Kolossaler Bauch mit Koliken

■ “Mal geht's, mal nicht“ / Mit dem obersten Techniker im Inneren der neuen Bremer Theatermaschine

hierhin bitte

das Foto

mit den

vielen

Scheinwerfern

Die neue Beleuchtungsbrücke

Das Theater ist ein kleines Guckkästchen in einem kolossalen Bauch, ein Kraftwerk zur Erzeugung von Bewegung. Es hat hierfür nötigenfalls hydraulische Maschinen, Zugketten, Pumpen und Stickstofftanks, im bremischen Falle alles neu, mehrere Millionen schwer, und funktioniert einfach nicht. Harald Stührenberg, seit Februar Technischer Direktor des Bremer Theaters, hat uns alles gezeigt.

Der Steuerstand. Bellen und grelle Schreie von unten, dann braust Musik. Kresnik probt seinen Lear. Wir stehen links von der Bühne, auf halber Höhe, vor einer Art Orgel mit vielen Lichtern und Knöpfen; es ist der Steuerstand für die Untermaschinerie. Sechs Bühnen-Abschnitte hintereinander, je zwei Meter tief und zwölf Meter breit, können von hier aus bis zu einem Meter versenkt oder bis zu zweieinhalb Metern angehoben werden. „Mit Zielfahrt“, sagt Stührenberg. „Sie geben hier, sagen wir, 1 Meter 47 in den Computer, der macht das automatisch.“ Oder eben nicht. Die neue Steuerelektronik steckt noch voller kleiner Teufeleien. „Wir wissen nie, was als nächstes ausfällt. Bei der Hamlet

Foto: Sabine Heddinga

Premiere zum Beispiel ließ sich plötzlich das Podium 4 nicht mehr anheben. Da mußten wir auf die Schlußverwandlung verzichten.“ Es war, sagt Stührenberg, immer mal wieder zum Verzweifeln. „Kaum war der Techniker von der Herstellerfirma Mannesmann-Rexroth weg, blieb wieder was stecken. Nahezu mystisch.“ Jetzt haben sie der Firma Mannesmann mühsam abringen müssen, daß der Techniker bleibt. Als Geisel? „Nein, einfach bis mal alles klappt. Er ist der einzige, der die ganze komplizierte Elektronik auswendig kennt. Da kommt er grade!“ Ein freundlicher Mann, er grinst.

Die Hebe-Podien. Wir sind jetzt direkt unter der Bühne. Katakombische Halle, zweifünfzig hoch. Wir sehen das Podium 1 mit Säulendurchgang, welches im Don Carlos gelegentlich hochfährt und Machthaber erhöht. „Wir können die Podien aber auch in Schrägstellung kippen. Und hier, sehen Sie, hier sind Lichtschranken eingebaut, daß keiner zwischen auf- und abfahrenden Podien zerquetscht wird. Da schaltet sich für zwei Minuten die Maschine ab. Neulich, da hat doch ein langer Statist aus Versehen die Schranke ausgelöst. Konnten wir wieder nicht hochfahren.“ Wo aber sind die Maschinen, die Himmel- und Höllenfahrten bewirken? „Ganz unten.“

Maschinenraum. Rohre, Streben, Riesenapparate, wirr und warr. „Da haben Sie die Hydromotoren für jede Hebebühne.“ Ein Hydro-, also ein hydraulischer Motor arbeitet wesentlich leiser als ein elektrischer und ist präziser zu regulieren. „Das ist“, sagt Stührenberg, „Maschinerie vom Feinsten!“ Auf Böcken sind lange, dicke Stangen gelagert, mit Kardanwellen verkoppelt. Das ist das Getriebe, welches die Hubkraft auf Zahnstangen an allen vier Ecken des einzelnen Podiums überträgt. „Sechs Motoren, und nebenan noch vier für die Seitenwagen.“ Das sind große, ganz flache Rollwagen, die man mit Kulissen bebauen kann. Über einen Kettenantrieb werden sie dann von der Seiten-auf die Hauptbühne gezogen. Aber womit werden diese Hydromotoren angetrieben? „Mit Druck“, sagt Stührenberg.

Druckraum. Wir schreiten eine Parade von Eisenflaschen ab. „Da ist hochkomprimierter Stickstoff drin, wissen Sie.“ Allerlei Rohrschlangen leiten den Druck zu den Hydromotoren, die ihn in Schubkraft verwandeln. Elektropumpen stellen dann mit günstigem Nachtstrom den alten Druck in den Flaschen wieder her. Warum Stickstoff? „Wir könnten auch mit sonstwas Druck speichern, aber Stickstoff ist ja korrosionsfrei, da rostet nichts.“ Wir gehen weiter, an Steuerschränken mit kunterbunten Lichtlein vorbei.

Der technische Direktor. Harald Stührenberg, mittelgroß, Haar kurzgeschnitten. Hat als Bühnenarbeiter angefangen, dann technischer Assistent in München, Stuttgart, Köln, Frankfurt, Berlin. „Jetzt müssen Sie sich noch was anschauen“, sagt er.“ Im hinteren Teil der Bühne, da steht seine neue Erfindung. Eine Luftkissenmaschine für Kulissen. Das Chorpodest aus dem Don Carlos, „das wiegt eineinhalb Tonnen, dann noch, rechnen wir 80 Kilo pro Sängerin, zweieinhalb Tonnen Chor drauf, das könnten Sie sonst nie bewegen.“ Im Don Carlos tanzen riesige Kulissenteile. Spielend, schwebend. Überall hat er seine Luftkissenmaschine eingebaut. „Das ist jetzt mein Stolz.“

Obermaschinerie. Unten ist Trommellärm und Gewimmel. Durchs Trittgitter sehen wir unter uns aus Acht-Stockwerks-Höhe Kresnik mit seinen Leuten. „In Stuttgart ist mal ein Gitterteil abgestürzt“, sagt Stührenberg. So? „Kann hier nicht passieren“, sagt er, „alles auf zwölffache Sicherheit angelegt. Von alledem ahnt man ja nichts, wenn man nur die Bühne sieht.“ Auch hier oben die Zugstangen, welche sonst Kulissenteile und Vorhänge halten, die Motoren und paar hundert Scheinwerfer: alles neu. Als er sich vorm Umbau hier vorgestellt hat, fand Stührenberg ein Theater vor, „das war Mittelalter. Keine Untermaschinerie, und oben bloß ein paar Stangen.“ Jetzt ist alles da, allein es funktioniert auch oben noch nicht. „Da sehen Sie“, sagt Stührenberg. Am Steuerpult blinkt eine Anzeige: „Antrieb gestört“. Manfred Dworschak