Vollkommene Abweichung

■ Jerry Zeniuk in der »daadgalerie«

Kaum jemand kann sich Farbbilder klar vorstellen. Die Farben im Kopf sind schwach, gewinnen keine Leuchtkraft, können nur grob temperiert werden. Neben einem blauen Feld ein grünes, darüber ein Rot — und schon sieht man nur noch unruhiges Gewölk. Das 'Bild‘ hält nicht. Obwohl man zu wissen meint, wie das Bild auszusehen hat, sieht man es nicht. So ergeht es auch Farbexperten. »Ich weiß, wo ich ankommen muß, aber ich weiß nicht, wie ich dort ankomme. Jeder Schritt ist unsicher. Ich habe eine formale Konzeption von meinen Bildern; sie gibt den Bildern ihre Ordnung. Aber sie ist nicht als Konzept übersetzbar. Sie ist das, wohin ich gelangen muß und zwar durch die Art, wie ich male«, sagt Jerry Zeniuk über sich und seine Malerei. Er plant sein Vorgehen, will aber den Unabwägbarkeiten und Zufällen im Prozeß des Malens eine Chance sich zu äußern lassen. Damit gehört er zur zweiten Generation konzeptueller Künstler, die der Erfahrung und der Umsetzung der Konzepte größeren Wert beimessen.

Jerry Zeniuk, geboren 1945, aufgewachsen in den USA, malt nach Philosophie-, Geschichts- und anschließendem Kunststudium seit 1971 ungegenständliche Farbbilder. In knapp zwanzig Jahren hat er sich eine Farbwelt von präzise 131 Bildern erarbeitet. Jedes ohne Titel und chronologisch durchnumeriert. Mit einer provozierenden Langsamkeit, die jeden Galeristen zur Verzweiflung bringen müßte, gibt Zeniuk nur aus der Hand, was seinem Vollkommenheitsideal standhält. Manche Bilder dauern Wochen und sind so durchgearbeitet, daß er es sich leisten kann, Fehler (»flaws«) und Unzulänglichkeiten als Qualitätsmerkmale zu akzeptieren. Sein Perfektionismus ist so horrend, daß er in die ansonsten seltene Verlegenheit kommt, Fehler in eine Arbeit hineinzukorrigieren, um die Betrachter nicht mit Makellosigkeit zu langweilen. Aber wie sorgfältig müssen die BetrachterInnen ihr Wahrnehmungsvermögen ausrichten, um diese Abweichungen als solche zu erkennen und zu wissen, warum. Denn dies wird durch die Tatsache verschärft, daß das, was zu sehen ist, der Beschreibbarkeit entgeht. »Ich will, daß meine Bilder so unfaßbar (elusive) sind, daß man nichts sieht. Ich will keinerlei Anspielung auf etwas anderes. Man sieht ein Bild und vergißt eigentlich dabei nie, daß es ein Bild ist; man hat die räumliche Erfahrung, aber so, daß man nie einen meßbaren Raum vor sich hat; man kann nicht mit dem Finger darauf zeigen, man kann ihn nicht beschreiben.« Ob sich diese selbstreferenzielle Malerei knacken läßt, indem man eine Abweichung von der ästhetischen Anordnung aufweist, kann jetzt an zwölf Bildern in der »daadgalerie« versucht werden. Dabei wird sich wohl wieder bestätigen, daß Zeniuk vor allem ein Maler für Maler ist. Zeniuk figuriert als eine Art graue Eminenz in der Malerei und dies vielleicht deshalb, weil er — trotz seines Perfektionismus — kein Ergebniskünstler ist. Die Qualität seiner Malerei liegt nicht im 'fertigen‘ Bild, sondern im Verlauf seiner Arbeit und im Ethos gegenüber seinen Mitteln; es liegt nicht im Produkt, sondern in der Produktion. Das macht ihn für andere MalerInnen interessant und glaubwürdig.

Zeniuk begann Anfang der 70er Jahre die Malerei auf ihre Grundlagen zu überprüfen und machte einen überlegten Umgang zum Prinzig: Malgrund, Bildträger, Farbe, Malinstrumente, subjektiver Anteil, Sehbedingungen waren für ihn nicht einfach gegeben sondern höchst fragwürdig. Aus dieser Umsicht entwickelte er seine Malerei, zögernd, aber konsequent.

Der Gang durch die Ausstellung hinterläßt — sicher nicht für jeden — ein seltsames Gefühl der Leere. Da ist dieser Maler so radikal durch die Farbe gegangen und kommt nun in den jüngsten Bildern gebrochen zurück. Die Dichte und Festigkeit der monochromen Bilder aus den 70ern veränderte sich in den frühen 80ern zu wellenartigen All-overs und bricht nun in helle, leuchtende Farben mit sichtbaren Pinselstrichen auf. Ein Weg ins Offene, Instabile. Die entscheidenden Bilder werden sicher noch gemalt werden. Peter Herbstreuth

»daadgalerie«, Kurfürstenstr. 58, tgl. 12. 30-19 Uhr, 1. und 2. Weihnachtsfeiertag geschl., bis 13. Januar.