Überdosis Balladen

■ Die türkische Sängerin Özay war in der Schauburg

Damit hatte das Publikum wohl kaum gerechnet: Gekommen waren erstaunlich viele, um die progressive türkische Jazzsängerin aus Berlin zu erleben, aber von den auf Plakaten angekündigten kämpferischen Songs zu Gedichten von Pablo Neruda und Nazim Hikmet war nichts zu hören. Statt dessen sang sie Balladen. „Romantisch und intensiv“ sollte es sein, und so spielte sie mit dem Pianisten Stefan Schmidt und Jason Seizer am Saxophon einen amerikanischen Klassiker nach dem anderen: „Round Midnight“, „Summertime“, „God Bless the Child“ und wie sie alle heißen. Sie sang sie sogar erstaunlich gut: jeder Song war für sich gesehen interessant durcharrangiert, technisch solide und mit viel Emotion interpretiert. Aber anderthalb Stunden einen slow song nach dem anderen zu präsentieren, das ist, höflich gesagt, dramaturgisch ungeschickt. Balladen wirken am besten im Kontrast mit schnelleren „up beat“- Stücken. Ohne diese musikalischen „Erholungspausen“ wirkten auch die schönsten Kompositionen von Gershwin oder Thelonius Monk nicht mehr intensiv, sondern monoton und einschläfernd. Özay ließ aus jedem Song ihr Herzblut strömen. Nach der Pause waren die Stuhlreihen denn auch deutlich leerer.

Langsam wurden nun auch die Schwächen der Musiker deutlich. Wenn sie nur ein bißchen vielseitiger gespielt hätten, wäre es bei ihren beachtlichen handwerklichen Fähigkeiten und den guten Kompositionen nicht aufgefallen. Aber nun hörte man genau und leicht genervt hin: Die drei machten alles richtig - mehr aber auch nicht. Sie spielten wie aus dem Lehrbuch : konservativ, sehr ordentlich und epigonenhaft. Am Ende des Konzertes sang Özay dann doch noch eines ihrer türkischen Lieder — nur um ihre Zuhörer nicht zu enttäuschen, wie sie selber ohne viel Begeisterung sagte. Der entsprechende Teil ihres Publikums war längst gegangen. Willy Taub