Eine Jahrhundertleidenschaft

Ergänzende Gedanken zu „Art & Pub“, einer Ausstellung über Kunst und Reklame in Paris  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Irgendwann im letzten Jahrhundert begann die Kunst, mit der Industrie zu tuscheln. Mein Problem ist, sagte die Industrie, daß ich Produkte in Massen herstellen kann, aber was produziert ist, ist noch lang nicht verkauft. Dann ist dir wohl klar, sagte die Kunst, daß ich schon seit Jahrhunderten im Besitz der Mittel bin, Dinge zu zeigen, und zwar so zu zeigen, wie man sie gern hätte? Das schon, sagte die Industrie, aber selbst wenn es dir gelänge, meine Tücher, Seifen, Dauerbackwaren und Dampfmaschinen so lebhaft in Öl zu malen wie es der Rubens mit dem menschlichen Fleische getan hat — wer würde sich diese Bilder schon ansehen, und wo? Auf die Museen wirst du kaum hoffen können, und auf die Bürgervereine, die nach Feierabend in feinen Graphiken das Erhabene suchen, schon gar nicht.

Und doch wurden sie, die Industrie und die Kunst, sich einig. Man würde sich umsehen. Das neue Verfahren der Fotografie würde man anzuwenden versuchen, und bei den Druckwerkstätten wäre Rat zu suchen, wie die Bilder schöner Dinge — mit dem Namen des Produzenten und einigen Versprechungen versehen, die Wirkung des Produkts betreffend — unters Volk zu bringen seien und in die Haushalte der Bürger. Während sie so tuschelten, wurden sie sich recht sympathisch.

Es dauerte dann doch bis zum Ende des Jahrhunderts, bis die Mittel gefunden waren: die Plakate, damals noch Anschläge genannt, und die Illustrierten, die willige Schreiberlinge mit Berichten und Geschichten vollschrieben, zwischen denen sich die Reklame gut verstecken ließ. So kam man mit den Bildern und den flotten Sprüchen auf die Straßen und in die Häuser.

Reklame, so hieß das Kind aus der wilden Ehe von Industrie und Kunst. Lange hat die Kunst diese Verbindung verleugnet, weil man sagte, sie prostituiere sich. Erst in den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts, wo man so manches mit Stolz vorzeigte, was vormals verpönt gewesen war, gestand die Kunst ihre Leidenschaft, wovon sie seither nicht mehr gelassen hat.

Art & Pub, Kunst und Werbung, heißt eine Ausstellung im fünften Stock des Pariser Centre Georges Pompidou, die in fünfunddreißig Abschnitten 1.200 Objekte präsentiert. Sie umfaßt die letzten hundert Jahre, beginnt bei den Plakaten von Jules Chéret und Henri Toulouse- Lautrec, fällt mit Futuristen und Kubisten ins neue Jahrhundert, macht einen Schwenk über exemplarische Karrieren von Dada und Bauhaus (Schwitters/Herbert Bayer), behandelt parallel zu den kommerziellen Arbeiten von Magritte und Sonia Delaunay diverse Werbekampagnen in den USA und Europa und schließt mit Warhol, Haacke, Holzer, Koons. Das Jahrhundert ist also vollständig, kein Jahrzehnt ausgespart.

Treffpunkt von Kunst und Werbung ist, konzeptuell, das „&“, also das Zeichen, das Leute verbindet, die ihre Vermögensanteile zum Ziele derer Vermehrung zusammengelegt haben. Folglich kann angewandte Kunst — wie die frühen Plakate — Thema sein. Chéret, heißt es im Katalog, sei als „Fragonard der Straße“, als „Watteau des bemalten Papiers“ bezeichnet worden. Die frühen Meister des Plakats als Epigonen von Malern des 18. Jahrhunderts? So stellt sich gleich zu Anfang die Frage, ob Herkunft und Vorbilder der Maler dieser blassen und blumigen Plakate nicht hätten gezeigt werden müssen. Chéret kam von der Lithographie her, Toulouse-Lautrec von der Malerei — er stand unter dem Einfluß von Manet, Pissarro, Degas, er hatte van Gogh portraitiert. Nichts davon, nur Plakate.

Merkwürdig, und dann kommt die Kunst, die deshalb durch die Futuristen und Kubisten vertreten ist, weil in deren Gemälden Produktnamen auftauchen: die Lieblingszigarren- und schnäpse. Durch winzige Fensterchen kann man Readymades von Duchamp sehen. So konstatieren die Aussteller den Einbruch der Produktwelt in die nicht-angewandte Kunst. Das nimmt bereits ihre gesamte Perspektive auf die bildende Kunst vorweg: sie interessieren sich nur für den expliziten Bezug auf die Welt des Konsums, so als sei die bildende Kunst des 20. Jahrhunderts eine Achse diesseits und jenseits von Warhol. Sie bleibt damit der Werbung generell überlegen, und erscheint nie als Opfer von deren Strategien.

