Die Demontage einer Diva

■ Jutta Müller, die erfolgreichste Eiskunstlauftrainerin der Welt, ist im Westen eine Reizperson

Berlin (taz) — Da mochte auf dem Eis noch so bezirzend gedreht und gewendet werden, der Doppellutz dem Dreifachaxel folgen — die größte Aufmerksamkeit bei der ersten gesamtdeutschen Eiskunstlauf- Meisterschaft nach 47 Jahren in Berlin zog eine 62jährige Frau auf sich: Jutta Müller aus Chemnitz, die erfolgreichste Eiskunstlauftrainerin der Welt. Eine Ikone des DDR- Sports, unantastbar, privilegiert, linientreu. Jahrzehntelang hat sie Athleten zum Wohle des Sozialismus zu Weltmeistertiteln und Olympiasiegen geführt, unter ihnen Tochter Gabi Seyfert, Annett Pötzsch, Jan Hoffmann und Katharina Witt.

Doch die Freude ob solch hervorragenden Personals ist im vereinigten Eiskunstlauf-Deutschland gedämpft. Was die Person Müller betrifft, herrscht noch kalter Krieg im ansonsten aufgetauten Verhältnis der ehemaligen Klassenfeinde. „Die Müller“ ist für viele eine Reizperson. Warum, ist ihr unklar. Ebensowenig versteht sie, warum sie sich statt mit einer Festanstellung mit einem Honorarvertrag des Verbandes begnügen muß. Mit dem Hinweis, sie solle sich doch durch Privatunterricht ein Zubrot verdienen.

Eine echte Kränkung für die Diva. Warum sie ausgerechnet im leistungsorientierten Kapitalismus, nicht gelitten wird, ist wahrlich schwer einzusehen. Nennen wir es den menschlichen Faktor. Jutta Müller war und ist gefürchtet. Sie sei arrogant, selbstsüchtig und die Inkarnation des SED-Staates. Und zu allem Ärger waren ihre Athleten Klassen besser als die Konkurrenz.

So rieben sich in Berlin ihre Feinde die Hände, als sowohl ihr favorisierter Schüler Ronny Winkler als auch die Europameisterin Evelyn Großmann nur auf Platz drei landeten. Damit qualifizierten sie sich zwar für die EM in Sofia Ende Januar, doch ein Thriumpfzug für die Müllerei war es nicht. Müller: „Ronny hat zu sehr verkrampft. Keine Ausstrahlung, er lief richtiggehend nach innen. Im Training ist er perfekt.“ Doch irgend etwas muß ungewöhnlich gewesen sein: „Heut müßt ihr euch anstrengen, ihr seht ja, hier läuft alles anders als sonst“, erklärte sie ihren Läuferinnen vor der Kür. Umsonst.

Dennoch: Diva bleibt Diva. So ließ sie auf der Pressekonferenz lange auf sich warten, ehe sie sich aggressiv und souverän den Fragen stellte. „Enttäuschend“ sei nicht der richtige Ausdruck. „Glauben Sie mir, ich kann mich einschätzen.“ Entschlossen lehnt sie sich zurück. Jutta Müller inszeniert sich selber. Immer stimmt die Choreographie: hier ein Lächeln, dort Ungeduld, Härte. Kritische Fragen verärgern sie: „Das müssen die noch lernen, wie man mit erfolgreichen Sportlern umgeht. Ein bißchen mehr Solidarität, wenn man Medaillen für das Land holt.“ Jutta Müller, tief verwurzelt in der alten Denkweise.

Doch begriffen hat sie das neue Spiel. Auf die Frage, warum sie sich zum Training nach Hohenschönhausen zurückgezogen hätte, entgegnet sie: „Weil mir das bequemer war. Ich kenne die Strecke, der viele Verkehr beängstigt mich — das klingt doch gut für sie, was?“ Und zur Einheit: „Gemeinsam, na, wir sind halt nicht mehr allein.“ Doch allein sein will sie. Allein an der Spitze mit ihren Läufern. Ein ungeheuerer Ehrgeiz treibt diese Frau, ihr Leben an eiskalten Banden zu verbringen. Ihre Macht im SED-Staat habe sie schamlos genutzt, werfen ihr Kritiker vor. Tatsächlich fordert sie alles. Jutta Müller, Eisenherz. Doch ihr scheint egal zu sein, was andere denken. Sie muß nicht geliebt werden. Erfüllung, das sind Siege.

Nur eine Behauptung ärgert sie maßlos. Der Vorwurf, sie hätte aussichtsreiche Kandidaten nach Chemnitz zitiert und so die Lorbeeren anderer geerntet. „Davon ist kein Wort war. Bis auf zwei Läufer, Jan Hoffmann und jetzt Evelyn Großmann, habe ich alle selbst aufgebaut.“ Jan kam damals nach Karl-Marx-Stadt, weil Dresden noch keine Halle hatte, und bei Evely wurde die Trainerin krank. „Die Schüler suchen mich, weil ich die Beste bin. Sieger werden sie nur bei mir.“ Sie habe es wahrlich nicht nötig, daß andere Vereine ihr zuarbeiten. „Die kommen freiwillig nach Karl-Marx-Stadt.“ Ganz selbstverständlich benutzt sie den alten Stadtnamen, ein Stück Vergangenheit.

Doch aller Widrigkeiten zum Trotz: Jutta Müllers Kämpferherz bleibt. Sie macht weiter, in Karl- Marx-Stadt. „Wir werden uns schon aneinander gewöhnen.“ Mit dem Schlüssel „Leistung“ wird sie sich ihre Türen aufschließen. Doch sicher ist, daß ihr denkbar viele Steine in den Weg gelegt werden. Denn was ihr niemand verzeiht, ist ihr nach wie vor selbstbewußtes Auftreten. Sie zeigt, anders als der übrige DDR- Sport, weder Demut noch Unterwerfung. Die Diva weigert sich standhaft, zu bereuen. Kein Kotau vor den neuen Herren, kein Widerrufen. Jutta Müller, nicht zwingend sympathisch. Eines aber ist sie auf keinen Fall: eine Duckmäuserin. miß