Freuden und Leiden des Fußvolks

Die Sekundanten der Schachgiganten sind unbedingt notwendig, aber dennoch arg eingeschränkt: Die Großmeister gestatten ihnen nämlich keinen Sex, keinen Alkohol und keine Journalisten  ■ Aus Lyon Stefan Löffler

Größte Bedeutung für die beiden Kontrahenten um den Schachthon haben die Sekundanten: Schachmeister, die die königsindische Geheimwaffe bis ins Detail kennen oder spanische Fliegen erfinden, die die Sinne der gegnerischen Seite verwirren. Auch Sanitäter, Küchenchef und Fahrer sind dabei, wenn es um die Krone der Schachwelt geht (und natürlich um reichlich Geld).

„Wir waren noch Individualisten. Mir standen gerade zwei Trainer zur Seite“, vergleicht Ex-Weltmeister Boris Spasski seine eigenen Titelkämpfe vor 20 Jahren (1966-1972) mit den Schlachten der beiden K. „Heute werden die Wettkämpfe im Team bestritten.“ Je ein Dutzend Kampfgesellen beraten die feindlichen Brüder „Kaperow“. Beide vertrauen auf das gleiche Rezept: eine Handvoll Schachspezialisten und ein ausgeglichenes Umfeld.

Trotzdem erwischte es Karpow in der 17. Partie schlimm. Der 21. Zug des Titelverteidigers (acht Züge weiter, als zuvor bekannt war) zerstörte alle Vorbereitungen. Kasparow stand besser, und im Pressezentrum wurde dem Herausforderer empfohlen, „er müßte den dafür verantwortlichen Sekundanten ordentlich verprügeln.“

Daß sich der Zorn auf einen Sekundanten einmal öffentlich entlädt, ist freilich die Ausnahme. Als Kasparow mitten im WM-Match 1986 seinen Helfer Wladimirow feuerte, wurde verbreitet, der Internationale Meister habe die Vorbereitungen des Weltmeisters an Karpows Lager verraten. Eine wirkliche Aufklärung wurde nie betrieben, so daß nur eine Erklärung blieb: Nach drei Niederlagen in Folge brauchte Garri einen Schuldigen, um die Verantwortung von seinen Schultern zu nehmen.

Was sich in Lyon hinter den Türen von K. und K. abspielt, wird dem großen Publikum verborgen bleiben. Denn Großmeister Olivier Renet (Frankreich), der erst letzte Woche zu Karpows Team stieß, berichtet: „Keine Frauen, kein Alkohol und eben auch keine Journalisten.“

Veteran Alexej Suetin, der Tigran Petrossjan bei seinen drei WM- Kämpfen in den 60er Jahren half, berichtet: „Die Arbeit als Sekundant war viel härter, als selbst ein Turnier zu spielen. Gab es eine Hängepartie, waren wir bis zu 20 Stunden ununterbrochen am Tüfteln. Einmal, als wir Tigran unsere hart erarbeiteten Varianten zeigen wollten, stellte sich heraus, daß auch er in seinem Hotelzimmer statt zu schlafen die ganze Nacht hinduch allein analysiert hatte. Seine eigenen Ideen gefielen ihm besser, und unsere ganze Arbeit war umsonst.“ So versteht man Josif Dorfman, der sagt: „Ich bin nicht unglücklich, nicht mehr dabei zu sein.“ Ebenso wie Alexander Nikitin, der 16 Jahre lang mit Garri trainierte, schied er nach Differenzen mit dessen Mutter Klara aus dem Team.

Anatoli Karpow kümmert sich um fast alles selbst. Seit kurzem arbeitet er eng mit Ron Henley zusammen, einem US-Großmeister, der als Börsenmakler zu Geld gekommen ist. In Rons Aufgabenbereich fallen vor allem die Public Relations, er organisiert Pressekonferenzen, streut Informationen und Gerüchte. Um Kasparow mit seinen Fehlern zu konfrontieren, wurde etwa herumerzählt, daß der Weltmeister in der 3. Partie mit seinem Abgabezug alle Gewinnchancen vergeben habe. Die Absicht war, daß er noch Schweiß und Tränen an geschlagene Schlachten verschwende.

Mit dem Vertrauen in die Sekundanten ist die Hilfestellung für Kasparow und Karpow noch nicht erschlossen. Die menschlichen Helfer bekommen technische Konkurrenz. Die Hoffnung auf bessere Vermarktungschancen brachte einen 18.000 Mark teuren Computer ins Team des Herausforderers. Aber das Fidelity- Gerät, das Eröffnungs- und Hängepartieanalysen auf menschliche Überseher abklopfen soll, steht meist ungenutzt in der Ecke.

Aber je mehr Spielstärke die besten Schachprogramme entwickeln, je umfangreicher Partiedatenbanken werden und je weniger Hängepartien entstehen, wenn bei der nächsten WM erst nach 60 Zügen abgebrochen wird, desto weniger Zukunft hat die Sekundantenzunft.