KOMMENTAR
: Keine Lust auf Schleudersitze

■ Walesas Dilemma mit der Regierungsbildung

Daß der Warschauer Anwalt Jan Olszewski seine Versuche, eine Regierung für Lech Walesa zusammenzustellen, aufgegeben hat, kann nicht wirklich überraschen. Ein Premier oder Minister unter Walesa sitzt ohnehin auf einem Schleudersitz. Wenn zudem noch klar ist, daß im Frühjahr ein neues Parlament gewählt wird, dann ist das nur noch ein Grund mehr für die potentiellen Regierungsmitglieder, bis dahin abzuwarten. Genau aus diesem Grund hätte Walesa Mazowiecki auch gerne als Übergangspremier behalten. Jetzt scheint es ganz so auszusehen, als würde Mazowiecki länger Premier bleiben müssen, als ihm lieb ist. Vizepremier Balcerowicz, der sich ganz offensichtlich seinen Platz in der künftigen Regierung Walesa schon vor den Wahlen ausgehandelt hatte, attackierte denn auch in der entscheidenden Sitzung des Ministerrats heftig den Rücktrittsbeschluß Mazowieckis.

Nun gibt es gleich mehrere Szenarien für die nächsten Wochen: Walesa kann nach und nach alle seine insgesamt noch sechs Kandidaten mit der Regierungsbildung beauftragen, bis es dann einem von ihnen tatsächlich gelingt, etwas Regierungsähnliches zustande zu bringen, beziehungsweise bis der Termin für die Neuwahlen ohnehin ansteht. Oder er kann, mit der Begründung, eben keine Regierung zustande zu bringen, die Neuwahlen noch weiter vorziehen und das Parlament auflösen. Nur dieses Parlament ist gerade nicht daran schuld, daß keine Regierung zustande kommen will.

Eine Regierung nach dem Parteienproporz der Gruppierungen, die Walesa unterstützt haben, will Walesa nicht — im Gegensatz zu Olszewski, der eine solche ausgelotet hatte. Eine Regierung unabhängiger Fachleute kriegt er nicht — weil die Fachleute nicht auf den Schleudersitz wollen. Auch nach den Parlamentswahlen wird dieses Dilemma nicht einfacher werden: Dann muß Walesa eine Regierung vorstellen, die nicht nur die Bevölkerung überzeugt, sondern auch eine Mehrheit im Parlament findet.

Wie er dann noch Balcerowicz, den Finanzminister der Mazowiecki-Regierung, halten will, gegen dessen Linie fast alle Walesa unterstützenden Gruppierungen Wahlkampf gemacht haben, das wird wohl sein Geheimnis bleiben. Nicht von ungefähr tauchen daher bereits jetzt die ersten Spekulationen über die Gründung einer „Präsidentschaftspartei“ auf — ähnlich dem „Unparteiischen Block der Zusammenarbeit mit der Regierung“, der in der Zwischenkriegsrepublik das parlamentarische Standbein des Marschalls Pilsudski bildete. Klaus Bachmann