Prenzlberg: Bäume sterben am Erdgas

■ Im Ostteil Berlins tobt ein Streit um die Ursachen des dramatischen Baumsterbens in der Kastanienallee/ Erdgas AG: Undichte Gasleitungen nur einer von vielen Krankheitsfaktoren/ Auch Straßenbäume im Westteil der Stadt durch Gaslecks geschädigt

Prenzlauer Berg. Über die Frage, in welchem Maße das aus undichten Leitungen strömende Erdgas zu dem alarmierenden Baumsterben im Ostteil der Stadt beigetragen hat, ist es jetzt zu einer Kontroverse zwischen der Ostberliner Erdgas AG und dem dortigen Umweltstadtrat Holger Brandt (SPD) gekommen.

Brandt zufolge hat sich vor allem in den 80er Jahren der Zustand der rund 82.000 Straßenbäume in den östlichen Bezirken dramatisch verschlechtert, so daß nur noch ein Drittel der Bäume keine sichtbaren Schäden aufwiesen. Erhebungen der kirchlichen Umweltschutzbewegung im Zeitraum von 1984 bis 87 hätten ergeben, daß in den Innenstadtbezirken Treptow, Prenzlauer Berg und Pankow bereits damals zwischen 24 und 65 Prozent der Bäume stark geschädigt oder »im Absterben« waren.

Hauptsächliche Ursache des Todes ganzer Baumalleen wie der Kastanienallee in Prenzlauer Berg sei die 1978 begonnene und erst kürzlich abgeschlossene Umstellung von Stadt- auf Erdgas, sagt der Stadtrat. Man habe bei dieser Umstellung nämlich die alten, undichten Gasleitungen weiterverwendet. Die Verantwortlichen der Erdgas AG halten dagegen, auch Tausalze oder der schwefelhaltige Niederschlag aus Ofenheizungen hätten den Bäumen den Garaus gemacht. Wie es heißt, ergab die bisherige Auswertung von Angaben der Stadtgartenämter zudem, daß an den Standorten kranker Bäume oft »gar keine Gasleitungen vorhanden sind oder an diesen Stellen Erdagas-Leckagen nicht festgestellt werden können«. Allerdings wird eingeräumt: »In vielen Fällen« hat ausströmendes Gas die Bäume absterben lassen. Ihnen fehlte schlicht die Luft zum Atmen. So besteht das Erdgas bekanntlich zu einem hohen Prozentsatz aus Methan. Mikroorganismen im Boden setzen dieses Methan chemisch um und entziehen den Baumwurzeln dabei den Sauerstoff.

Die Schäden lassen sich ermessen, wenn man erfährt, daß es etwa bei den 2.100 Kiloemter Gasrohrleitungen in Ost-Berlin inzwischen rund 18.000 Leckstellen gibt. Weil das sowjetische Erdgas im Gegensatz zu Stadtgas kaum Wasserdampf enthält, trockneten die Hanfabdichtungen der Muffen aus. Zwar kann die Erdgas AG jetzt auf moderne Verfahren zur Innenabdichtung zurückgreifen, doch reichen die hierfür eingeplanten 30 Millionen Mark pro Jahr längst nicht, um das Gasrohrnetz durchgreifend auszubessern.

Der Senat müsse für die Sanierung der Rohre nunmehr schnell ein Konzept erarbeiten und mehr Mittel bereitstellen, fordert Holger Brandt. Momentan werden noch Infrarot- Luftbilder ausgewertet. Die erst im Sommer dieses Jahres angefertigten Luftaufnahmen sollen anhand von Färbungsunterschieden eine genauere Diagnose der Baumschäden erlauben.

Auch die Straßenbäume im Westteil der Stadt haben erheblich unter Gasaustritten zu leiden, wie Gutachter der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft herausfanden. Immerhin hat das Westberliner Stadtgas noch einen Methangehalt von 26 Prozent. Angesichts der »offenkundig umfangreichen Schäden und Ausfälle« an Straßenbäumen empfahlen die Wissenschaftler, unverzüglich Gegenmaßnahmen einzuleiten. In erster Linie sollte die Gasag in die Lage versetzt werden, die Gasrohrleitungen in Straßen mit Baumbestand in kürzeren Abständen als bisher üblich auf Leckstellen zu kontrollieren und geortete Rohrlecks in kürzester Frist zu reparieren.

Spätestens nach Abschluß der Arbeiten müsse der Boden um die Bäume wieder mit Luftsauerstoff angereichert werden. Die schon 1988 in einem Gutachten für die Senatsumweltverwaltung gemachten Empfehlungen blieben bis heute unbeachtet. Der wissenschaftliche Direktor der Bundesanstalt, Dr. Hans-Otfried Leh: »Die Gasag versucht nach wie vor, den Deckel auf dem Topf zu halten und steht immer noch auf dem Standpunkt, daß Schäden an Bäumen nur dann auftreten können, wenn das Gasleck nicht weiter als fünf Meter vom Baum entfernt ist. Wir haben aber eindeutig das Gegenteil nachgewiesen.« thok