Der Weihnachtsstern — nur eine Projektion

■ Eine astronomische Lehrstunde im Planetarium

Am S-Bahnhof Priesterweg glimmen die Lichter der Innenstadt nur noch aus der Ferne herüber. Die Luft ist kalt und feucht. Ein Tag, der wie im Blade Runner nicht richtig hell werden will. Kein Weg führt ins Planetarium. Die Erwartungen sind verwirrend: endlich mal wieder den Blick in einen fast vergessenen, klaren Sternenhimmel richten können, einen Hauch von Urlaub genießen, Odyssee im Weltraum, eine kribbelnde Melancholie oder was weiß ich.

In der Eingangshalle verteilen sich nur wenige, die haben anscheinend Ähnliches im Sinn. Offenbar erwartet uns ein ruhiger, vielleicht gar besinnlicher Abend. Würde ja zum Thema passen. Über ein weites Rund führt der Weg in den kapellenartigen Kuppelbau. Die Sitzreihen sind seltsam diametral zueinander angeordnet. Im Zentrum des Raumes steht eine archaische, doppelköpfige Taucherglocke. In realitas handelt es sich natürlich um ein monströses Objektiv, dessen Hersteller dem Steglitzer Planetarium zu seinem Namen verholfen hat. Als wir uns setzen, bemerken wir, daß die Rückenlehnen auf leichten Druck hin nachgeben. Der Blick nach oben soll uns so erleichtert werden.

Doch dann, kurz vor 8, schlägt die beschauliche Stimmung plötzlich um. Ganze Schulklassen stürmen lärmend den Saal. Die Profis unter ihnen berichten laut, daß hinten die besten Plätze sind. Ein Besuch im Planetarium gehört nun mal zu jedem Klassenausflug dazu, versucht ein Lehrer entschuldigend zu erklären. In der vagen Hoffnung, der geräuschvollen Menschenflut entgehen zu können, wechseln wir noch schnell unsere Position. Eine Illusion. Mit der Simulation eines Sonnenuntergangs kommt kurz etwas Ruhe in die Kuppel. Das Licht verdunkelt sich sanft, kippt allmählich über ins Rötliche, bis erste Sterne am Firmament erkennbar werden. Erst langsam leuchtet uns ein opulentes Sternenpanorama entgegen. Ganz sacht setzen sich die Sterne in Bewegung, atemberaubend und wunderbar weich fahren sie über unsere Köpfe hinweg, übertrumpfen lässig die Bilder in 2001. Schmeichelnd untermalt Louis Armstrongs Wonderfull World die Szenerie. Blöderweise fallen mir nur Bilder aus dem Vietnamkrieg zur Musik ein. Ich grüble lange, welcher Film da wohl meine Assoziationen lenkt.

Was nun folgen soll, hat so gar nichts erhofft Mystisches. Eine weibliche, radiogene Stimme präsentiert innerhalb der nächsten knappen Stunde verschiedene astronomische Modelle zur Erklärung der Weihnachtsstern-Sage, die sie aber letztendlich alle wieder verwirft. Die Heiligen Drei Könige werden uns dabei als astronomisch gebildete Priester aus Babylon vorgestellt. Vermutlich hätten sie im Jahre 7 v. Chr. eine dreifache Konjunktion von Jupiter und Saturn beobachtet und sie astrologisch als Zeichen für die Geburt eines jüdischen Königs interpretiert. Nebenbei veranschaulicht die Moderatorin Phänomene wie den Halleyschen Kometen oder die Entstehung von Supernovas. Und natürlich weiß auch sie zu berichten, daß die Daten der Bibel historisch ziemlich widersprüchlich sind.

Nur leider klingt ihr Vortrag reichlich universitär und will so gar nicht zu meinen Erwartungen passen. Nach ihrem Vortrag bleibt trockene Ernüchterung. Das kindliche Postkartenmysterium Weihnachtsstern wurde als bloße Projektion auf die Ereignisse im Bethlehemer Stall entlarvt. Andreas Kaiser

»Der Weihnachtsstern«, 20 Uhr, Planetarium, Munsterdamm 90, 1-62