Den Senatoren gefiel es so, daß sie nicht hinaus wollten

■ Plegliche Behandlung des Jahres 1990: Von einem armen Hund, einer Senatorin hinterm Ofen und einem grünen Hahn

„Es war ein Mal ein Esel, der schon lange Jahre die Säcke zur Mühle getragen hatte, dessen Kräfte aber nun zu Ende gingen, so daß er zur Arbeit nicht mehr taugte. Da dachte der Herr daran, ihm kein Futter mehr zu geben.“

Bremen, Ende Dezember 1990: Ein dreiviertel Jahr bevor die WählerInnen wieder einmal entscheiden, ob sie weiterhin die Sozialdemokraten im kleinsten Bundesland füttern wollen, muß sich der realexistierende SPD-Senat ein bißchen so vorkommen wie die vier tapferen Oldtimer aus dem Märchen. Da tun und machen die Damen und Herren und am Ende eines Jahres ist dann, außer viel Arbeit und Ärger, kaum etwas gewesen.

Die Rolle des armen Esels gebührt ohne Zweifel Bausenator Konrad Kunick. Der nette Konny, der sich selbst als „Weltwirtschaftssenator“ bezeichnet und so gerne in allen Ecken der Welt für Bremens Häfen wirbt, womit mußte er sich herumschlagen? Mit Baggern, Pinseln und millionenschweren Kalkulationsfehlern. Um mit dem letzteren anzufangen: Neben der Stadthalle werkeln in diesen kalten Dezembertagen ein ganzer Schwung voll Bauarbeiter wie die Berserker an der wirtschaftlichen Zukunft Bremens. Und weil sowas bekanntlich nicht für einen Appel und ein Ei zu haben ist, wird das entstehende schöne neue Kongreßzentrum gleich doppelt so teuer wie geplant. Erst verrechneten sich die Statiker, dann wollte die Betreibergesellschaft Maritim das ein oder andere nette Extra dazuhaben, und so stand Konrad Kunick Anfang dieses Jahres vor der unangenehmen Situation, vom Senat einen 50-Millionen- Aufschlag für das jetzt 100 Millionen teure Prestigeobjekt verlangen zu müssen.

Doch mögen die Kassen noch so leer sein: Bestimmte Dinge muß man sich einfach leisten. Und so hieß das Motto: Augen zu und durch. Kunick bekam das Geld, Maritim seinen Nobelbau und setzte prompt darauf zum zweiten Streich an. Und der wurde dieses Mal gut terminiert mit dem Abbruchbagger geführt. Pünktlich zum Beginn der Osterferien rückte das Fahrzeug an und machte in Stunden aus einer Gründerzeit-Villa namens „Senatsgästehaus“ einen Haufen Schutt.

Der arme Konny konnte eigentlich gar nicht so recht dafür: Zwar hatte er die Abbruchgenehmigung unterschrieben, doch ausgehandelt worden waren Verkauf und Abbruch vor allem von der Senatskanzlei. Und der war es völlig schnuppe, daß das Gebäude unter der Voraussetzung „pflegliche Behandlung“ verkauft worden war. Und genauso schnuppe war es, daß eine Bürgerinitiative und ein Beirat sich gegen den Abbruch wandten, das Parlament erst noch entscheiden wollte und Maritim gar den Rückkauf angeboten hatte. Wieder hieß es Augen zu und durch. Kunick mußte ein Mißtrauensvotum über sich ergehen lassen und ein ärgerlicher Bürgermeister für diese Parlamentssitzung gar einen seiner Urlaube unterbrechen.

Doch damit noch nicht genug Kunick: Am Ende dieses Jahres hat es der Bausenator wieder mit den Folgen profaner handwerklicher Arbeit zu tun: mit weißen Strichen. Ein paar Pinseleien, mit denen Bahnen und Busse schneller gemacht werden sollen, bringen Heerschaaren von Autofahrern, Wirtschaftslobbyisten und Parteitaktikern langsam aber sicher um den Verstand. Die bösen Buben von der Jungen Union rufen inzwischen gar zur Anarchie auf bepinselten Strecken auf. Unbeeindruckt von all dem Trubel um ihn herum zieht der tapfere Konrad den ungeliebten Karren und schweigt und schweigt.

