Regierungssitz auf kleinem Dienstweg erledigt

In der Frage des Regierungssitzes hat sich der Wind gegen Berlin gedreht/ Auch bei den Berlin-Subventionen drohen harte Einschnitte/ Mit Besuch in Bonn versucht Diepgen, Kürzungen abzumildern und wenigstens die Arbeitnehmerzulage zu retten  ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski

Gänzlich ungetrübt ist die Freude im Bundeskanzleramt über den Wahlsieg der CDU in Berlin nicht. Manches werde schwieriger, heißt es. Das betrifft vor allem die geplanten rigorosen Schnitte bei der Berlinförderung. Schließlich könne man mit Berlin künftig nicht mehr so umspringen wie unter einem rot-grünen Senat. Ein künftiger Regierender Bürgermeister Diepgen (CDU), der am vergangenen Freitag in Bonn das Gespräch mit Parteifreunden suchte, mag sicher bessere Karten haben als Momper (SPD), doch steht die Partie weder bei den Berlin-Subventionen noch in der Frage des Regierungssitzes gut für Berlin. Es brauchte nicht einmal der Ankündigung des bayerischen Staatsministers Goppel (CSU) Ende vergangener Woche, der Bundesrat werde notfalls vor dem Bundesverfassungsgericht gegen einen Umzug nach Berlin klagen, um die Stimmung deutlich zu machen.

Die Bonner Stadtväter können zufrieden notieren, daß in der Frage des künftigen Regierungssitzes die Zeit für sie arbeitet. Im Gegensatz zu den Berlinern, die mit einer aufwendigen Anzeigenkampagne auf die öffentliche Meinung zielten, haben die Bonner auf die persönliche Bearbeitung der Bundestagsabgeordneten gesetzt. Zahlreiche Empfänge, Sightseeing-Touren und nachdrückliche Hilfe bei der Suche nach einer Wohnung für die Neuen hat manchen aus der ehemaligen DDR dem rheinischen Kurort Bonn nähergebracht. Es sind zudem die kleinen Dinge, die im Urteil von Abgeordneten gegen Berlin sprechen: Angeführt werden beispielsweise die langwierige Anfahrt nach Berlin oder die fehlenden Tageszeitungen bei der letzten Sitzung im Reichstag.

Für viele Abgeordnete ist die Frage des Regierungssitzes bereits auf dem kleinen Dienstweg erledigt. Schließlich hat der Einigungsvertrag Berlin lediglich zur Hauptstadt bestimmt. Nach den kleingedruckten Protokollanhängen aber müssen Bundestag und Bundesrat einer Verlegung des Regierungssitzes zustimmen. Unsicher sei bereits, ob es derzeit für Berlin im Bundestag überhaupt noch eine Mehrheit gebe; noch eindeutiger gegen die alte Reichshauptstadt gerichtet aber sind die Verhältnisse im Bundesrat. Die Mehrheiten im Bundestag, davon geht man auch im Regierungslager aus, werden sich weiter zuungunsten Berlins entwickeln, je später über diese Frage entschieden wird. Der einsame Vorstoß des Innenministers und Berlin-Fans Schäuble (CDU), möglichst bald den Bundestag abstimmen zu lassen und den Bundesrat unberücksichtigt zu lassen, hat deshalb Stirnrunzeln im Bundeskanzleramt hervorgerufen.

Die Berliner, bei denen man mitunter den Eindruck hat, sie wollten den Regierungssitz vor allem, um mit den dann fließenden Geldern die drängenden strukturellen Probleme der Stadt zu lösen, müssen sich zugleich darauf einstellen, mit deutlich weniger Finanzmitteln mehr Aufgaben zu erfüllen. Die bei den Verhandlungen über eine große Koalition von CDU und SPD angekündigte gemeinsame Reise von Momper und Diepgen nach Bonn wird nicht zustande kommen. Zumindest bis Ende des Jahres gebe es dafür keinen Termin, heißt es. Im Klartext: Mit Momper hat man kein Interesse am Gespräch. Der designierte Regierende Bürgermeister Diepgen trat deshalb am vergangenen Freitag allein die Reise an den Rhein an, um die in den Koalitionsgesprächen festgelegte Generallinie für die angestrebten Subventionskürzungen noch zu beinflussen. Danach soll der Abbau der bisherigen Berlinförderung bereits im kommenden Jahr beginnen und bis 1994 „weitgehend abgeschlossen“ sein, wurde in der vergangenen Woche besprochen. Einzelheiten sollen noch in den Arbeitsgruppen festgelegt werden.

Enthalten in dem zur Kürzung anstehenden Paket von rund 11 Milliarden Mark indirekter Berlin-Hilfe ist auch die Arbeitnehmerzulage, die ehemalige „Zitterprämie“ — die immerhin acht Prozent des Bruttogehalts ausmacht. Zwar will man in Bonn an dem für 1991 vorgesehenen Abbau festhalten, doch deutet sich die Möglichkeit an, die Reduzierung der Arbeitnehmerzulage auf sieben Jahre zu strecken. Vor noch erheblicheren Problemen steht die ehemalige Mauerstadt bei den direkten Zuwendungen des Bundes. Als Zuschuß für den Berliner Etat hat das Bundesfinanzministerium für 1991 bislang 13,5 Milliarden Mark zugesagt. Das entspricht zwar der in den vergangenen Jahren für West-Berlin gezahlten Summe, doch soll die gleiche Summe nun für Groß-Berlin hinreichen. Die Ostberliner aber fordern allein für sich 10,6 Milliarden Mark, um drängende Aufgaben zu erledigen.

Als wahrscheinlichste Lösung, so deutet sich an, wird Berlin mit dem Sitz des Bundespräsidenten entschädigt und ansonsten bleibt alles beim alten. Daran wird auch das Verdikt des ehemaligen Leiters des Grundsatzreferats in der CDU-Parteizentrale, Schönbohm, nichts ändern. Der von Parteichef Kohl vor Jahresfrist Geschaßte spricht von einem „Triumph der Gartenzwerge“ und einem „späten und unverhofften Sieg des Kommunismus“ — letztere wollten schließlich Bonn immer auf Kosten Berlins die Hauptstadtfunktion zuschieben.