Dabei denke ich, zum Beispiel, an die Signatur des Künstlers, die von Modemachern imitiert wird und die, wenn mit Künstlernamen geworben wird, aus den Bildern herausgelöst und vergrößert wird; ganz gleich, ob ein lebender Künstler für eine Bank wirbt oder die Signatur des Meisters, auf Transparentgröße gebracht, für seine „eigene“ Museumsretrospektive. Die ganze Welt der Werbung ist seltsam „arty“ geworden: ein wie mit dem Pinsel heftig gemalter roter Strich komplettiert das Signet einer Versicherung; in jeder Kaffeewerbung ein Saxophonist; auf Fotografien, die Möbel verkaufen sollen, hängt immer ein Ölbild an der Wand; die Buchumschläge, die in Prospekten und Zeitungen wiederum reproduziert werden, zeigen Ausschnitte aus Gemälden der Meister des 20. Jahrhunderts. Der Buchmarkt hat das Phänomen der Künstlersignatur auch auf den Literaturmarkt übertragen: Goethe und Kafka als deutsche Maler. Nicht nur die Kunst, das Künstlertum ist ein Statussymbol geworden. Nicht wenige Künstler sind Opfer eben dieser Bilder, dieser entleerten Ikonographien, die sie arglos imitieren.

Solche Phänomene zu untersuchen, könnte man behaupten, wäre nur mit aufwendiger Didaktik möglich; aber dies ist nicht der Grund, daß angewandte Kunst, Kunst mit Produktbezug und Dokumentationen von Werbefeldzügen in Art & Pub so starr miteinander verschnitten worden sind. Der Grund liegt in der Organisation. Ein Teil wurde vom Centre de Création Industrielle gestellt, das zum Centre Georges Pompidou gehört: nämlich alle Bezüge zu „Architektur, Design, Visueller Kommunikation“ (der Begriff erweist sich in diesem Zusammenhang als besonders komisch: denn was sind wohl Gemälde, und zwar gute, anderes als „visuelle Kommunikation“?); den anderen Teil erarbeitete das Musée national d'art moderne, das ebenfalls im großen Raumschiff sitzt, aber institutionell nicht dazugehört.

Für die Übergänge von Kunst und Werbung, für den Zwiespalt zwischen Ambition und Job, für das Gefälle von musealer zu angewandter Arbeit oder andersherum stehen am besten Leute, die auf beiden Seiten tätig waren. Das Beispiel Toulouse- Lautrec nutzt Art & Pub, wie gesagt, nicht (= Maler wird Plakatmaler). Einzeln vorgestellt werden jedoch Fortunato Depero, El Lissitzky, Kurt Schwitters, Herbert Bayer. Allerdings sind die Beispiele, etwa von Schwitters' Arbeiten für Pelikan, letztlich zu dürftig, um auch nur eine Vorstellung davon zu bekommen, ob Kunst und Werbung für Schwitters subjektiv nicht zu unterscheiden waren, sich ergänzten oder einen Konflikt darstellten.

Herbert Bayer ist gewiß ein gutes Beispiel; seine Biographie ist ein Beleg dafür, daß der Übergang zur angewandten Kunst (Architektur/Fotografie/Graphik) selbst eine Form der Stellungnahme sein kann. Mit wenigen Photomontagen hat er sich in der Geschichte der Fotografie festgesetzt; als Propagandist der angewandten Kunst war er Schüler und Lehrer am Bauhaus; als künstlerischer Leiter, also „graphischer Journalist“, bei der 'Vogue‘; und in Amerika leistete er mit Gebäude- und Geländedesign einen frühen Beitrag zur corporate identity. Allerdings, wer das in Paris in Erfahrung bringen will, muß — stehend — einen einstündigen Videofilm über sich ergehen lassen, der noch zu Lebzeiten Bayers von einem John C. Barnard gedreht worden ist: Legendenbildung, unterlegt von Violinen, nach Paris ausgeliehen vom Bauhaus-Archiv, Berlin.