Doch auch andere haben ihr Päckchen zu tragen. So gebührt der Titel „armer Hund des Jahres“ eindeutig dem Senatsdirektor im Sozialressort, Hans-Christoph Hoppensack. Erst verließ ihn sein langer Senator Henning Scherf zwecks Bildungsreise ins neue Ressort. Da machte sich „Hoppi“ getreu dem Motto: „Etwas Besseres findest Du überall“ auf, um nebenbei die Sozialverwaltung in Mecklenburg-Vorpommern in Schwung zu bringen und vielleicht nach der dorigen Landagswahl ganz im Osten einzusteigen. Dann verlor die dortige SPD die Wahlen, und nichts war es mit einem neuen Job.

Statt dessen muß sich Hoppensack mit einem chaotischen Nachlaß des Ex-Sozialsenators Scherf herumschlagen, der Hans- Wendt-Stiftung. Die wurde, ohne daß es einer so richtig gemerkt haben will, geführt wie eine schlechtere Totobude. Und nun will es ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuß ganz genau wissen. Im Gegensatz zur neuen Senatorin Sabine Uhl, die von alledem nichts wissen will und die unangenehme Erbschaft weit von sich weist. Um so lauter beißt und bellt derzeit Hoppensack, damit der Untersuchungsausschuß möglichst seine Nase aus den Hans-Wendt-Geschäftsbüchern hält.

Zwichenzeitlich trieb Senatorin Uhl allerlei Späßchen mit Leuten, denen eigentlich gar nicht zum Spaßen zumute ist: Drogenabhängige Junkies sollten zunächst in Häuser einziehen, die gar nicht zum Verkauf standen, dann auf ein Schiff, das einfach nicht kommen wollte und mußten als letzten Ausweg dann in einen Bunker, aus dem sie aber auch umgehend wieder heraus sollten, weil nun AsylbewerberInnen einziehen sollten, die aber bereits in einem anderen Bunker waren. Haben Sie nicht verstanden? Macht nichts, ging uns auch so.

„Das versteh ich nicht“, mag auch Umweltsenatorin Eva-Maria Lemke-Schulte gedacht haben. Da wurde ihr zunächst großzügig ein Amt für Ökologische Stadtentwicklung zugestanden. Doch als es dann um ökologische Stadtgestaltung ging, hatte Evi schier gar nichts mehr zu sagen. Von wegen „schönes Wohnen im Europahafen“. Der bleibt Industrie und Gewerbe vorbehalten. Von wegen „sparsamer Umgang mit Flächen“. In der Hemelinger Marsch gibt es ein neues Gewerbegebiet auf grüner Wiese. Da mochte Lemke-Schulte im Senat noch so sehr ihr Stimmchen erheben, sie wurde mit stumpfen Zähnen wieder hinter den Ofen geschickt, um dort schön ruhig weiterzuspinnen. Und in der Partei findet sie auch nur noch bei einem tatkräftige Unterstützung, der dort aber längst zum grünen Tuch geworden ist: Herbert Brückner, einer der Politikaussteiger des Jahres, läuft für die Evangelische Kirche Sturm gegen seine Genossen. Ansonsten herrscht über allen Parteigipfeln Ruh'.

Ruhe nach dem Sturm ist in Sachen Müll eingekehrt. Nach dem der Bremerhavener Altvordere Werner Lenz die Bremer Genossen kurzfristig mit einem lauten Njet zur Verbrennung des Bremer Mülls in Bremerhaven paralysierte, gelang es den vereinten Bremer Spitzengenossen mit etlichen Pilgerfahrten gen Bremerhaven doch noch eine weitere Politikpleite abzubiegen. Jetzt soll kräftig recycelt werden, damit der Restmüll dann auch tatsächlich in die Bremerhavener Anlage paßt.

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, dachte sich die Umweltsenatorin auch beim Streit um das Weserkraftwerk. Von wegen. Denn den im letzten Jahr errungenen Titel als „Politisches Eiertänzchen des Jahres“ konnte das Projekt mit großem Abstand verteidigen. In unserem Computer haben wir inzwischen zwei neue Tasten belegt. So lassen sich wahlweise die Überschriften „Das Weserkraftwerk wird gebaut“ und „Geht Weserkraft den Bach herunter?“ einfügen. Die definitive Antwort ist erst für die Zeit nach den Wahlen im kommenden Herbst zu erwarten.

