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Albanische Demonstranten nur „Randalierer“?

Die Medien in Albanien benutzen nach wie vor die alten Schlagworte und betreiben Regierungspropaganda/ In ihnen wird nicht erklärt, warum Tausende an militanten Demonstrationen teilnahmen/ Die neugebildete Opposition bleibt vorsichtig  ■ Von Roland Hofwiler

Den Auftakt zu den Nachrichtensendungen von „Radio Tirana“ bildet noch immer das Abspielen der Internationale. Auch in den Fernsehnachrichten hält man sich an die alten Rituale und beginnt selbst in der jetzigen Situation mit Parteiversammlungen und Fabrikreportagen. Dabei wäre es doch naheliegend, offen über die Gründe für die gewaltätigen Demonstrationen in verschiedenen Städten des Landes zu berichten. Am Samstag abend begann die Topmeldung des Fernsehens wie gewohnt: „Unser geliebter Partei- und Staatschef, Genosse Ramiz Alia, empfing eine Gruppe von Bauern aus Pejsa, die den Wunsch nach einem Treffen mit ihm ausgedrückt hatten.“ Im Bild sind Bauern, also die „einfachen Menschen aus dem Volk“, und ein Herrscher mit Topgarderobe. Voller Dank nimmt Alia Blumen von einer Bäuerin entgegen und läßt die Bauern eine Erklärung vorlesen. Jetzt erst wird der Tenor klar: Wir Bauern Albaniens verurteilen die Ausschreitungen und die Taten der Randalierer in den Städten Kavaje, Shkodra, Elbasan und Durres auf das Schärfste. Wörtlich heißt es: „Wir verlangen, gegen diese Kräfte mit Entschlossenheit vorzugehen. Wir danken euch Werktätigen von Durres, mit welcher Courage ihr gegen die vandalierenden Elemente vorgegangen seid. Denn solche Menschen haben auch nichts gemeinsam mit dem Volk. Wir erlauben nicht, etwas zu zerstören, was wir mit Mühe und Schweiß mit unserer Hände Arbeit aufgebaut haben.“ Die alten Propagandamechanismen sind intakt.

Die Kamera schwenkt in Fabrikhallen der Metropolen Elbasan und Tirana. Man sieht Arbeiter an Hochöfen schuften, schweißgebadet vor glühendem Eisen. Dann plötzlich Bilder, aber nur für wenige Minuten, die manchen Zuschauer aus der Fassung bringen: brennende Polizeiautos, eingeschlagende Fensterscheiben, Demonstranten, die eine Parteizentrale stürmen wollen. Alles aus Distanz aufgenommen, ohne Worte. Erst als man Militäreinheiten aufmarschieren sieht, kommentiert der Sprecher: „Ja, liebe Genossen und Genossinnen, liebe Landsleute, unsere Heimat wird von kriminellen Elementen in den Schmutz gezogen.“ Einige „isolierte Elemente“ versuchten Unruhe in die Heimat „des sozialistischen Fortschritts“ zu tragen. Dann für Sekunden wieder Bilder von den Verwüstungen in der 80.000 Einwohner zählenden Stadt Elbasan und der Sprecher gibt plötzlich sogar zu, Arbeiter der örtlichen Stahlfabrik, deren Lohn nicht rechtzeitig ausgezahlt worden sei, hätten Geschäfte geplündert, das größte Kino und unzählige Buchläden in Brand gesteckt. Buchläden in denen fast keine Literatur ausgestellt wird, sondern lediglich Werke von Marx, Lenin, Stalin, Enver Hoxha und Ramiz Alia zu kaufen sind. Eine implizite Selbstkritik am Rande fehlte nicht: Vor allem in Elbasan seien bei den siebenstündigen Unruhen so viele Fensterscheiben zu Bruch gegangen, daß die örtlichen Glasfabriken die Reparaturen erst in ein paar Monaten bewältigen könnten. Immerhin wird damit zugegeben, daß es mit der Glaproduktion oder mit den Reparaturen seit langem hapert.

Während zum Ende dieser Meldung Panzer und schweres Geschütz gezeigt werden, die in den Städten Shkodra und Elbasan aufgefahren sind, beginnt ein Interview mit dem Justizminister Enver Halili: „Alle diese Ereignisse, die zu Recht die Massen in Sorge versetzen, sprechen für negative Ziele einiger Irregeleiteter, die eine Weiterentwicklung unseres Landes behindern wollen. Wir alle sind empört über Menschen, die nichts von unserer Moral und Kultur an sich haben.“ Mehr kann man nicht an Einzelheiten erfahren. Erst die staatlichen Radiosender geben am Sonntag genauere Einzelheiten preis, sprechen von 30 bis 50 Festnahmen und 20 Verletzten und bringen auch eine längere Ansprache des Staatschefs Ramiz Alia an die „Bauernschaft des Landes“: „Unter der Führung der Partei Enver Hoxhas änderte sich das Antlitz des Landes vollständig. Heute sind einige Länder Osteuropas bereit, den Boden angeblich den Bauern privat zurückzugeben. Doch das Ziel ist klar. Die Absicht ist, den Boden den früheren Herren wiederzugeben, die alten Verhältnisse wiederherzustellen.“ Dies werde er, Ramiz Alia, nicht zulassen und alle Parteien, die sich ab nun frei formieren könnten, müßten sich auf der Grundlage der „heldenhaften sozialistischen Verfassung“ formieren. Zu den Unruhen meinte der Staats- und Parteichef: „Diese sind zweifach zu verurteilen, sie sind gegen die sozialistische Demokratie und das Volk gerichtet. Doch der Urheber ist nicht das Volk und die Massen, denn diese haben keine Absicht, sich selbst zu zerstören.“

Welche Kräfte sind für die Polizeieinsätze gegen die „Rowdies“ verantwortlich, Reformer oder Konservative? Zwar war in Tirana ein Mitglied der ersten neuen Partei, der Demokratischen Partei, telefonisch zu erreichen. Doch Gramoz Pashko wollte zu diesen Fragen keine Stellung beziehen. Er erklärte im Gleichklang mit den Offiziellen, bei den Ausschreitungen handele es sich um das Werk einiger „einzelner Randalierer“, die nichts mit der albanischen Demokratischen Partei zu tun hätten. Auf die Frage, es seien doch nicht „Einzelne“ gewesen, sondern Massen, die auf die Straßen gingen, wich er aus. Selbst Ismail Kadare, der große Mann der albanischen Literatur, der erst vor kurzem sich nach Paris absetzte und Asyl beantragte, habe seine Landsleute aufgerufen, für den jahrzehntelangen Stalinismus nicht Rache zu nehmen. Sonst bestünde die Gefahr, daß Verfechter der harten Linie zurückschlagen.

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