Viel deutlicher als an den Geschichten von Malern und Plastikern ist der Konflikt Kunst/Werbung bei fast allen Fotografen nachweisbar. Tatsächlich zeigt gleich der erste Raum von Art & Pub Fotografien von Eugène Atget, dessen Geschichte insofern ein ironischer Kommentar auf den Zusammenhang ist, als Atget die Malerkarriere kurz vor der Jahrhundertwende sausen ließ, also zu einer Zeit, wo die Maler sehr wohl, aber die Fotografen noch nicht im Konflikt zwischen Kunst und Werbung standen. Gleich in seinem ersten Berufsjahr als Fotograf — er war zweiundvierzig — entwickelte er jene fotografische Ikonographie der Pariser Straßen, die ihn fast sofort hat museumsreif werden lassen. Für Art & Pub hat man solche Fotografien von Atget gewählt (und durch weitere Fotografien von Jean und Albert Seeberger ergänzt), die das Paris der „affiches“, das plakatierte Paris zeigen.

Atget firmiert hier als Künstler, was schon dadurch belegt ist, daß es das Musée national d'art moderne war, das die Fotografien bei anderen Institutionen für diese Ausstellung ausgeliehen hat. Danach aber entschwinden die Fotografen dem Blick von Art & Pub. Allein ein Querschnitt durch das Werk des Mode- und Portraitfotografen Richard Avedon hätte gereicht, um zu zeigen, wie Kunst und Werbung Werke spalten und die Personen, die diese Werke hervorbringen, genau jenes „&“ sind, mit dem die Bewußtseinhälften verkoppelt werden.

Nicht weniger schwierig — aber noch lange kein Grund, das Thema zu unterschlagen — ist die Lage bei Rockvideos, die wohl insofern die bisher eigenartigste Verzahnung von Kunst und Werbung sind, als sie selbst das Produkt darstellen, das im Moment seines Erscheinens sein eigener „spot“ ist. Art & Pub ist aber von der bildenden Kunst her gedacht — von ihren Präsentationsformen und Formaten. Tafelbild und Vitrine bestimmen die innere Vermessung der Abteilungen und Räume. Die Höhe des fünften Stockwerks des Centre wird noch nicht einmal ausgenutzt. Spätestens im Raum der Architekturphantasten um Robert Venturi wäre doch eine Las-Vegas-Simulation fällig gewesen. Selbst das einzige große Plakat des legendären Plakatmalers Cassandre ist in einem Gang so präsentiert, daß es von den Stellwänden der gegenüberliegenden Abteilung links und rechts verdeckt wird, sobald der Betrachter den adäquaten Abstand gefunden hat.

Die Gesamtatmosphäre von Art & Pub ist dennoch nicht die einer Kunstausstellung, sondern die einer Messe. Dafür spricht schon der Eingangsbereich, in dem Werbespots über schräg von der Decke abgehängte Videobildschirme nonstop laufen. Die größtenteils sehr jungen Besucher sind dann schon etwas verwirrt und abgelenkt, wenn sie die Ausstellung betreten. Der Eingangsbereich ist markiert durch einige rote Tore, die in der Diagonalen aufgestellt sind. Vierfüßig, als im rechten Winkel miteinander verschweißte Doppeltore, sollen sie wohl das Bündnis von Kunst und Werbung symbolisieren, das hier gefeiert werden soll.

Gefeiert werden, legitimiert, vernebelt. Art & Pub ist dominiert von einem betäubenden Lärm, der zumeist aus Deckenlautsprechern kommt, die in unterhaltendem Tonfall Belehrungen zum Gegenstand ausstreuen. Weiteren Lärm machen Diatonschauen, Werbefilme, Filme über Werbung, Schwitters' Sonate in Urlauten. Das didaktische Material ist durchweg mit primitivster Popmusik unterlegt.

Tatsächlich ist Musik der Klebstoff, mit dem die Sphären von Intimität und Öffentlichkeit, Information und Propaganda, Didaktik und Diktat ineinander verschmelzen. Die Musik ist die Reklame der Reklame; sie ist der unablässige Herzschlag jener Einen Welt, gegen deren Unterwerfungsstrategien Orwells Visionen — weil sie visuell sind — etwas zutiefst Menschliches an sich haben. Godard (der sich sein Tonmaterial im Schneideraum anhört, ohne die Bilder anzusehen) weiß das, die Macher von Art & Pub wissen es nicht. Sie haben es nicht gewagt, die libidinöse Wucht der Reklame für ihre Zwanzig-Millionen-Francs-Ausstellung zu aktivieren. Aber sie konnten auch nicht widerstehen, etwas zu verkaufen; etwas, das sich in der Nachbarschaft des „&“-Zeichens wohlfühlt, das sich als breitgestreutes Interesse tarnt und von Indifferenz kaum noch zu unterscheiden ist.

Art & Publicité 1890-1990 , Centre Georges Pompidou, Paris. Bis zum 25. Februar 1991. Katalog 564 Seiten, 300 Francs