Der Tag, an dem das Meer starb

■ Auch über ein Jahr nach der folgenschweren Havarie der "Exxon Valdez" ist Alaska noch traumatisiert

Auch über ein Jahr nach der folgenschweren Havarie der „Exxon Valdez“ ist Alaska noch traumatisiert

VONHENKRAIJERUNDGUNDASCHWANTJE

Alaska im Jahr „danach“. Die „neue“ Realität des Prince William Sound wirkt bestechend. 1989 von vielen noch für tot erklärt, als am Karfreitag nach der Havarie der „Exxon Valdez“ die Küsten und Strände der Region in tiefes Schwarz getränkt, Zehntausende Vögel und Meeressäuger in Form von stinkenden, fädenziehenden Lumpen und Dreck aus dem Wasser gezogen wurden, bietet die Meeresenge heute wieder das Bild, das gemeinhin den Mythos des nördlichsten Bundesstaates der USA begründet: das der unberührten „wilderness“. Was sich uns in den Juli-Tagen des vergangenen Jahres als mittlerer Kriegsschauplatz für eine nicht geringe Schar von Exxon-Söldnern präsentierte, gleicht heute wieder jenem abgelegenen Refugium, das vor dem Öl-GAU der Tierwelt vorbehalten war. Wären da nicht die schmierig-schwarzblau getönten Wasserpfützen auf dem Strand von Sleepy Bay, wäre da nicht der matte Glanz auf den im Vorjahr noch kandisschwarzen Steinen, als seien sie mit Domestos behandelt, und wäre schließlich nicht die Erinnerung an die vor ohnmächtiger Wut heulenden Fischer von Homer, Seward und Valdez, fast könnte man meinen, alles sei nur ein Alptraum gewesen.

Doch wir sind unterwegs mit Karsten Rodvick, Mediamanager der Exxon-Corporation in Anchorage. Wie schon im vergangenen September wird der Konzern, der 1989 über zwei Milliarden Dollar für die Wiederherstellung seiner weißen Weste hinblätterte, in wenigen Tagen die Säuberungsarbeiten im Sund und im Golf von Alaska einstellen. Und um zu dokumentieren, daß sich der Einsatz gelohnt hat, zeigen uns Rodvick und sein Pilot heute die Fortschritte, die die Natur seither gemacht hat. „,Mother nature‘ hat wohl den wesentlichen Teil der Reinigungsarbeiten geleistet“, räumt der smarte Exxon-Mann ein. „Sleepy Bay allerdings ist einer unserer ,trouble spots‘, hier haben die Winterstürme nicht ihre gewohnte Kraft entfaltet. Da müssen wir eben noch ein wenig nachhelfen.“ Anders als im Vorjahr sehen wir aber weder Kriegsschiffe noch Hubschrauber, weder hydraulische Kräne noch Tausende von Fischerbooten. Auch fehlen die über 10.000 Clean-up-Workers, die 1989 mit Bürsten, Feudeln und Heißwasserschläuchen dem überlebenden Teil der Tierwelt den Garaus machten — Exxons Clean-up-Choreographie 1990 ist subtiler.

Mit Kunstdünger gegen die Ölpest

Bioremediation heißt das Zauberwort. Auf Smith Island, nur wenige Hubschrauberminuten weiter östlich, gehen zwei Frauen und sechs Männer auf und ab und streuen unablässig kleine gelbe Körner über die ölverklebten Steine. „Inipol“, ein chemisches Düngemittel, über dessen mögliche Gefahren für die maritime Nahrungskette sich Wissenschaftler und Säuberungstechnokraten auch im September 1990 noch nicht einig sind, soll nach jüngsten Erkenntnissen ölfressende Bakterien stimulieren, ihren täglichen Verzehr um ein Dreifaches zu erhöhen. Nicht ohne Stolz wendet Rodvick Stein um Stein und zeigt auf die kleinen Lebewesen, Würmer und Schnecken, die sich trotz der öligschwarzen Oberfläche wieder angesiedelt haben. „Mit dieser Methode können wir in Zukunft jede Krise meistern. Überzeugt euch selbst! Sieht das hier aus wie ein toter Sund?“ Überzeugt sind wir zunächst nur davon, daß der Sund im Jahr nach der Ölpest zum wissenschaftlichen Testgebiet umfunktioniert wurde — war doch der Einsatz von „Inipol“, wenn auch bislang nicht verboten, denn doch mit strengen Auflagen verknüpft.

