Walesa findet keinen Regierungschef

Jan Olszewski, der designierte Regierungschef, gibt auf/ Walesas Konzeption und die Ambitionen der künftigen Regierungsmitglieder sind nicht unter einen Hut zu bekommen / Bleibt Mazowiecki?  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Der erste Versuch, eine neue polnische Regierung zu bilden, ist vorerst gescheitert. Am Dienstag abend erklärte Jan Olszewski, der Warschauer Anwalt, der von Walesa bereits vor dessen Wahlsieg mit Sondierungsgesprächen beauftragt worden war, er sehe sich nicht imstande, seine Ansichten über die Zusammensetzung der Regierung mit den Zielsetzungen Walesas unter einen Hut zu bekommen, und gebe daher seine Aufgabe ab. Nach Zeitungsberichten geht dies vor allem auf unterschiedliche Vorstellungen über die politische Zukunft des bisherigen Finanzministers Balcerowicz zurück.

Walesa, so berichtete die 'Gazeta Wyborcza‘, bestehe darauf, daß Balcerowicz weiterhin die Zügel der Finanzpolitik in der Hand behalten müsse. Ein Großteil der Gruppen und Parteien, die Walesa bei der Wahl unterstützten, war allerdings mit der Forderung angetreten, eine Abkehr von dem harten Sparkurs von Balcerowicz durchzusetzen.

Hinzu kommt, daß Walesa bereits im Vorfeld seiner Wahl deutlich gemacht hatte, es sei künftig mit häufigen Regierungswechseln zu rechnen, er werde Premierminister austauschen „wie Stoßdämpfer“. Angesichts der Tatsache, daß wahrscheinlich bereits im Frühjahr vorgezogene Parlamentswahlen stattfinden werden, ist ein Posten in einer Quasi- Übergangsregierung für die meisten der potentiellen Minister kaum erstrebenswert. In diesem Zusammenhang ist auch Walesas Versuch zu sehen, die Regierung Mazowiecki bis zum Frühjahr noch im Amt zu halten. Bis dahin dürfte es Walesa kaum gelingen, ein Wunschkabinett zusammenzustellen. Zugleich braucht er aber eine überzeugende Mannschaft, um der Bevölkerung auch psychologisch klarzumachen, daß seine Wahl tatsächlich einen neuen Anfang bedeutet. Walesa hat darauf mit der Äußerung reagiert, außer den bereits bekannten Premierkandidaten — darunter zählen neben Olszewski, Walesas Wahlkampfleiter Jacek Merkel, der nationale Katholik Antoni Macierewicz und der Chefredakteur der Danziger Tageszeitung 'Gazeta Gdanska‘, Adam Kinaszewski — gebe es noch drei andere, die er vorläufig noch geheimhalten wolle.

Einstweilen kursieren in der Presse auch mehr Namen von Kandidaten, die ein Amt abgelehnt haben, als von solchen, die zur Übernahme von Verantwortung bereit sind. Walesa beabsichtige eine überparteiliche Regierung aus Fachleuten zusammenzustellen, unter ihnen selbstverständlich auch der bisherige Finanzminister Balcerowicz.

Angesichts dieser Komplikationen erscheint es also nicht ausgeschlossen, daß sich die Regierungsbildung hinzieht. Zumal Walesa erst am Samstag vereidigt wird, in Anwesenheit des bisherigen Exilpräsidenten Kaczorowski, der Walesa im Warschauer Königsschloß dann die Insignien übergibt. Damit wird die Macht an Walesa nicht von General Jaruzelski übergeben, sondern von der Londoner Exilregierung, die sich nach Polens Besetzung durch deutsche und sowjetische Truppen 1939 in London gebildet hatte. Der im Exil arbeitende „Nationalrat“ wird noch bis zu den ersten freien Parlamentswahlen amtieren und sich wie die Exilregierung danach auflösen.