Eine unendlich schlechte Geschichte

Foto: Ilse Buhs

Was tun, wenn man unbedingt ein bestimmtes Stück aufführen will, aber die kleine Bühne des Zimmertheaters das eigentlich gar nicht erlaubt? Man läßt ab davon, oder mauschelt das Stück kurzerhand um.

Dürrenmatt steht auf dem Programm im »Intimen Theater« — nomen est omen. Der große Schweizer - weithin bekannt dafür, daß seine Regieanweisungen auch schon mal länger sein können, als der gesamte Sprechtext — ist keine leichte Aufgabe für eine kleine Bühne. Das Intime Theater unter Leitung von Joachim Kerzel hat es dennoch gewagt, Portrait eines Planeten auf den Spielplan zu setzen.

Der Planet, das ist unsere Erde. Wenn das Stück beginnt, hat ihre letzte Stunde bereits geschlagen. Denn die Sonne ist im Begriff eine »Supernova« zu werden. Was das für die Menschheit und alle übrigen bedeutet, läßt sich denken.

Mit der neutralen Chronistenpflicht des Schweizers porträtiert Dürrenmatt den blauen Ball noch ein letztes Mal mit sparsamen sprachlichen Mitteln, sehr global, sehr theatralisch.

Vier Götter. Acht Personen. Vierundzwanzig Szenen. Ein Bilderbogen menschlicher Zivilisation. Aufgereiht wie eine Perlenkette — ohne Rücksicht auf Cronologien oder Identitäten stellen acht SchauspielerInnen, die auf so urväterliche Namen wie Adam, Eva, Kain und Abel hören, das allenthalben bekannte Erdentheater dar.

Kriege dominieren Dürrenmatts visionären Schnappschuß. Globale und private, taktisch geführte Entlastungskriege und — seltener — die aus wahrer Leidenschaft angezettelten Feden. Vernichtungsschlachten, Bombenopfer, Hurrikane, Ehekriege. Die komplette Palette der Zerstörung. Als könnte die Menschheit die Katastrophe nicht abwarten, mordet und leidet sie gefesselt bis zum großen Knall.

Viele Tote gibt es — und noch mehr Irre. Der berühmte Maler, der auf der Suche nach dem wahren Ausdruck schließlich nurmehr das Nichts ausstellt. Der Staatspräsident — in seiner Allmachtsphantasie gefangen — der seinem wissenschaftlichen Berater befiehlt, die sich ankündigende Supernova zu verhindern. Die Hure, die mütterliche, die adelige, deren einziger Lebenssinn darin besteht, ihre Ahnen an Alter zu überrunden. Der 90jährigen bleibt keine Zeit mehr. Niemandem bleibt Zeit. Denn die Erde wird »hops gehen«. Und nicht etwa die im All sterbenden Astronauten schauen ihr dabei zu, sondern vier gelangweilte Götter, die kurz rasten auf ihrer Wanderung durch die Unendlichkeit der Milchstraße.

Das »Portrait eines Planeten« ist zynisch durchkomponiert, facettenreich, direkt und unpsychologisch. Es setzt auf ein Mindestmaß äußerlicher Mittel. Wirkt durch aktuelle Bezüge: Vietnam, Klimakatastrophe, militärische Gigantomanie. Es geht um Glück, Gerechtigkeit und Wahnsinn.

Die einzelnen Szenen sollen ineinanderfließen, lassen sich nur schwer trennen. Der Bühnenraum bleibe leer, spricht der Autor, es brauche lediglich drei Abgänge: einen links, einen rechts, einen in der Mitte.

Was aber tun, wenn ausgerechnet die fehlen?

Zur Lösung ihrer inszenatorischen Probleme verfällt das Intime Theater auf die wohl unpassenste Lösung: Eine Erzählerin — es soll wohl ein neugieriges kleines Mädchen sein - findet zu Beginn des Stücks in einem Space-Look-Koffer ein Buch und beginnt — natürlich — zu lesen... Michael Ende läßt grüßen.

Es ist so schrecklich wie eine unendliche Geschichte. Die kompletten Regieanweisungen, alles, was Theater eigentlich zeigen sollte, wird hier vorgelesen. Insgesamt wirkt das Ganze so fesselnd wie eine technische Schauspielübung. Die SchauspielerInnen kleben an der Kulisse, warten aufgereiht wie Marionetten auf ihr Stichwort. Treten hervor, agieren, folgen den Anweisungen des kleinen rothaarigen Mädchens und kitten sich wieder in die Dekoration.

Der Versuch, das Minimal-Abstrakte noch zu entkleiden, ist gescheitert. Bar der ohnehin schon wenigen von Dürrenmatt geforderten — und nötigen — Requisiten, ohne die kleinste visuelle Stütze spielen und lesen die Personen sich buchstäblich Seite für Seite durch das Stück. Jeder Ansatz einer atmosphärischen Stimmung wird konsequent niedergewalzt. Einzig die Story bleibt ermattet zurück.

Nichts entsteht. Nichts beeindruckt, außer vielleicht die Unverfrorenheit der Regie. Klaudia Brunst

Am 21./26./28./12. um 20.00 Uhr und am 31.12 um 19.00 Uhr im 'Intimen Theater'