Ann Rothe von der National Wildlife Federation in Anchorage ist berufsbedingt kritisch. „Die Ölindustrie redet immer nur davon, wie sie mit selbstverursachten Katastrophen fertigwerden kann. Statt Prävention holt sie bei Bedarf zum Gegenschlag aus: flexible response. Dabei drohen uns weit größere Gefahren. Eine Ausrüstung, die für eine schnelle Reaktion auf Unfälle im rauhen Cook Inlet oder bei künftigen Projekten in der eisigen Bristol Bay notwendig würde, existiert nicht mal im Ansatz.“ Ann Rothe gehört zu den „greenies“, den Umweltschützern. Und die haben in den USA nicht gerade einen leichten Stand. Erst vor wenigen Tagen fand sich die engagierte Biologin anläßlich einer Fernsehdiskussion mit Ölindustriellen plötzlich in der Rolle des Sündenbocks der Nation wieder. Es ging wieder mal um die noch schlummernden Ölreserven im Arctic National Wildlife Refuge, einem einzigartigen Ökosystem nördlich der Brooks Range, wo heute noch Karibouherden, Wölfe, Grizzly- und Eisbären vom Menschen unbehelligt streunen. Die Kuwait-Krise ist es, die den Multis neuerdings Auftrieb gibt für ihr ehrgeiziges Projekt, das nach dem „spill“, der Ölpest im Prince William Sound, kaum noch durchsetzbar schien. „Diese Nadelstreifen machten uns vor laufenden Kameras für den möglichen Tod unserer Jungs im arabischen Wüstensand verantwortlich. Amerika braucht seinen inneren Feind, früher waren es die Kommunisten, heute sind wir es“, seufzt die Umweltschützerin.

So mancher ging leer aus

Die Hypothek der folgenreichen Havarie der „Exxon Valdez“, die heute, mit doppeltem Boden ausgestattet, unter dem Namen „Exxon Mediterranian“ Öl durchs Mittelmeer schippert, lastet schwer auf Alaska. Nach der anfänglichen Euphorie über Exxons großangelegte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme merken die Menschen am Sund heute, wie die locker verdienten „big bucks“, die 16,69 Dollar pro Stunde, die Exxon letztes Jahr zahlte, das Leben in ihren Städtchen durcheinandergebracht haben. Nicht alle Fischer kamen so wie Jeff und Dick Lindström, die Besitzer des 20 Meter langen Heilbutt- und Krebstrawlers „Dominion“ aus Kodiak, in den Genuß der Exxon-Apanagen. „Viereinhalb Monate haben wir damals vor Chiniak gedümpelt, weder Öl noch das klebrige Mousse gesehen“, sagt Jeff, der mit ölverschmiertem Overall auf der Brücke der „Dominion“ steht, „dafür aber jede Woche einen fetten Scheck kassiert.“

Einige jedoch blieben auf der Strecke. Nicht nur in Kodiak, auch in Homer, Seward, Cordova und Valdez trifft man heute die „Haves“ und die „Have-Nots“. „Spillionaires“ oder „Exxons Huren“ werden sie genannt, die Besitzer großer Trawler, denen der Ölgigant bis zu 4.000 Dollar am Tag hinblätterte, auf daß sie, statt Lachs oder Heilbutt einzufahren, ihre Boote für den Frühlingsputz im Sund bereitstellten. Denn ihren politischen Einfluß fürchtete der Multi am meisten, fahren sie doch pro Saison bis zu einer Million Dollar ein. Nicht wenige kleine Lachsfischer jedoch trieb der Verdienstausfall 1989 an den Rand des wirtschaftlichen Ruins, denn Exxons Kompensationen deckten in vielen Fällen die ganzjährigen Lebenshaltungskosten einer Familie nicht ab. Die diesjährige — in den Gewässern um Kodiak relativ schlechte — Saison hat so manchem dieser Fischer dann den Rest gegeben.

Exxon spielte Fischer gegeneinander aus

So wie die Strände im Prince William Sound bei flüchtiger Betrachtung wieder intakt sind, so scheinen auch die vielen Millionen Dollar, die Exxon für die Zweckentfremdung der Fischerboote und für Ausgleichszahlungen bis in die entlegensten Winkel Südwestalaskas brachte, die Bevölkerung nur oberflächlich befriedet zu haben. Zu frisch ist so manchem die Hinhalte- und Spaltungstaktik in Erinnerung, mit der der Konzern in den Monaten seiner pressewirksamen Kampagne den Betroffenen glauben machen wollte, nichts läge ihm mehr am Herzen als die Sorgen und Nöte der Fischer am Sund. Bob Brody, Bürgermeister von Kodiak, ist einer der „oiled mayors“, jener Gruppe von Stadtvätern im Sund, die frühzeitig erkannte, daß gegen einen Wirtschaftsgiganten wie Exxon nur der organisierte Zusammenschluß Erfolg bringt. „Die behandelten jeden einzelnen von uns wie einen ihrer Geschäftspartner. Mit jeder Stadt handelte Exxon einen separaten Vertrag aus. Auf diese Weise minimierte der Konzern ganz gezielt seine Kosten. Überhaupt sind doch die zwei Milliarden, mit denen die Öffentlichkeit gekauft wurde, ein Klacks im Vergleich zu dem, was schärfere gesetzliche Auflagen für den Transport von Rohöl an Kosten mit sich gebracht hätten.“

