Blutige Hungerrevolten in Marokko

Paris (taz) — Generalstreiktag in Marokko: Tausende junge Untertanen von König Hassan II. zogen am Freitag aus den Bidonvilles der alten Königsstadt Fès ins Zentrum. Sie stürmten den Polizeiposten des 5. Bezirks und eine Kaserne der Armee, griffen Soldaten im Streikbrechereinsatz mit Steinen an, flambierten ungezählte Busse und plünderten das Fünfsternehotel „Les Mérinides“. Manifestanten schrien: „Nieder mit Hassan, dem Hund“, für Marokko ein Sakrileg — die Person des Königs, der seine Abstammung auf den Propheten zurückführt, ist gemäß Verfassung „unverletzlich und heilig“. Unruhen wurden auch aus Agadri, Tanger und Kenitra bei Rabat gemeldet. Polizei und Armee unterdrückten rabiaten Unmut blutig. Fünf Tote und mehr als 100 Verletzte gab die offizielle Agentur 'map‘ zu; mindestens 30 Tote haben Gewerkschafter und Ärzte gezählt, der Sender BBC sprach gar von 100 Toten. Die Armenviertel wurden umstellt, wichtige Kreuzungen mit Panzern besetzt. Die Gewerkschaften CDT und UGTM haben mit den Ausschreitungen nichts zu tun. Sie hatten die Losung ausgegeben, zum Generalstreik zu Hause zu bleiben. Die Machtverhältnisse im Land lassen keine hart geführten Arbeitskämpfe zu — die Gewerkschaften sind um ihre Forderungen nach Erhalt der Kaufkraft, Organisationsfreiheit und demokratischen Rechte mit der Regierung in ein sorgfältig abwiegendes Zerren verstrickt.

Gewerkschafter vermuteten hinter den Unruhen vom Wochenende gar Provokateure der Polizei. Das greift zu kurz. Der Sturm auf die Stadtzentren trägt alle Zeichen einer spontanen Hungerrevolte. Drei Viertel der Marokkaner sind jünger als 25 und haben keine Aussicht auf einen Job. Die Hälfte kann weder lesen noch schreiben. Die Preise für alle Grundnahrungsmittel sind gestiegen, während die dünne Oberschicht ostentativ unermeßlichen Reichtum zur Schau stellt. Ein marokkanischer Sozialoge im Pariser Exil meinte am Sonntag: „Das alles ist nicht organisiert. Aber es könnte sehr schnell kippen. Hassan hat jede Legitimität eingebüßt. Es ist für ihn vielleicht der Anfang vom Ende.“ O.F.