Links um, kehrt marsch, geschrammelt!

■ Klampfaltmeister Robert Fripp gab eine Einführung in höhere Gitarrenweihen

Als Musiker bei »King Crimson« erklomm er den Gitarrenhimmel, bereicherte Brian Eno und David Bowie und unterlegt bis heute verschiedene Bandprojekte. Seit fünf Jahren gibt er Gitarrenkurse mit Bewußtseinsbildung — »Guitar Craft«. Zum Beispiel auch letzte Woche in der UFA-Fabrik: Fünfzig Schüler entwickelten eine Beziehung zur Gitarre. Und alles nur, weil der Meister einst in die Sauna ging.

Robert Fripp lag im März 1983 etwa um halb zehn Uhr morgens in Greenwich Village, New York, in der Sauna eines Fitneßcenters und schwitzte, allein. Aber plötzlich hörte er Gitarrentöne. Eigentlich war er noch nicht zu lange in der Sauna und sein Herzrhythmus war normal, aber was noch viel rhythmischer klang und jetzt sogar von einer Wand zur anderen flog, waren diese Klänge, wunderbare Klänge.

Robert war ziemlich erstaunt und schwitzte jetzt noch stärker, aber da war mit einemmal wieder absolute Ruhe. Als er zu Hause war, nahm er seine Gitarre und spielte die Töne, die er gehört hatte, nach. Es waren von der tiefsten Note zur höchsten die Töne C, G, D, A, E, G, er stimmte die Saiten in dieser Reihenfolge, transponierte das Anfangsriff von Jimi Hendrix' Purple Haze darauf um, legte los und war begeistert. Alles lag irgendwie viel näher beieinander. Die Töne waren näher, es machte auf einmal einen Sinn, daß der Ton A jetzt auf der zweiten Saite, fünfter Bund lag. Warum das so war, wußte er nicht. Er probierte weiter. Mit den Akkorden und Melodien, die er gerade mit seinem Freund Adrian Belew für die Aufnahmen zu Three of a Perfect Pair geschrieben hatte, klappte es nicht so ohne weiteres. Wenn man ihn fragte, murmelte er immer nur, »etwas wäre zu ihm gekommen«, er könnte das aber nicht erklären.

Erklären kann Fripp sein Erlebnis in der Sauna in New York immer noch nicht, er will es nur mit allen, die das gerne möchten, teilen. Seit 1985 unterrichtet er eine spezielle Art des Gitarrespiels, das von einer speziellen (Saiten-)Stimmung ausgeht. In A Shortened Introduction to Guitar Craft schreibt Fripp ganz am Anfang:

„Guitar Craft sind drei Dinge:

1.ein Weg, eine Beziehung zur Gitarre zu entwickeln;

2.ein Weg, eine Beziehung zur Musik zu entwickeln;

3.ein Weg, eine Beziehung zu sich selbst zu entwickeln.“

Über 50 Gäste brachte der »Guitar Craft Course« von Fripp in die Räume der UFA-Fabrik, und die fand ich schnell: »Ja, das sind die Leute, die immer die Schuhe ausziehen, wenn sie in den Raum kommen«, meinte Mani von der Sambatruppe der UFA-Leute, »die findste alle im Gästehaus.« Und da saßen sie. Ohne Schuhe, aber mit Gitarren um den Hals, spielten sie. Alle. Zu dritt. Überall kamen sie raus, diese typischen Frippschen Klänge, etwa so: deng deng deng, da da di, da da di, deng deng deng... Dazu jede Menge englische Worte und vor allem Akzente. Die »Crafties« kamen aus allen Ecken Europas, außerdem war noch ein Kalifornier dabei; und ein Russe, der neben seiner Begeisterung für Frippsche Klänge als Psychologe in Moskau tätig ist. »Normalerweise müßte man für so ein Visum für Deutschland mindestens zwei Monate warten, aber ein Typ in der Botschaft fragte mich, was ich denn in Berlin wollte, und als ich den Namen Robert Fripp erwähnte, wurden seine Augen ganz groß, und es stellte sich heraus, daß er völlig King- Crimson-fanatisch ist. Ich hatte das Visum in zwei Tagen.«

Rotkraut und Tigerbalsam

Beim Betreten des dafür vorbereiteten »Dining-rooms«, der in gedämpftes Licht getaucht war, änderte sich das Verhalten der Crafties schlagartig. Waren sie eben noch angeregt am Schnattern und Dudeln, gaben sie jetzt kaum noch einen Ton von sich. Das Essen wurde von der Küchentheke aus verteilt: Kartoffeln, Rotkraut und ein Spieß mit Gemüse und einem Stück Fleisch, das sich allerdings als Imitat aus Soja herausstellte. Das Küchenpersonal rekrutiert sich bei dem »Guitar Craft Course« aus Schülern von Robert Fripp, die schon einige der verschiedenen Levels, die die Kurse graduieren, hinter sich gebracht haben. »>Kitchen Craft< ist bei der ganzen Sache genauso wichtig wie die Handhabung des Instruments«, erklärte mir Bettina, eine junge Ärztin aus Berlin, die bereits »level three« absolviert hat. »An einem bestimmten Punkt sind alle Fertigkeiten [>crafts<] ein und dasselbe, aber bis dieser Punkt erreicht ist, hat jede von ihnen ihre spezifische Arbeit zu leisten. Das Ziel jeder Fertigkeit ist es, den Anwärter diesen Punkt erreichen zu lassen, an dem sie mit anderen vereint ist.«

