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Inflation gebremst, Misere bleibt

Peru: Vier Monate nach Beginn des Schockprogramms des neuen Präsidenten Alberto Fujimori scheint die Inflation unter Kontrolle/ Wirtschaftswachstum aber noch weit entfernt/ Trotz sozialer Härten wird das Programm allgemein akzeptiert  ■ Aus Lima Ciro Krauthausen

Es gibt sie noch, die fliegenden Händler, die, mit einem Bündel Geldscheine und einem Taschenrechner wedelnd, in Lima am Straßenrand in Windeseile Dollars auf- und verkaufen. Doch es sind weniger geworden, seitdem am 8. August der peruanische Premier- und Wirtschaftsminister Juan Carlos Hurtado mit einem Paket von Maßnahmen zur Sanierung der peruanischen Wirtschaft Jahre der Hyperinflation fürs erste beendete. Vor dem Schockprogramm blieb den PeruanerInnen keine andere Alternative, als so schnell wie möglich ihre entwerteten Intis in grüne Scheine umzuwandeln — taten sie es nicht, war ihr Geld wegen der monatlich über 30 Prozent betragenden Inflation nach ein, zwei Wochen nur noch die Hälfte wert.

Lebensmittel um 300 Prozent teurer

Um der Hyperinflation (Preissteigerung von August 1989 bis August 1990: 12.377 Prozent) beizukommen, formulierte kurz nach Amtsantritt Präsident Alberto Fujimori wider alle seine Wahlversprechen eine Roßkur, die selbst im krisengeschüttelten Lateinamerika ihresgleichen sucht. Von einem Tag auf den anderen wurden alle staatlich kontrollierten Preise, unter ihnen die der Grundnahrungsmittel, mindestens um 300 Prozent erhöht, das Benzin sogar um 3.100 Prozent. Gleichzeitig wurden die Löhne niedrig gehalten. Um die Inflation zu senken, so das ebenso simple wie brutale Rezept, mußte die Kaufkraft der ohnehin verarmten Bevölkerung noch weiter vermindert werden.

Die sozialen Kosten des Schockprogramms waren und sind immens. Dem derzeitigen Mindestlohn von 25 Millionen Intis, rund 90 Mark, steht die zur bloßen Ernährung einer sechsköpfigen Familie benötigte Summe von über 60 Millionen Intis gegenüber. Dienstmädchen und Landarbeiter sowie viele Beamte verdienen nicht einmal den Mindestlohn. Da verwundert fast, daß es bislang nur vereinzelt zu Hungerrevolten und Plünderungen gekommen ist. Um das zu verhindern, wurde in den ersten Tagen des Schockprogramms Militär in die Städte geschickt.

Die Armen trifft's besonders hart

Ein eilig improvisierter „Sozialer Notstandsplan“ hat in den letzten Monaten mit Hilfe von Kirchen und Basisorganisationen per Volksküchen die Ernährung von sieben Millionen PeruanerInnen, einem Drittel der Bevölkerung, mehr schlecht denn recht gewährleistet. Sowohl die linken Parteien als auch die Gewerkschaftsbewegung sind durch interne Zwistigkeiten stark geschwächt.

Allerdings scheint die Mehrheit der PeruanerInnen, inklusive der Linken, die Notwendigkeit des Schockprogramms akzeptiert zu haben. Es seien vor allem die Armen gewesen, meint der Leiter des Forschungsinstituts Desco, die unter der Hyperinflation litten. Daher hätten viele in dem Schockprogramm einen sauren Apfel gesehen, in den nun einmal zu beißen war.

Wohlwollendes Verständnis aber hat vom Hunger vorgegebene Grenzen. Hart wurden besonders die 1,2 Millionen Staatsbedienstete getroffen, die teilweise mit weniger als dem Mindestlohn bezahlt werden und nach dem Schockprogamm einen Kaufkraftverlust von 66 Prozent verkraften mußten. Sie erhalten heutzutage nur ein Fünftel von dem, was sie 1979 verdienten. Im November traten sie deshalb in den Streik.

