Hermanns Schildkröten

■ Die „Teenage Mutant Hero Turtles“ auf der Leinwand

Mein Freund Hermann, ein durchaus intelligenter Mann von 32 Jahren, läßt jeden Samstag punkt 13.50 Uhr seinen Kaffeelöffel fallen und schaltet die Glotze an. Das obskure Objekt seiner Tele-Begierde: die Kinderstunde, genauer gesagt, vier amerikanische Comic-Schildkröten, die Teenage Mutant Hero Turtles. Hermann ist kein TV-Zombie, im Gegenteil, normalerweise hegt er eine abgrundtiefe Verachtung für die Flimmerkiste. Die Rechtfertigung für seine Ausnahmeregelung für Samstag, 13.50 Uhr ist dennoch absolut logisch: Die Turtles sind grenzenlos bescheuert, meint er, die Geschichten sind voller blöder Gags und unglaubwürdiger Charaktere. Außerdem habe die Zeichentrickserie nicht den geringsten pädagogischen Nährwert. Kurz: Die Filmchen sind völlig bedeutungslos, ohne Aussage und ohne Ästhetik. Und das, findet Hermann, ist der höchste Gipfel der Unterhaltung.

Als Baby-Schildkröten wurden Hermanns vier Helden in einen New Yorker Gulli gekippt. Dort kamen sie mit radioaktivem Abfall in Berührung, was zur Folge hatte, daß sie anfingen, wie verrückt zu wachsen und sprechen konnten. Die Ratte Splinter, die einst bei einem japanischen Ninja-Meister als Haustier in Diensten stand, erlitt das gleiche Schicksal. Splinter adoptiert die Turtles, nennt sie Raphael, Leonardo, Michelangelo und Donatello und bildet sie zu Ninja-Kämpfern aus. Die Hauptnahrung der Turtles ist Pizza, die sie sich telefonisch direkt in ihren Abwasserkanal liefern lassen. Ihr Gegner ist Shredder, eine Art japanischer Darth Vader, der in den New Yorker Straßen für gesetzwidrige Action sorgt. Schützenhilfe bekommen die Ninja-Turtles von der blassen Fernsehreporterin April O'Neil.

Als bekannt wurde, daß die Amis aus den Kriechtieren einen abendfüllenden Spielfilm machen und damit dem Schwachsinn die Krone aufsetzen wollten, war Hermann ganz aus dem Häuschen. Ein paar Monate später wurde bekannt, daß in den USA die Turtlemania ausgebrochen war. 130 Millionen Zuschauer hatten sich die grünen Reptilien im Kino nicht entgehen lassen. Als es endlich auch bei uns soweit war, schleppte ich Hermann mit in die Pressevorführung. Aber schon das Programmheft machte ihn stutzig. Dort stand: „Zeichentrick? Nein danke! Im Kino sind wir echt.“ Mit „echt“ waren die Puppen gemeint, die letzte Arbeit des Muppet-Vaters Jim Henson vor seinem Tod im Mai dieses Jahres. Nach der Vorführung war Hermann fix und fertig. „Was für ein Mist“, versuchte ich ihn aufzuheitern. „Viel schlimmer“, seufzte er, „es war Durchschnitt.“ Aber dann leuchteten seinen Augen plötzlich wieder, er zupfte seine Trenchcoat zurecht und meinte gelassen: „Die Kids werden den Film zweifellos lieben. Überlassen wir ihnen das Kino. Uns bleibt immer noch die Kinderstunde.“ Karl Wegmann

Steve Barron: Turtles , mit Judith Hoag, Elias Koteas, James Saito und ein paar Puppen; USA 1990, 93 Min.