Alle nehmen Platz. Robert Fripp sitzt in der Mitte, im hinteren Teil des Saales, in dem die U-förmig angeordneten Tische stehen, und nickt mir wohlwollend und vielsagend zu. Es herrscht eine sonderbare Atmosphäre, man ißt ruhig und kontrolliert, fast schon rituell. Kein Handgriff ist unüberlegt, alles wird zur Übung. Mir gegenüber sitzt einer mit blonder Mähne und hessischem Akzent, der im Gegensatz zu den anderen männlichen Crafties auch kräftig gebaut ist. Er ist offensichtlich erkältet und massiert sich die Schläfen mit Tigerbalsam. Der Geruch vermischt sich mit dem des Rotkrauts auf meinem Teller. [Iß Jung, damit wat wirst und du weiterhin so schöne Ferienerlebnisse aufschreiben kannst! d. säzzer]

Plötzlich betreten vier weitere Crafties den Raum. Drei von ihnen haben eine »Ovation Shallow Body Cutaway« um den Hals, ein edles, teures Instrument, das Fripp in seinen Kursen bevorzugt benutzt und das man als Craftie ein bißchen billiger bekommt, denn »Guitar Craft Services« steht in Kontakt mit der Firma Ovation. Der einzige im Kurs, der keine »Ovation« hat, ist Andrei aus Moskau. Der vierte der hinzugekommenen Crafties hat eine Violine in der Hand. An den Tischen legen alle sofort das Besteck hin, und es wird wieder vollkommen ruhig. Bernhard Jugel, »Organizer« des Guitar-Craft-Kurses und Jugendfunkmoderator beim Bayerischen Rundfunk, erklärt mir: »Das machen wir immer so: Wenn jemand anfängt zu spielen, hören wir auf zu essen — auch wenn das essen dabei kalt wird.« Wer lernen will, seine Fertigkeiten zu entwickeln, muß als erstes nichts tun. Vor soviel Aufmerksamkeit würde jeder Musiker, der sein Geld in griechischen Restaurants verdient, glatt ohnmächtig werden. Bernhard erläutert, daß diese vier Crafties auch zum »Kitchen-Craft«- Team gehören.

In einem Halbkreis klampfen

Die spielenden »Kitchen Crafties« lassen gleichzeitig ihre Hände über die Saiten flitzen und jagen abwechselnd ihren stakkatohaften Anschlägen hinterher. Spielen können sie noch besser als kochen. Die anderen schauen unbeteiligt zu oder vor sich hin. Außer vereinzeltem flüchtigem Lächeln keine Regung. Nach etwa zehn Minuten gibt es einen anerkennenden und befreienden Beifall. Die »Kitchen Crafties« nehmen ihn mit erkennbarem Stolz entgegen, machen gleichzeitig auf der Stelle »links um, kehrt marsch!« und verlassen in einer schnurgeraden Reihe den Dining-room. Jetzt wird weitergegessen. Kalt.

Heute ist der dritte Tag des Kurses, der Tag, an dem die »Level-one- Crafties« ein einstudiertes Stück zum erstenmal vor den anderen und Fripp spielen. Sie ernten Beifall, und Fripp ist froh. Als nächstes sind 20 Gitarristen aus höheren Levels dran. Sie betreten den »Ball-room« in einer Reihe, stellen sich vor die in einem Halbkreis angeordneten Stühle, und es entsteht wieder dieselbe meditative Stimmung wie vorhin beim Essen. Sie nehmen Platz, stimmen die Gitarren nacheinander durch und beginnen, ein orchestral arrangiertes Stück mit Baßlinien, akzentuierten Akkorden und Melodien mit beeindruckender Präzision zu spielen.

Plötzlich ein paar Mißtöne. Fripp fordert die Crafties auf, es zu wiederholen. Diesmal gerät das Stück schon nach dem ersten Drittel ins Wanken. Fripp ruft laut dazwischen, und sofort wird alles still. Mit unterdrücktem Ärger in der Stimme fragt er, wie es dazu kommen konnte, daß zwei Schüler so blöd sein können, durch eine kleine Unaufmerksamkeit die hervorragende Arbeit von zwanzig Musikern zu zerstören. Und wieder fangen sie von vorne an, diesmal wird es perfekt. Applaus.

Fripp sieht seine gesamte Musikervergangenheit heute aus dem Blickwinkel von Guitar Craft. Rock'n'Roll-Legenden, die er auch mitgeschaffen hat, analysiert er als eine Mischung aus Manipulation durch die Musikindustrie und Ignoranz der Musiker, die »häufig viel zu sehr damit beschäftigt sind, durch ein äußerst bescheiden hervorgebrachtes, funkelnd-fetziges Geschrammel unseren Freund Musik zu hören, der zärtlich an die Tür klopft«. Fripp hat nichts gegen Rock'n'Roll und was dazugehört. Er kennt das alles in- und auswendig. Er weiß, warum sich so viele »richtige« Rock'n'Roller so verhalten: »Die Finger dreschen auf die Gitarre, weil wir mit zwölf alle glauben, das wäre die Vollendung. Die übertriebenen Bewegungen der rechten Hand hat er aus dem Rockvideo, das einen groovenden, aber unfähigen Stutzer verkaufen soll. Die heißen Gitarrenriffs versetzen uns sofort in eine Traumwelt aus jubelnden und verliebten Fans, genau wie im Kino.« Robert Fripp gibt über einzelne Musiker kein Urteil ab. Trotzdem: Henry Rollins könnte ihm gefallen. Axel Rose niemals, die »Pet Shop Boys« durchaus, »Milli Vanilli« wohl kaum. Marius Mons