, die ich vorher so sehr genossen hatte.

Das Klauen der Lederklamotten hat bei mir zum Ende allen Klauens geführt. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Und was Psychologen dazu meinen, interessiert mich nicht.