er letzte K Konsumtango

Wer das höchste Stadium spätkapitalistischer Produktsättigung erreicht zu haben glaubt, muß sich auf der Erfindermesse eines Besseren belehren lassen: Es gibt kein Bedürfnis, was der marktwirtschaftliche Geist nicht zu befriedigen mag. Und wenn kein Bedürfnis da ist, wird es geschaffen.

RÜDIGER KIND schaute sich in der unbekannten Warenwelt um.

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eine neue Flugwanne ist fertig zur Jungfernfahrt. Sie sieht vielleicht nicht nach viel aus, aber was zählt, ist das, was sie unter der Brause hat.“ Daniel Düsentriebs lakonische Beschreibung seiner Verkehrs- und Hygienewesen gleichermaßen revolutionierenden Erfindung könnte als Motto über der ersten gesamtdeutschen Erfindermesse gestanden haben, die vom 19. bis 24. November im erzgebirgischen Kurort Seiffen stattfand. Die Multifunktionalität der Produkte stand dort im Vordergrund, prätentiöser Designer-Schnickschnack war bei der von ostdeutschen Erfindern dominierten Leistungsschau nicht gefragt.

Wie vierzigjährige Mangelwirtschaft die Menschen der ehemaligen DDR zu Erfindungsreichtum und Improvisationskunst erzogen hat, konnten sie nun einer erstaunten gesamtdeutschen Öffentlichkeit demonstrieren. Das Erzgebirge ist ja schon von alters her eine Heimstatt deutscher Fingerfertigkeit, seine Erzeugnisse vor allem auf dem Gebiet der Weihnachtsfigurenschnitzerei dürften auch so manchem Westbürger in werter Erinnerung sein. Doch nicht um die traditionsreiche Feierabendkunst des erzgebirgischen Bergmannes — Räuchermännchen, Spanbäume oder Nußknacker — ging es bei der Messe, sondern um technisch-wissenschaftliche Innovationen von Profi-Erfindern und Heimwerkern, deren heute manchmal noch visionär anmutenden Entwürfe, vielleicht morgen schon zur Produktionsreife entwickelt, uns übermorgen mannigfaltige Erleichterung im täglichen Leben gewähren werden.

Wer nun glaubte, das höchste Stadium spätkapitalistischer Produktsättigung schon erreicht zu haben und schon alles zu besitzen, was das metropole Leben zwischen Busineß-Brunch und Weißweinfraktionssitzungen angenehm macht, der mußte sich von den Einfällen geballten deutschen Erfindungsgeistes eines besseren belehren lassen. Sicher, die funkgesteuerte Uhr ist für Boss-Köppe und andere Zeit- Geistler ein ebenso alter Hut wie die musikalische Radioklobrille mit integrierter Intimdusche, aber was im Kurort Seiffen geboten wurde, könnte auch dem Lifestyle der Pippies — so das aus dem Amerikanischen kommende Kürzel für die „postindustrial personalities“ der Neunziger — den letzten Schliff geben.

Was heute gefragt ist, ist nicht technischer Fortschritt um seiner selbst willen, sondern ein feinabgestimmtes Instrumentarium zur Verbesserung des Regelkreises Mensch-Umwelt. Unser gemarterter Planet braucht Visionen, große Würfe, ethische Konzepte — und ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis bei Autotelefonattrappen.

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ier einige der Entwürfe, die deutsche Pfiffikusse sich haben einfallen lassen, um den Pippie zum letzten Tango zu rüsten: Mit dem programmierbaren Programmdecoder mit gekoppeltem Sendersuchlauf sucht sich das angeschlossene Radio oder TV-Gerät automatisch den Sender, der das gewünschte Lied, die einprogrammierte Stilrichtung (zum Beispiel Melodien zum Träumen oder Ratespiele) ausstrahlt. Das lästige Kurbeln bzw. „zapping“ entfällt, und der Decoder kann im Ausblendmodus auch zur Unterdrückung unerwünschter Werbespots und Politikerstatements verwendet werden. Keiner der bisherigen Anrufbeantworter verdiente diese Bezeichnung wirklich, es handelte sich ja um reine Anrufaufnahmegeräte. Der Erfinder Walter Erlich aus Buxtehude stellte nun aber einen echten Beantworter vor, der bis zu 120 Echtstimmenantworten speichern kann und mit Hilfe eines extrem leistungsfähigen Dialogmoduls dem Anrufenden die jeweils passende Auskunft erteilt. Telekommunikation ist die Boom-Branche der Neunziger — doch die Hersteller von Autotelefonattrappen müssen sich demnächst etwas einfallen lassen, dann nämlich, wenn die beheizbaren Modelle von Karl Sims auf den Markt kommen. Vor allem im Winter kann man damit viel behaglicher angeben — und sie beheben den lästigen Schwachpunkt der Attrappen der ersten Generation: Was tun, wenn die/der zu Beeindruckende auf dem Beifahrer- und Mithörersitz sitzt und sich über den merkwürdig stummen Gesprächspartner wundert? Für diesen Fall gibt es jetzt die Attrappe mit eingebautem Kassettengerät sowie Spezial-Tapes mit dem Halbdialog des imaginären Gesprächspartners und Sprechpausen für den eigenen Sermon. Da kann man die jeweils effektvollste Dialogführung schon vorher einstudieren.