Dabei ist die reelle Kürzung der Gehälter der Beamten durchaus gewollt als Teil der von Fujimori angestrebten Sanierung des Staatshaushalts. Das sowohl vom Weltwährungsfond als auch von peruanischen Experten geforderte Gesundschrumpfen des bis zur totalen Ineffizienz aufgeblähten Staatsapparates sieht außerdem die Aufkündigung mindestens dreißig staatseigener Unternehmen, die drastische Kürzung aller Ausgaben und erhöhte Steuereinnahmen vor. Der einmonatige Streik der BeamtInnen hat an dieser Politik nichts ändern können. Auf die Forderung nach Lohnerhöhung antwortete die Regierung, die jegliche Erhöhung von Gehältern bis nächstes Jahr weiterhin ablehnt, erst mit einer verschärften Streikgesetzgebung und dann mit dem Angebot eines außerordentlichen Weihnachtsgeldes. Indes zeigt das Schockprogramm Wirkung: Nach einer durch die Preissteigerung bedingten Inflationsrate im August von 397 Prozent sank sie im September, Oktober und November, so das staatliche Statistikinstitut, auf 13, neun und fünf Prozent. Obwohl es sich im Vergleich zu den Inflationsraten in vielen Industriestaaten noch immer um außerordentlich hohe Werte handelt, ist der Kontrast mit den über 30 Prozent Preiserhöhung während der letzten Monate der Amtszeit des links-populistischen Alan Carcia vorteilhaft. Die Eindämmung der Inflation, so das Fazit eines Treffens von Wirtschaftsexperten Anfang November in Lima, könnte, wenn kein krasser Fehler begangen werde, auch in den nächsten Monaten Erfolg haben. Für 1991 schwanken die Schätzungen zwischen 50 und 100 Prozent jährlich. Die Bekämpfung der Inflation aber ist letzten Endes nur ein Mittel, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Das angestrebte Wachstum ist mit dem Shockprogramm, das die Rezession bisher nur verschärfte, kaum näher gerückt.

Innerhalb von zwei Monaten fiel das Bruttosozialprodukt um rund 20 Prozent. Die Produktion der Industrie sank um ein Drittel, während im September nur 34 Prozent der industriellen Produktionskapazität genutzt wurde. Wegen der ausbleibenden Kredite der staatlichen Agrarbank drohen in der Landwirtschaft bei den kommenden Ernten katastrophale Ausfälle. Die Ausbeutung der Bodenschätze litt zwar wegen der Fixierung auf die Weltmarktpreise nur wenig, ist aber durch jahrelange Mißwirtschaft und unzureichende technologische Erneuerung weit von den wirklichen Förderungskapazitäten entfernt. Selbst der Devisenfluß aus dem Anbau der Cocablätter ist durch den Drogenkrieg zurückgegangen. Um die Wirtschaft anzuwerfen, bedarf es ausländischen Kapitals. Neben der Eindämmung der Inflation war denn auch von Anfang an die „Wiedereingliederung in das internationale Finanzsystem“ wichtigster Pfeiler der Politik Fujimoris. Nachdem Vorgänger Alan Garcia lange Zeit den Schuldendienst auf zehn Prozent der Exporterlöse beschränkt hatte, war die ausländische Kapitalzufuhr praktisch ganz zum Stillstand gekommen.

Nun werden zunehmend symbolische Überweisungen an die internationalen Kreditinstitute getätigt: zwölf Millionen an den Weltwährungsfond (Zahlungsrückstände Perus: etwa 800 Millionen Dollar), 16 Millionen an die Interamerikanische Entwicklungsbank (Zahlungsrückstände: 300 Millionen Dollar). Unabhängigen Schätzungen zufolge wird Peru 1991 an die internationalen Kreditinstitute über eine Milliarde Dollar entrichten müssen, um überhaupt wieder Aussichten auf einen dringend für die Ankurbelung der Wirtschaft benötigten Überbrückungskredit von über zwei Milliarden Dollar zu bekommen.

Ebenso schwierig wie neue Kredite zu erhalten, ist das Anlocken ausländischer Investitionen. Der aus einer linken Partei stammende Energie- und Minenminister Fernando Sanchez versucht derzeit, gegen den erbitterten Widerstand ehemaliger Genossen, mit einer neuen Gesetzgebung zur Vergabe der Erdölkonzessionen die internationalen Multis wieder ins Land zu locken. Doch der immer noch anhaltende Krieg mit der Guerilla und die fehlenden Strategien zur Befriedung des Landes sorgen nicht gerade für ein Investitionsparadies. Und noch eine Kapitalquelle dürfte wegen der politischen Unsicherheit verstopft bleiben: die von peruanischen Unternehmen im Ausland gehorteten Millionen. Nach Schätzungen Fujimoris handelt es sich um zehn Milliarden Dollar — mehr als die Hälfte der Auslandsschulden.

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