Die HO-Läden im Bermuda-Dreieck

■ Betriebsrätekonferenz der Gewerkschaft HBV im Ostteil der Stadt/ 12.000 ehemalige HO-Läden sind in den Vereinigungswirren schlicht abhanden gekommen/ Die Beschäftigten fordern Sozialpläne

Berlin. »Was wir wollen, sind nicht schöne Reden über die Zukunft«, schleuderte eine Betriebsrätin der HO-Atlas GmbH dem Vertreter der Treuhand entgegen, »was wir wollen, sind Sozialpläne.« Auf der gestrigen Betriebsrätekonferenz der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherung (HBV) in Ost-Berlin hätte es eigentlich um das Gegenteil gehen sollen.

Auf der Tagesordnung stand ein einziger Punkt: »Privatisierung im Handel — Sicherung der Arbeitsplätze — Sicherung der Versorgung.« Aktueller Anlaß der Konferenz war die Vergabe aller HO-Verkaufsstellen unter 100 Quadratmetern, die nicht zu Unternehmen mit westdeutscher Beteiligung gehören. Am vergangenen Freitag lief die Ausschreibungszeit ab, die ersten 72 Läden in Ost-Berlin sind bereits von privater Hand übernommen worden. Vergeben werden von der eigens für den Bereich Handel gegründeten Treuhand-Tochter »Gesellschaft zur Privatisierung des Handels« (GPH) 17.000 Läden in allen fünf neuen Bundesländern. Den Zuschlag werden bis Ende des Jahres vor allem die großen Ketten wie Spar, Edeka, Tengelmann und Rewe erhalten, die die Läden, um die sie sich jetzt erneut bewerben, zum Teil bereits seit der Währungsunion betreiben. Aus Rationalisierungsgründen haben sie bereits vielen Angestellten zum Ende des Jahres gekündigt.

Die HBV fordert jetzt zusammen mit der GPH, daß alle während dieser Goldgräberzeit abgeschlossenen Joint-ventures und Verträge für nichtig erklärt werden und bei einer Neuübernahme Arbeitsplatzgarantien ausgehandelt werden. Für viele Beschäftigte zu spät und oft auch nicht mehr gewünscht. Denn: Auf die nach neuen Bedingungen unzulässigen Kündigungen hatte man sich bereits eingestellt und mit der Abfindung gerechnet.

Die vor dem 15. Oktober abgeschlossenen Deals seien, sagte der Aufsichtsratsvorsitzende der GPH, Bernhardt, »zum großen Teil zu absurd schlechten Bedingungen« getätigt worden. Die GPH müsse jetzt mit starker Verspätung den gesamten HO-Bestand sichten und vor allem retten, was noch zu retten ist. Im Klartext: Sämtliche Übernahmen vor dem 15. Oktober sind ungültig und müssen neu verhandelt werden. Niemand dürfte entlassen werden, und alle bereits ausgehandelten Sozialpläne sind einzufrieren, dürfen nur und vor allem mit neuen Prämissen mit der GPH abgeschlossen werden. Ein Konzept, das Einverständnis bei der HBV findet, aber Unverständnis bei den Beschäftigten des Einzelhandels erzeugt. Denn in unsicheren Zeiten scheint der Spatz Sozialplan in der Hand sicherer zu sein als die Taube Arbeitsplatzsicherung auf dem Dach der »Gesellschaft zur Privatisierung des Handels«.

Für einen gewaltigen Teil der HO- Läden kommt diese nachträgliche Bestandssicherung obendrein zu spät. Nach Aktenlage habe es am 1.Juli insgesamt 29.000 HO-Einzelhandelsläden in der DDR gegeben, sagt Bernhardt. Fast 40 Prozent, genau 12.000 HO-Läden, sind aber bis heute, wie Bernhardt es umschreibt, »abhanden gekommen«.

Für die Treuhand-Tochter »ist es nicht mehr nachvollziehbar, wann an wen und unter welchen Bedingungen diese Verkaufsflächen abgegeben worden sind und wer jetzt die verlorengegangenen Arbeitsplätze ersetzen soll, beziehungsweise die Abfindung finanzieren muß«. »Die HO ist im Bermuda-Dreieck abgestürzt«, kommentierte der HBV-Landesvorsitzende Manfred Müller diesen Schwund. Anita Kugler