: Milde entzog sich der Befragung
Hessischer Ex-Innenminister berief sich vor dem Untersuchungsausschuß auf das Auskunftsverweigerungsrecht/ Landesregierung verstrickte sich in Widersprüche ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Wiesbaden (taz) — Ausgerechnet der Mann, der noch immer als Urheber der hessischen „Affäre Staatskanzlei“ firmiert und in dessen Privathaus die ganze Malaise ihren Anfang nahm, entzog sich vor dem Untersuchungsausschuß des Parlaments, der gestern in Wiesbaden seine Arbeit aufnahm, über eine von seinem Rechtsanwalt vorgetragene Erklärung hochnotpeinlicher Befragung. Mit Verweis auf das laufende Ermittlungsverfahren gegen seine Person machte Ex-Innenminister Gottfried Milde (CDU) von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch. Damit, so Rechtsanwalt Weiler aus Wiesbaden, reagiere Milde auch auf die „beispiellose Hetze“ gegen sich und seine Familie, gegen die Vorverurteilungen in den Medien und aus den Reihen der Opposition. Das Recht auf Auskunftsverweigerung wurde Milde im Sitzungssaal 119M des Landtags nicht bestritten. „Wer befürchtet, daß er sich selbst belastet, wenn er vor diesem Ausschuß aussagt, der darf selbstverständlich die Aussage verweigern“, meinte Rupert von Plottnitz, der als Obmann der Grünen die härtesten Fragen an die Mitglieder des „Six-packs“ formulierte, die dem Ausschuß gestern Rede und Antwort standen.
Das „Six-pack“ waren die sechs Männer aus der Staatskanzlei, die am 22. Oktober 1990 in Mildes Privathaus in Darmstadt saßen, um sich — so Ministerpräsident Wallmann vor dem Ausschuß — über den V-Mann „Paule“ zu unterhalten. Der hatte nämlich ausgesagt, daß er persönlich die Bordellbrüder Beker zur Privatvilla des Ministerpräsidenten chauffiert habe. Wallmann hatte dagegen immer behauptet, daß er sich „niemals“ mit den Bekers getroffen habe. Obgleich der Frankfurter Polizeipräsident Gemmer der Herrenrunde bei Milde auf Anfrage telefonisch mitteilte, daß „Paules“ Aussage über ein Treffen Wallmann/Beker aufgrund der Fakten- und Aktenlage zu widerlegen sei, wollte Milde dennoch eine Attacke gegen den „Scheckbuchjournalismus“ reiten. Milde verwies auf ein Abhörprotokoll, aus dem klar hervorginge, daß der 'Stern‘-Journalist Kettner für belastende Informationen über den Ministerpräsidenten 150.000 DM geboten habe. Daß Milde dann zwei Tage später vor dem Landtag aus diesem Abhörprotokoll ganze Passagen zu zitieren gedachte, wollen die Mitglieder des „Six-packs“ dagegen im Vorfeld der Plenarsitzung nicht gewußt haben. Den Verfassungsbruch habe Milde ganz alleine geplant und durchgeführt — und deshalb habe der Minister vor Monatsfrist auch seinen Hut nehmen müssen. Vor dem Untersuchungsausschuß erklärte Ministerpräsident Wallmann gestern denn auch nachdrücklich, daß bei dem Treffen in Darmstadt nicht darüber gesprochen worden sei, ob und wann Milde gedenke, das Abhörprotokoll als politische Waffe einzusetzen. Gleichfalls habe keine der beteiligten Personen von Milde wissen wollen, wie er in den Besitz des brisanten Protokolls gelangt war.
Kurz vor High-noon wurde die Glaubwürdigkeit dieser Version der Vorgänge in Mildes Privathaus von Wallmanns Regierungssprecher Müller, der zum „Six-pack“ gehörte, allerdings schwer erschüttert. Müller hatte nämlich schon am Tag vor der Plenarsitzung, auf der Milde den Verfassungsbruch beging, vor Journalisten angekündigt, daß morgen die „Bombe platzen“ würde und die Schmierenjournalisten von Milde ordentlich einen „übergebraten“ bekämen. Ausdrücklich verwies Müller dabei auf Informationen der Landesregierung über den 'Stern‘-Journalisten Kettner und sein angebliches 150.000-DM-Angebot. Müller und die Herren aus der Staatskanzlei jedenfalls kamen gestern in arge Bedrängnis: Wie konnte Müller wissen, was Milde vor dem Parlament vortragen würde, wenn — wie bislang von den Beteiligten behauptet — in Darmstadt nicht darüber gesprochen wurde und Milde alles alleine geplant haben soll? Diese Widersprüche in den Aussagen der Beteiligten animierten den Zeugen Müller zum „Abtauchen“. Müller erinnerte sich an nichts mehr. Der Untersuchungsausschuß Affäre Staatskanzlei geht am 7. Januar in die nächste Runde.
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