Ende der Gleichmacherei

■ Berlin, Avus: Insel der Tempofreiheit? KOMMENTAR

Mit ihren schnellen neuen Autos wissen die neuen Bundesbürger bisher nichts Rechtes anzufangen. Ab Tempo 100 ist im ganzen Territorium Schluß, erst westlich der Elbe darf das Gaspedal dort kleben, wo es hingehört: am Anschlag. Um dem Sechzehnventiler aus vierter Hand alles abzuverlangen, bleibt ihnen bis heute nur die Landstraße. Die Unfallbilanz verrät es: Dort bleibt meist wenig übrig von Fahrer und Gefährt. Tückisch hatte sich hier ein Baum in die Kurve geneigt, dort war es der Gegenverkehr, der jäh das Überholmanöver stoppte.

Doch nun winkt Rettung. Bald, so verspricht es die Berliner CDU, wird dem Tempolimit auf der Avus ein Ende bereitet. Dann ist Schluß mit der gleichmacherischen Nivellierung des Geschwindigkeitsunterschiedes zwischen Berlin und seinem Umland. West- Berlin bewährt sich als das, was es sein muß: Turbo-Motor des Aufschwungs und Insel der Freiheit im von den Überbleibseln des Sozialismus immer noch wie gelähmten Osten Deutschlands. Von überallher werden sie dann strömen, aus Stralsund und Seifhennersdorf, Schlange werden sie stehen im Stauraum Dreilinden, um anschließend durchzustarten. Die Avus, das sind dann sieben Kilometer Freiheit.

Der ADAC sollte sich rechtzeitig darauf einstellen und einen Sonderservice anbieten. Strohballen an den Kurven wären das mindeste, besser wären tägliche Siegerehrungen für die Schnellsten mit Champagner und einem Kuß von der Schönheitskönigin. Wir Westberliner, die wir zumindest nach Umfragen mehrheitlich Anhänger von Tempo 100 waren, werden uns dann still verdrücken: auf die Landstraßen, die von Bäumen gesäumten. Und keiner mehr hinter uns, der drängelt. Hans-Martin Tillack