Bundesregierung will Honeckers Auslieferung

■ Verfahren gegen 30 DDR-Funktionäre/ „Prüfung“ von 50 Einzelvorwürfen gegen Schalck-Golodkowski

Berlin (dpa) — Auf diplomatischem Weg will jetzt die Bundesregierung bei der Sowjetunion die Überstellung des ehemaligen DDR-Staats- und Parteichefs Erich Honecker an die deutsche Justiz erreichen. Regierungssprecher Dieter Vogel sagte gestern in Bonn, das Auswärtige Amt werde der sowjetischen Botschaft „in Kürze“ eine entsprechende Bitte übermitteln. Gegen Honecker war bereits vor 14 Tagen Haftbefehl wegen der Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze erlassen worden. Kurz danach war der 78jährige auf die Herzabteilung des sowjetischen Militärhospitals Beelitz bei Potsdam verlegt worden.

Unterdessen wurde in Berlin bekannt, daß die Staatsanwaltschaft gegen Honecker auch wegen Stasi- Morden und Folterungen ermittelt. Gegenwärtig untersucht die Berliner Staatsanwaltschaft Vorwürfe gegen über 30 Angehörige der ehemaligen DDR-Führungsriege.

Aus einem Schreiben von Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) an die Justizminister und -senatoren geht hervor, daß gegen Honecker, Mielke, Herrmann und Mittag außerdem wegen der Festnahmen von Demonstranten am Rande der Feiern zum 40. Jahrestag der DDR-Gründung im Oktober vergangenen Jahres ermittelt wird. Ihnen wird ferner Diebstahl aus Postsendungen, die Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses durch Abhören von Telefonaten und Untreue wegen der privilegierten Versorgung in der Prominentensiedlung Wandlitz vorgeworfen. Auch ihre Rolle bei der Vertuschung der Fälschung des Kommunalwahlergebnisses im Mai 1989 soll aufgeklärt werden. Alle diese Vorwürfe füllten 423 Aktenbestände, heißt es.

Bei den Ermittlungen gegen den ehemaligen DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski prüfe die Berliner Staatsanwaltschaft gegenwärtig 50 Einzelvorwürfe, heißt es in dem Schreiben weiter. Zum Teil sei der Generalstaatsanwalt der DDR hier überhaupt nicht oder „nur sehr vordergründig“ vorgegangen. Außer dem privaten Erwerb von Kunstgegenständen, dem illegalen Besitz zahlreicher Schußwaffen, der Fälschung und dem Export von Briefmarken müßten die Ermittler vor allem den zahlreichen Auslandsanlagen von Schalcks Außenhandelsorganisation „Kommerzielle Koordinierung“ nachgehen. Es liege ein „Gestrüpp“ von wenigstens 58 Firmen vor, wobei es zahlreiche Geldbewegungen in Millionenhöhe gegeben habe.