Wie jedes Desaster hatte die Wut über die Zerstörung ihrer Existenz die Kommunen zunächst zusammengeschweißt. Kollektiv und solidarisch hatten die Einheimischen auf die heranschwappende schwarze Pest reagiert. In dem Moment jedoch, als Exxon begann, seine Dollar individuell und ungleich über die Städtchen am Sund zu verströmen, war es aus mit der verschworenen Notgemeinschaft. „Diese Dollar haben einen nicht wiedergutzumachenden Schaden angerichtet“, berichtet Isa Wirz, Mitbesitzerin des 22 Fuß langen Lachskutters „Balika“. „Exxon hat uns damals unverhohlen gedroht, daß wir unsere Ausgleichszahlungen in Gefahr brächten, wenn wir nicht kuschten“, so die engagierte Mittdreißigerin. „Wir wollten, als das Öl auf Kodiak zufloß, die Sache selbst in die Hand nehmen. Schließlich sind wir es, die mit diesen Gewässern vertraut sind. Doch diese eingeflogenen, gutbezahlten Ölexperten hinderten uns daran, kommandierten uns herum, frustrierten uns in unserer Hilfsbereitschaft, obwohl sie doch gar keine Ahnung hatten von Strömungen, von Winden oder Gezeiten. Was für uns das totale Desaster bedeutete, war für die nur eine große Herausforderung.“

Die Umweltkatastrophe im Ölstaat Alaska war nötig für einen weiteren, bisher einmaligen Zusammenschluß in der Geschichte der Ölförderung: 15 Kommunen haben sich zum „Regional Citizen's Advisory Committee“ zusammengetan, das in Zukunft bei allen Projekten, die Ölindustrie betreffend, ein Wörtchen mitreden darf, sei es über Probebohrungen, Förderung, Transport oder deren Sicherheit. Das „non profit“-Unternehmen hat es geschafft, der Pipeline-Gesellschaft Alyeska einen langfristigen Vertrag abzuringen, der besagt, daß Alyeska dem Bürgerkomitee jederzeit den Zutritt zu den Ölterminals und den Tankern ermöglichen und für dessen konstruktive Kontrolle“ jährlich zwei Millionen Dollar gewähren muß — und zwar solange, wie die Trans- Alaska-Pipeline in Betrieb ist.

„Das Wasser ist für uns heilig“

Hart getroffen hat es auch die „indianischen Dörfer entlang des Pazifischen Rims. „Als uns die Kunde vom Öl erreichte, verfielen die Dorfbewohner in tiefe Resignation“, berichtet mit düsterer Miene Walter Meganack aus Akhiok im Süden von Kodiak Island. „Für uns Aleuten ist das Wasser heilig. Niemals in der jahrtausendealten Geschichte meines Volkes konnten die Menschen sich vorstellen, daß das Wasser sterben könnte. Aber es stimmte. Die Schnecken und die Muscheln fielen von den Steinen: tot. Wir fingen die ersten Lachse, sonst immer Anlaß für ein traditionelles Festmahl; diesmal wurde der Fang ins Labor nach Fairbanks geschickt.“ Keinen einzigen Fisch durften die Aleuten im vergangenen Jahr behalten. Von dem Schock hatten sie sich noch nicht erholt, da brach schon die nächste Katastrophe über sie herein: Exxon. „Exxon schickte Nahrungsmittel in Dosen, Exxon gab uns Geld, Exxon ließ uns für 16,69 Dollar an ihrem sinnlosen Treiben teilnehmen. Und wir wurden dabei von Leuten bevormundet, die nichts von unseren Gewässern verstehen, die lieber fragen sollten statt befehlen. Doch was sollten wir mit Geld, mit „fast food“? Jagen und Fischen ist unsere Lebensweise, unsere Tradition.“

Zwischenlandung auf Block Island. Auf einer Lagune hat Exxon seine private Zapfsäule installiert. Erwartungsvoll blickt uns Karsten Rodvick an. Fünf Stunden sind wir nun schon unterwegs, acht von insgesamt zehn Einsatzorten haben wir inspiziert, die „sauberen“ von den „problematischen“ Stränden unterscheiden gelernt. Fünf Hubschrauberstunden zu je 675 Dollar — exklusiv für uns. Welchen Eindruck wir denn nun hätten, will er natürlich wissen, der Exxon-Mann. Selbstbewußt steht er da in seinem Flugoverall mit dem Firmensignet, den auch wir für diesen Anlaß tragen. Ohne Zweifel, der Unterschied zum vergangenen Juli, als wir auf den Stränden von Knight Island durch eine klebrige Teerlandschaft wateten, ist gravierend. Und dennoch — zu ruhig ist es in den Buchten, in denen sonst Zehntausende Vögel nisten, zu ungewiß das Schicksal der im Jahr der Ölpest geschlüpften Silvers, Pinks, Reds und Kings, jener Lachse, auf die Alaskas zweitgrößter Wirtschaftszweig so sehr angewiesen ist. Zu offensichtlich erneut das Bemühen des Multis, sein angeschlagenes Image aufzupolieren. Zu traurig schließlich in unserer Erinnerung der apathische Ausdruck auf dem zerfurchten Gesicht des früh gealterten Aleuten auf der Landzunge von Akhiok. Der Mann, seit mehreren Jahren „trocken“, hatte sofort zur Flasche gegriffen, damals, am „Tag, an dem das Meer starb“.