Attrappen sind in der Lage, auch andere Lücken zu füllen: Für Innenstadtbewohner stellte Wolf Kurtz die aufblasbare Autoattrappe vor, mit der sich bequem ein Parkplatz vor der Haustür freihalten läßt. Wer selbst einparken will, zieht einfach den Stöpsel raus, verstaut das zusammengeschrumpfte Gummiauto im Kofferraum und parkt ein. Die lästige Parkplatzsuche gehört mit diesem praktischen Helfer endgültig der Vergangenheit an.

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um Thema Zentralismus beim Wagenabsperren hat sich ein Tüftler aus der Ex-DDR etwas einfallen lassen. Verständlich, daß im Osten nach 40 Jahren zentralistisch-bürokratischer SED- Herrschaft eine tiefsitzende Abneigung gegen die im Westen immer populärer werdende Zentralverriegelung besteht. Jetzt gibt es endlich einen Nachrüstsatz für die Individualverriegelung mit Touch-System.

Wer dennoch lieber mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt, steht in fremden Städten oft ratlos vor den Fahrkartenautomaten und versucht verzweifelt, die richtige Tarifzone zu entschlüsseln. Damit ist nun Schluß — mit dem Tarifzonen-Dechiffrier- Steckmodul läßt sich eine der schwierigsten soziokulturellen Leistungen unseres Zeitalters kinderleicht bewältigen.

Wie Professor Schalck-Golodkowski vom Lehrstuhl für angewandte Valutaschiebung an der Universität Rottach-Egern in der Eröffnungsrede zur Messe betonte, kann nur eine gesunde, mittelständisch strukturierte Wirtschaft zum leistungsfähigen Partner der Erfinder in einem von Aufbruchstimmung geprägten neuen Deutschland werden. Ein Lieblingskind des „Professors“, wie der Senkrechtstarter von seinen Landsleuten fast ehrfürchtig genannt wird, ist die Entwicklung funktionärsfähiger Polit-Wandler, mit denen pluralistisches Toleranzgebaren selbst in eisenarmierte SED-Betonköpfe gepowert werden kann. Zwei Modelle wurden auf der Messe vorgestellt. Modell Edmund: Mit diesem einfach zu bedienenden und wartungsfreien „Zerstoiber“ ist die Umwandlung vom internationalistischen Rotsocken zum deutschnationalen Parlament-Arier ein Kinderspiel. Besonders zu empfehlen für Politiker der gedächtnisschwachen Jahrgänge. Modell Helmut: Ein CD(U)-Player für Liebhaber christdemokratischer Rhetorikleckerbissen von Adenauer bis Kohl. Auf diesem Sympathietonträger sind alle CDU-Redebeiträge aus vier Jahrzehnten Bundestag gespeichert und können mühelos angesteuert und abgetastet werden. Der Lesekopf ist mit dem beigelegten 2-Phrasen-Reiniger leicht zu reinigen. Das ideale Weihnachtsgeschenk für alle Zeit-Genossen, deren SED-Zeit abgelaufen und die sich nun aus beruflichen Gründen näher mit christdemokratischem Gedankengut vertraut machen müssen.

Für all diejenigen aber, die sich angesichts der zu erwartenden Entwicklung in den neuen Bundesländern lieber gleich einsargen lassen wollen, hat Erwin Plonz aus Wittenberg, ein fluchtmobilerfahrener Bastler der alten Schule, in Anlehnung an Daniel Düsentriebs kühne Konstruktion einen Multifunktions-Flugsarg gebaut, dessen Alltagstauglichkeit zur Zeit noch an den Felshängen der Sächsischen Schweiz erprobt wird. Das extrem aerodynamisch gestaltete Modell mit dem phantastischen Gruftwiderstand von 0,03 gW erlaubt einen herrlichen Panoramablick beim letzten Höhenflug und paßt nach dem sicheren Absturz garantiert in jede Grube.