Die Verklärung der Schnapsbohne

■ In den Karstadt-Auslagen träumen die süßen Massen von ihrem Himmelreich

Einer mußte es sagen: „Ischa nu wirklich zum Essen zu schade, nich?“

O du Kullerdicker neben mir, die kleine Schnapsbohne, hätte sie dich gehört, würde sich aufsparen für dich rein aus Rührung. Hier, in den Weihnachtsvitrinen des Kaufhauses, findet die gemeine Süßigkeit ihre Erlösung und ist einmal im Leben zu schade.

Nämlich Kunst. Lübecksche und bremische Rathäuser sehen wir und Kirchen und gemütliche Plätzchen, die im Leben schon aussehen wie aus Konditors Tortenspritze, und jetzt erst!

Persipantürmchen! Dragierte Eselchen! Kandisschnee! Güsse von Zucker in allen Farben! Werke, man denke, von Menschenhand!

Im Wert von, laut Ausschilderung, 300 Konditormeisterstunden! 350! Die flirrlichternden weißen Bäume in jedem Fenster sind leider bloß schaumbestäubte Schornsteinbesen. Aber verachtet nicht das Lumpenproletariat! Hier ist das Fest für alle Ware.

Auch die gemeine Schokoladetafel im Fenster von Sprengel ist erhöht und dient nun im Schokostädtchen dem Ganzen Platz als Pflasterung. Und dahergelaufene Mandeln wie wir sind in schiere Mauerzierde verwandelt, vom ornamentalen Genius des Lebku

hierhin die

Lebkuchenstadt

chens ganz zu schweigen.

Im Gedränge aber vor den Fenstern waltet, so oder so, immer nur der eine Gedanke. „Kann man die auch essen?“ quäkt ein Bub. O Kindertage! Städte fressen, der Depp! Freilich könnte man. Wenn!

Das ist ja doch das ganze Vergnügen für unsereinen, dieser sakrisch eventuelle Konjunktiv. Den Fraß, der Karriere gemacht hat, den verschonen wir, die Zuckermasse in Höchstform, die rühren wir nicht an, es ist zu schade. Kultur stoppt Gier.

In Wirklichkeit werden in ein paar Tagen die Leckereien in das kümmerliche Nichts der Kaufhausgondeln und Weihnachtsmänner-Einschmelzereien zurückfallen, dem sie entstammen. Bloß die Bremen-Installation von Hachez hat es zur festen Show- Anstellung gebracht. Sie ist seit fünf Jahren auf Karstadt-undsoweiter-Tournee, immer vor vollen Häusern.

Manfred Dworschak