Urteil im „Paletti“-Prozeß: zweieinhalb Jahre

■ Richter über den Geiselnehmer in seinem Urteil: „Er glaubte und glaubt sich im Recht“

Köksal S. hat in Januar 1989 einen Rechtsanwalt drei Tage lang in seinem Lokal „Paletti“ festgehalten und für dessen Freilassung von Bürgermeister Wedemeier eine Million Mark und eine Straffreiheitserklärung verlangt. Das Gericht verurteilte ihn dafür gestern zu zweieinhalb Jahren — für S., der sich selbst als „Gerechtigkeitsfanatiker“ bezeichnet, ein neuerlicher Justizirrtum. „Er glaubte und glaubt sich im Recht“, stellte auch Richter Oswalt Seydak in seiner Urteilsbegründung fest.

Vor allem durch die wohlwollenden Zeugenaussagen von Tatopfer Rechtsanwalt Wolf Leschmann sowie von Bürgermeister Henning Scherf hatte sich das Gericht davon überzeugen lassen, daß „der Fall sich wesentlich unterscheidet“ von dem damals nur kurz vorausgegangenen Gladbecker Geiseldrama. Eine Geiselnahme sei von Köksal S. gar nicht von Anfang an geplant gewesen. Er habe Leschmann ins Lokal gelockt, um die alten Rechtshändel mit seinem Vater mit dessen Unterstützung aufzuarbeiten.

Auch die Million habe der von einer „heillosen Zerstrittenheit“ in der Familie geprägte S. nicht als Gegenleistung für Leschmanns Leben, sondern als „Kaution“ für die Durchsetzung seiner Rechte verlangt, begründete Seydak die Einstufung als „minderschweren Fall“.

Mildernde Umstände erkannte auch Staatsanwalt Siegfried Neugebauer an. Wegen der gewaltsamen Festsetzung des Rechtsanwaltes, der immerhin „ein Organ der Rechtspflege“ sei, und wegen der Benutzung einer scharfen Schußwaffe, hatte er allerdings eine Strafe von drei Jahren und sechs Monaten gefordert.

Köksal S. selbst beschwor das Gericht, seinen Fall „gerecht und kritisch zu überprüfen“. Seit sein Zerwürfnis mit Vater und Bruder um das Eigentum an gemeinsam erworbenen Immobilien zu diversen gerichtlichen Auseinandersetzungen geführt hatte, fühlt S. sich von der Justiz ungerecht behandelt. Er hat alle Prozeßunterlagen in dicken Ordnern gesammelt, die er an allen drei Gerichtstagen bei sich hatte. Mehrfach während der Verhandlung versuchte er, das Gericht zu einer Einsichtnahme in die Unterlagen zu bewegen, die das Unrecht seiner Verurteilung in den vorausgegangenen Rechtsstreitigkeiten belegen sollten. Er hat nach seiner Entlassung aus der U-Haft sogar begonnen, Jura zu studieren, um sein Anliegen besser vertreten zu können. Den BeobachterInnen und anscheinend auch dem Gericht bot sich das Bild eines schier unentwirrbaren Knäuels. Auf den „Gerechtigkeitsfanatiker“ S., der die Tat zwar nicht leugnete, aber bis zum Schluß erklärte: „Ich habe keine Geiselnahme, keine Erpressung und keine Freiheitsberaubung gemacht“, wirkte das Urteil zu tiefst ungerecht. Er hatte erwartet, das, was er durch die dramatische Aktion im Januar 1989 anschieben wollte, nämlich seine vollständige öffentliche Rehabilitierung, nun auch durchsetzen zu können.

Der wegen Beihilfe angeklagte Günter H. wurde zu einem Jahr auf Bewährung und einer Geldbuße von 2.000 Mark verurteilt. H. hatte bei der Fesselung Leschmanns assistiert, diesen bewacht, wenn Köksal S. das Haus verließ, und für Verpflegung gesorgt.

Staatsanwaltschaft und Gericht wiesen auf H.'s Abhängigkeit von S. hin. Der wesentlich „einfacher strukturierte“ H. sei dem Hauptangeklagten nicht nur freundschaftlich verbunden gewesen, sondern sei auch in dessen Lokal beschäftigt gewesen, in dem er damals mangels Wohnung auch kampierte.

asp