STANDBILD
: Der Schaulust preisgegeben

■ "Tod über Lockerbie", Dienstag, 18.12., ZDF, 20.15 Uhr

Das Ritual ist bekannt. Auf jedem Flug stellen sich die Stewardessen an die Stirnwand der Kabine und demonstrieren mit pantomimischen Einlagen mit Slapstick-Charakter, wie eine Schwimmweste funktioniert, während vom Tonband die Sicherheitsratschläge abspulen. Mir ist nicht bekannt, ob eine Schwimmweste den Fluggast mehr in Sicherheit wiegt als ein Fallschirm, aber sie beruhigt anscheinend das Gewissen der Fluggesellschaften.

Zwei Jahre nach dem Bombenanschlag von Lockerbie, der drei Tage vor Weihnachten einen Jumbo der amerikanischen Fluggesellschaft PanAm vom Himmel holte und 243 Fluggäste und zehn DorfbewohnerInnen in den Tod riß, ist der Hergang des Attentats noch immer nicht endgültig geklärt. Aber soviel scheint sicher: Der Terrorakt hätte verhindert werden können, wenn die PanAm die Sicherheitsbestimmungen nicht so lasch gehandhabt hätte.

Der dokumentarische Fernsehfilm des britischen Senders „Granada Television“ hielt sich vorwiegend bei dieser Frage auf und kam zu vernichtenden Aussagen über die Sicherheitsphilosophie der Fluggesellschaft. Ein nach außen hin um Ansehen bemühtes Unternehmen bezeichnet seine Passagiere zynisch als „Ladekapazität“ und lanciert ein „Alert“-System, das mit Hunden aus dem Tierheim und Liftboys als Sicherheitsoffizieren schon fast Qualitäten eines Potemkinschen Dorfes entwickelt. Als Gipfel der Verlogenheit kassiert die Gesellschaft noch fünf Dollar Sicherheitsgebühr von den Fluggästen, um sie anschließend in andere Bereiche des maroden Betriebes zu stecken. Derweil hampeln freundliche Stewardessen mit gelben Plastikschläuchen herum, die sich bei der gelungenen Notwasserung per Preßluft zur rettenden Halskrause aufblähen.

Über eine eindringliche Schilderung der profitgeilen Mentalität der Fluggesellschaft kam das nachgestellte Filmprotokoll jedoch nicht hinaus. Ob iranische Politiker die palästinensische Terroraktion unterstützt haben, um den Abschuß der iranischen Zivilmaschine durch den US-Kreuzer Vincennes zu rächen, läßt sich noch immer nicht schlüssig belegen. Und wie die Kofferbombe an Bord gelangen konnten, ist weiterhin der Spekulation überlassen. So kann der Film nicht dem Vorwurf entgehen, mit der fiktiven Aufbereitung vor allem eines erreicht zu haben: eine der Schaulust preisgegebene Rekonstruktion zu liefern, die sich von üblichen Katastrophenspielfilmen nur dadurch unterscheidet, daß hier wirkliche Menschen ums Leben kamen.

Zwei Lehren lassen sich allerdings aus dem Fernsehfilm ziehen: Nichts ist einer japanischen Elektronikfirma und einem Fernsehensender makaber genug, um auch angesichts der Tatsache, daß durch die in diesem Radio versteckte Bombe über 250 Menschen sterben mußten, weiterhin penetrant „product placement“ zu betreiben. Und zweitens: Neben dem theatralischen Aufblasen der Schwimmwesten vor Flugbeginn wird sich der Fluggast damit abfinden müssen, daß auch die anderen Sicherheitskontrollen vor allem einem Zweck dienen — dem Showeffekt. Christof Boy