Frische deutsche Putenschenkel

■ Rausch und Reichtum im Kaufhaus des Westen/ In Herties Prunkbau wird zu Weihnachten die D-Mark zelebriert/ Ein Spaziergang durch die erstaunliche Welt der noblen Waren

Halb Tauentzien, halb sank sie hin. Angezogen von den vielen bunten Lichtlein und Kerzchen hinter glänzenden Scheiben, fortgeschwemmt von einem reißenden Menschenstrom, fand sie sich plötzlich in einem Haus von unermeßlicher Größe wieder. Sie fiel aus ihrem Staunen in eine Eingangshalle, bis unter die Kuppel bewachsen mit nadligen Bäumen, behängt mit Flitter und komischen roten Kugeln. Davor standen, in Reih und Glied, hölzern wirkende Soldaten, eine Armee aus dem Erzgebirge. Zwergenhafte, hünenhafte, mit Gewehren bei Fuß oder im Arm, mit Tabakpfeifen in den Händen, die Zähne furchterregend gefletscht oder mit offenen Mäulern, aus denen so etwas wie Weihrauch quoll.

Die Besucherin war offensichtlich in einen Staatsakt geraten. Die Fahnen überall, das Gepränge und Gedränge, das stehende Heer... Doch was wurde da so martialisch gefeiert? Und was war das für eine komische Sitte, die Soldaten Weihrauch spucken zu lassen?

Auf einer Treppe stand eine Kapelle. Akkordeonklänge, drei Damen in Lila. Der Text war etwas unergiebig: tralali trala. Und niemand hörte zu. Jemand hatte seine gesamte Garderobe in der Gegend verstreut. Handtaschen. Krokodilledertaschen. Koffer. Gürtel. Seidentücher. Wolläppchen.

Aber es roch so gut. Die Luft war schwer und einschläfernd. Eine Dame nötigte sie stehenzubleiben, holte ein Fläschchen hervor und hüllte sie in einen aromatischen Nebel ein. »Poison!« Aha. »Christian Dior!« Oh bitte, ich kenne den Herrn doch gar nicht. Irgendwie fand sie das unhöflich.

Uhren, bunt. Uhren, glänzend wie Gold. Taschenuhren. Uhren auf Kissen. Chronoswiss, Wunder der Mechanik, 16.800 DM. Ketten. Ringe. Bombenförmige Ohrclips. Ein Papagei mit Smaragdaugen, 5.798 DM. Goldring mit Perle, 12.998 DM.

Langsam dämmerte es ihr: Preise waren das, Geld, Gold, aufgehäufter Reichtum. Nein, hier wurde kein Staatsakt zelebriert, hier wurde Staat gemacht. Sie hatte offenbar die Keimzelle des Staates gefunden. Hier wurden Staatsbürger ausgestattet und ausstaffiert. Wer bis hierher kam, gehörte dazu, hier wurde die neue Nation geboren. Oder warum sonst standen überall die Kindlein in der Krippe herum? Und deswegen auch die trotzige Verschlossenheit in so vielen Gesichtern. Es mußte furchtbar anstrengend sein dazuzugehören.

Glitzerpullover. Seidenhemden. Paillettenjacken. Ballkleider in Rausch und Tüll, Schleifen hier, Stoffschneckchen dort. Abschätzender Blick zweier Damen in Pelz: »Oh, that's french style.«

Sie wurde mit dem Menschengewühl heraufgerissen in den sechsten Stock. Hier wurde dem Staatsbürger offenbar vorgeführt, daß man auch an den Speisen sieht, ob einer dazugehört oder nicht. Hier war die Kolonialwarenabteilung, süß duftend, vielfältig, verwirrend, zusammengerafft aus den hinsterten Winkeln der Erde.

Ein Vorzeigeschwarzer in exotischem Gewande bot Früchte feil. Israelische Galia, chilenische Mellow Fruit, thailändische Duria, Zitronengras, Bananenblüten, Chili aus Martinique. Und die Apfelgehäuse nachher bitte an Brot für die Welt.

An verschiedenen kleinen Theken saßen dicke Staatsbürger, schmatzend, satt, zufrieden. Frische französische Küken, frische Hähnchenherzen, frische ganze Entenschenkel, frische deutsche Putenoberschenkel.

Gefüllter Schweinefuß. Straßburger Gänsestopfleber-PÛte. Lappländer Rentierschinken. Appenzeller Bauernschinken. Bauernschinken?

Kalbsfüße. Schweineschwänze. Pansen. Nieren. Rinderzunge. Gurgeln. Blutwurst. Sie trudelte, ihr wurde flau im Magen.

Dann der Fischgeruch aus einer anderen Ecke. Seeigel, Rochenflügel, Haisteak und Drachenkopf, dazwischen, extra geschichtet, Algensalat aus der Sowjetunion, Eismeermakrelen aus der Sowjetunion, russischer Stör in Tomatensoße.

Sie stürzte die Treppen hinunter, zum Ausgang. Aber bitte doch, Sie wollen unser Haus verlassen, ohne eine kleine Spende für unsere hungrigen Russen zu entrichten? Berlin hilft der Stadt Istra, Sie wissen doch. Und wenn Ihnen das nicht gefällt, hier in der Eingangshalle steht ein Trabi, bunt bemalt von Berliner Jugendlichen, das ist unsere Spendenbüchse für einen Lastwagenkonvoi ins sibirische Prokopjewsk. Unterstützt vom SFB und vom KaDeWe. Da sehen Sie: Hertie tut etwas gegen das Elend in der Welt. Ute Scheub