Erhebliche Differenzen über VKSE-Zahlen

Monitorverfahren potentieller Inspektionsobjekte auf sowjetischem Boden noch umstritten/ Verhärtet sich Moskaus Haltung bei Rüstungskontrolle nach Schewardnadses Rücktritt, oder wird die sowjetische Seite Korrekturen nachreichen?  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Der Rücktritt des sowjetischen Ausßenministers Schewardnadse könnte die aufgetretenen Differenzen über die Abwicklung des Mitte November unterzeichneten Vertrages über konventionelle Waffen (VKSE) verschärfen und möglicherweise bei noch laufenden Rüstungskontrollverhandlungen zu neuen Schwierigkeiten führen, so die Sorge US-amerikanischer Militär- und Diplomatenkreise.

Offiziell gilt nach wie vor, daß der START-Vertrag über die Reduzierung der strategischen Waffen beim Moskauer Gipfel vom 11. bis 13. Februar von den Präsidenten Bush und Gorbatschow unterschrieben werden soll.

Noch umstritten sind Fragen der Verifikation, deren technische Lösung nach Aussagen beider Genfer Verhandlungsdelegationen auf dem Tisch liegen. Ob es darüber auch zu einer Vereinbarung kommt, sei abhängig von der politische Entscheidung, bestimmte Inspektions- und Monitorverfahren auf dem jeweils eigenen Territorium zuzulassen. US-Offizielle schließen nicht aus, daß die sowjetische Haltung nach Schewardnadses Rücktritt künftig stärker von den Militärs bestimmt wird und sich verhärtet.

Dies war nach Aussagen von Vertretern des Pentagon der Fall bei den drei bilateralen sowjetisch-amerikanischen Treffen zur Überwindung des nach der VKSE-Unterzeichnung aufgetretenen Datenstreits. Die USA und mit ihr die anderen Nato-Staaten werfen Moskau vor, beim Datenaustausch zwischen Nato und Warschauer Vertrag eine Stunde vor Vertragsparaphierung am 18. November in Wien falsche Daten sowohl über Waffenzahlen wie über potentielle Inspektionsobjekte auf sowjetischem Boden vorgelegt zu haben. Auch die bis zum 18. November erfolgte Verbringung großer Waffenvorräte aus dem VKSE-Vertragsgebiet in die UDSSR östlich des Urals wird von den Nato-Staaten zwar nicht als formaler Bruch des Abkommens, aber doch als „Verletzung des Vertragsgeistes“ betrachtet. Wegen der „Sturheit der sowjetischen Militärs“ gab es bei allen drei Treffen, bei denen dieser Streitpunkt unterdessen zum Thema gemacht wurde, nach Pentagonaussagen „keine nennenswerten Fortschritte“. Im Gegensatz zu der augenscheinlichen harten Linie der Militärs hätten Vertreter des bislang von Schewardnadse geführten Außenministeriums „Ungenauigkeiten“ bei den Daten zugegeben und eine „Korrektur“ zugesagt.

Die Nato-Staaten gingen bislang davon aus, daß diese Korrekturen innerhalb der im VKSE-Vertrag vorgesehenen 90-Tage-Frist (also bis zum 18. Februar) erfolgen. Die am 18. November ausgetauschten Daten und damit die Zahlen, wurden bislang nicht veröffentlicht. Sie liegen der taz vor und weisen erhebliche Diskrepanzen auf: Danach hat die UdSSR in den Wochen und Monaten vor dem 18. November 20.886 Panzer, 28.452 Infanteriefahrzeuge sowie 28.572 Artilleriegranaten hinter den Ural geschafft. Die Nato — die zur Erreichung der Vertragsobergrenzen nur ein Zehntel der Waffenmenge zerstören muß, die in den Staaten des Warschauer Vertrages anfällt, verscherbelte noch schnell 700 Panzer an Ägypten und weitere an andere Nahoststaaten. Mit informeller Billigung Moskaus ist die Verlegung der moderneren Nato- Waffen in die Randstaaten der Allianz und der älteren Generationen in die Zentralzone (Deutschland und westliche Nachbarländer) vorgesehen. Der Oberkommandierende der US-Luftwaffe am Golf teilte außerdem in einem Hintergrundgesrpäch mit Journalisten mit, daß die aus Westeuropa an den Golf verlegten Waffen nicht zurückkehren werden.

Am gravierendsten und in den Augen westlicher Militärs und Diplomaten am „besorgniserregendsten“ sind die Differenzen über die Zahl potentieller Inspektionsobjekte auf sowjetischem Boden. Anfang Oktober teilte Moksau mit, es gebe 1.560 derartiger Objekte. In den am 18. November vorglegten Daten sind nur noch 895 aufgeführt. Sowjetische Diplomaten erklären, daß vor Vertragsunterzeichung noch von zahlreichen Objekten Waffen abgezogen worden seien und sich eine Inspektion daher erübrige.