Nicht nur im Senat sind so manche Streiter müde und verbraucht, auch andere mußten schwer Federn lassen. Wie zum Beispiel der lauteste grüne Hahn, Ralf Fücks. Zweimal machte er sich auf den Weg nach Bonn. Beim ersten Mal wurde er nach kurzer Zeit wieder heimgeschickt, weil ein andere Gockel den Bundesgrünen besser gefiel. Das zweite Mal wurde er erst gar nicht in die Stadt gelassen, weil die WählerInnen des Gekrähs insgesamt überdrüssig geworden waren. Und so ist der Fücks still geworden, sitzt im heimatlichen Stall und grübelt über die Frage: „Wohin mit der verbliebenen Energie?“

Das haben andere, freiwillig Ausgestigene für sich längst entschieden. Da war mal einer mit halber Glatze und doppelter Stimme, den es vom hohen Senatorenamt auf's hohe Roß in Niedersachsen verschlagen hat. Da sitzt Horst-Werner Franke nun, und wenn er nicht gerade reitet, piesackt er seine Ex-Kollegen mit Visionen vom nahenden Ende der Bremer Selbständigkeit. „Narreteien“ flucht da schon mal der Bürgermeister im kleineren Kreis, weil er qua Amt dazu verpflichtet ist, das Gegenteil zu behaupten. Und Klaus Wedemeier, er behauptete nicht nur, er machte auch, zum Beispiel Urlaub. Und das just in der Zeit, als der Bremer Senat beim Verwirrspiel Ja oder Nein zum Staatsvertrag mit der DDR restlos den Überblick verloren hatte.

Doch wir wollen über den Bürgermeister nicht lästern. Ganz im Gegenteil. Spätestens seit dem Herbst ist Wedeklaus in großer Form, gleichsam ein Doktor Allwissend der Bremer Politik. Vom Kindergarten- über das Weserkraftwerks- bis zum Verkehrschaos, kaum ein Thema, das es dem Bürgermeister nicht wert wäre, zur Chefsache gemacht zu werden. Und so hat es uns doch mehr als verwundert, daß Klaus Wedemeier kurz vor dem Weihnachtsfest einen Termin abgesagt hat: die Öffnung des Adventskalenders vor dem Bremer Dom.

Was gilt es noch zu vermelden aus der kleinen Bremer Welt des Jahres 1990? Verdiente Genossen wurden, wie üblich, zu gut verdienenden Genossen. Wie zum Beispiel der altgediente Haushaltsaltvordere Wolfgang Klatt, der für 12.000 Mark Monatssalär gen Rostock zog, um sich dort auf eine bislang geheimgebliebene Art um den Aufbau der Wirtschaft zu kümmern. Oder wie der Ex- Senator im Wartestand Bernd Meyer, für den pünktlich zum Beginn der nächsten Wahlperiode ein 200.000-Marks-Job in der kommunalen Bauwirtschaft gefunden wurde.

Und dann gab es noch vier Wochen lang große Aufregung in Bremen. Die Giftgastransporte rollten durch den Hauptbahnhof gen Nordenham und lehrten so manchen das fürchten. Besonders geschickt organisierten viele SchülerInnen ihre Angst, so daß sich Henning Scherf von seiner verständnisvollen Seite zeigte und für die Tage des Transportes giftgasfrei gab.

Die besondere Bedeutung der Weserhäfen zeigt sich auch in den letzten Tagen dieses Jahres. Da findet in Bremerhaven eine gigantische Verschiffungsaktion von Kriegsmaterial statt. Von der norddeutschen Front des Kalten Krieges verabschieden sich die GI's in die heiße saudi-arabische Wüste. Und weil ja in der bremischen Politik viele Angst vor dem endgültigen Abzug der Amerikaner haben, enthält sich beispielsweise der Bremer Senat jedweder Bewertung des drohenden Golfkriegs, hält auch lieber den Mund zu möglichen Desertionen von GI's und kassiert statt dessen über die Bremer Lagerhausgesellschaft kräftig an der Verschiffung des Kriegsgeräts.

Bremen, Ende 1990: Vor dem Rathaus haben sich längst die Esel, Hunde, Katzen und Hähne der Opposition eingefunden, um die Damen und Herren drinnen baldigst aus ihren Ämtern zu jagen. Oder besser: Um selbst endlich mal ein klein bißchen mitmachen zu können. Den Bremer Stadtsenatoren aber gefiel's so wohl darin, daß sie nicht hinaus wollten. Und wenn Sie noch nicht gestorben sind, dann regieren sie uns immer noch. Holger Bruns-Kösters