„Es ist, als ob man mit filigranem Besteck ein zähes Steak zerschneiden wollte“

■ Marianne Birthler, Bildungsministerin von Brandenburg, über „exemplarische“ Vergangenheitsbewältigung und die anstehenden Entlassungen von Lehrerinnen und Lehrern INTERVIEW

taz: Frau Birthler, Sie haben bei Ihrem Amtsantritt erklärt, daß Sie in der brandenburgischen Bildungspolitik die Vergangenheit „exemplarisch“ dokumentieren wollen, ohne einen Rachefeldzug gegen die Lehrerinnen und Lehrer zu starten. Glauben Sie, die jetzige Fragebogenaktion sei dafür ein geeignetes Mittel?

Marianne Birthler: Nein, der Fragebogen deckt ein ganz anderes Bedürfnis ab: Viele Bürgerinnen und Bürger sind der Meinung, daß sich nach den katastrophalen Entwicklungen in der DDR gerade auch im bildungspolitischen Bereich jetzt etwas verändern muß. Wir müssen auch personelle Konsequenzen ziehen. Damit hat der Fragebogen zu tun. Mit Aufarbeitung der Vergangenheit meine ich, daß wir hier in Brandenburg Strukturen aufdecken können. Wir können nachdenken über die Mechanismen, die Menschen dazu gebracht haben zu tun, was sie getan haben. Ich glaube, daß eine solche Diskussion die politische Kultur in diesem Land fördern kann.

Rechnen Sie ernsthaft damit, daß jemand auf solcherart Nachfrage zugeben wird, daß er oder sie für die Stasi Spitzeldienste geleistet hat?

Ja, ich rechne ernsthaft damit. Zum einen habe ich immer wieder deutlich gemacht, daß dieser Fragebogen nicht als Meßlatte verwendet wird. Es handelt sich um einen äußerst sensiblen Bereich. Es wird sehr viele Fälle geben, wo ein Gespräch nötig ist, das die näheren Umstände enthüllt. Zweitens gehört zu dem Fragebogen auch eine Einverständniserklärung, daß in Einzelfällen auch Einsicht in die Stasi-Akte genommen werden kann. Außerdem können falsche Angaben zur Kündigung führen.

Was passiert mit den Ehrlichen?

Bei den einen ist natürlich zweifelsfrei klar, daß keine Belastung vorliegt. Bei den anderen, daß sie für den öffentlichen Dienst nicht tragbar sind. Dazwischen gibt es eben einen ganzen Bereich, wo Gespräche geführt werden müssen.

Wie wollen Sie denn überprüfen, ob die Angaben richtig sind?

Selbstverständlich kann ich nicht mit 42.000 Leuten reden. Ich bin im Gespräch mit Kreisschulräten, die um Kriterien gebeten haben. Ich habe ein Interesse daran, daß wir in Brandenburg in etwa einheitlich vorgehen. Es gibt Leute, die Orts- und Personalkenntnisse haben. Es gibt ja schon vielfach Proteste und Kritik an bestimmten Lehrern, und da muß man dann genauer hingucken. Im Einzelfall ist natürlich mein Einverständnis dafür nötig, daß hier oder da in die Akten eingesehen wird.

Wer soll die Daten auswerten?

Das ist die Aufgabe der Personalbehörden.

Und was passiert dann mit den Daten?

Dieser Teil des Fragebogens ist nur eine Hilfe bei der Weiterbeschäftigung und Einstellung im öffentlichen Dienst und wird nicht gespeichert.

Heißt das, daß diese brisanten Daten nach einer ersten Auswertung vernichtet werden?

Darüber gibt es noch keine Entscheidung. Jedenfalls werden sie nicht Bestandteil einer mitwandernden Kaderakte werden.

Hätte es keinen effektiveren Weg der Auslese gegeben?

Eben nicht. Deswegen sind wir auf diese zugegebenermaßen nicht ideale Form gekommen. Aber wir brauchen irgendeinen Anhaltspunkt. Auf der einen Seite gibt es die Verantwortung den Betroffenen gegenüber; die muß man ernst nehmen. Andererseits gibt es eine große Verantwortung denen gegenüber, die gelitten haben unter einer nicht sehr menschenfreundlichen Verwaltung, unter Repressionen. Ich bekomme sehr viel Post, in der gefordert wird, den Dingen auf den Grund zu gehen. Wir haben schnellen Handlungsbedarf.

Und das Bündnis 90 trägt den Fragebogen trotz aller datenrechtlichen Bedenken mit?

Ja. Ich wäre wirklich dankbar, wenn mir jemand mal verrät, wie man mit diesem Problem auf eine andere Weise umgehen kann. Wir haben, wenn man rechtsstaatliche Grundsätze anlegt, natürlich ein sehr feines Instrumentarium in der Hand, das aber nicht für die Bedingungen hier gemacht worden ist. Manchmal ist es, als ob man mit einem filigranen Besteck ein ganz zähes Steak zerschneiden wollte.

Das Bundesfinanzministerium drückt darauf, daß sich das Zahlenverhältnis LehrerInnen/SchülerInnen in der ehemaligen DDR schnell dem altbundesrepublikanischen anpaßt. Das bedeutet doch im Klartext die Entlassung von Tausenden von LehrerInnen. Wie viele Lehrerinnen und Lehrer müssen in Brandenburg in der nächsten Zeit mit ihrer Entlassung rechnen?

Im Moment ist dieser Druck gar nicht so massiv. Es gibt Empfehlungen der Clearingstelle, die auf Untersuchungen der Kultusministerkonferenz beruhen. Dort ist eindeutig die Aussage enthalten, daß eine realistische Bedarfsermittlung für Lehrerstellen in den fünf neuen Ländern im Moment gar nicht durchführbar ist. Dazu braucht man unter anderem auch genaue Vorstellungen darüber, welche Schultypen sich mehrheitlich im Land entwickeln werden. Deshalb bin ich mit Zahlen sehr zurückhaltend. Wir werden natürlich im nächsten Jahr schon abbauen müssen. Aber das hält sich noch in Grenzen.

Vor dem Landtag haben Sie die Zahl 4.500 genannt...

Zu einem guten Teil werden das Vorruheständler sein. Und dann wird es natürlich auch Entlassungen im Zusammenhang mit den Fragebögen geben. Ansonsten ist es mein Ziel, bis zum Frühjahr, wenn der endgültige Haushalt verabschiedet wird, präziser sagen zu können, wie der vorläufige Bedarf ist. Wir können jetzt ja nicht einfach beliebig Schulen zusammenlegen, um auf die Bundesdurchschnittszahlen zu kommen.