Konflikt wegen Grenzen

■ Zarko Puhovski (44) ist Philosoph an der Universität Zagreb INTERVIEW

Der Philosophieprofessor an der Universität Zagreb war in einer Initiative für ein demokratisches Jugoslawien engagiert.

taz: Am Sonntag kommt es zum Referendum in Slowenien. Wird Jugoslawien daran zerbrechen?

Zarko Puhovski: Ich glaube, dieses Referendum ist eine rein formelle Angelegenheit. Es bedeutet noch nicht den sofortigen Zerfall Jugoslawiens. Wenn die Mehrheit Jugoslawien verlassen will, wird das erst einmal ähnliche Konflikte erzeugen wie in den baltischen Republiken. Das Referendum wird für die slowenische Führung eine Legitimation für weitere Verhandlungen sein.

In allen Republiken hat es Wahlen gegeben. Begründet das nicht Hoffnungen auf eine neue Einheit?

Leider noch nicht. Die Wahlen brachten kaum einen Impuls für eine tiefe Demokratisierung des Landes. Jetzt sind in den Republiken demokratisch legitimierte Nationalisten an der Macht.

Spielt das Referendum eine innenpolitische Rolle in Slowenien?

Alle Parteien versprechen sich über das Referendum parteipolitische Vorteile. Zunehmend grenzen sie die Gastarbeiter aus Bosnien und aus dem Kosovo aus, immerhin zwanzig Prozent der Arbeitskräfte. Sie erkennen diese Arbeiter nicht als Minderheiten an, sondern lediglich die traditionellen Minderheiten, Italiener und Ungarn. Die Stimmzettel am Sonntag gibt es nur in slowenischer, ungarischer und italienischer Sprache, nicht aber auf serbokroatisch oder albanisch. Auch unter den Slowenen hat sich trotz ihres Rufes, bei der Demokratisierung der Gesellschaft Avantgarde zu sein, der Nationalismus durchgesetzt. Jetzt muß sich erweisen, wie es mit der Toleranz in Slowenien wirklich bestellt ist. Ich habe da meine Zweifel.

Gibt es ökonomische Gründe, auszusteigen?

Nein. Slowenien ist die einzige Teilrepublik, die gerade aus ökonomischen Gründen in Jugoslawien bleiben müßte. Natürlich sieht es zunächst einmal so aus, Slowenien sei der Zahlmeister in Jugoslawien. Aber das ist nicht nur so. Auch slowenische Ökonomen sind hinter vorgehaltener Hand für den Verbleib. Erstaunlich ist, daß zur Zeit gar nicht über Ökonomie geredet wird. Die meisten slowenischen Waren sind nur in Jugoslawien zu verkaufen. Die Maschinenindustrie ist zu großen Teilen von der jugoslawischen Armee abhängig.

Wie werden die anderen reagieren?

Im Ausland herrscht ein Mißverständnis vor, nämlich, daß ein festes Zentrum in Jugoslawien existiert, daß es Leute gibt, die wirklich etwas dagegen haben, daß Slowenien austritt. Aber so ist das nicht. Es gibt zum Beispiel einflußreiche Gruppen in Serbien, die ein Interesse an dem Austritt Sloweniens haben.

Es kommt also nicht zum Bürgerkrieg deswegen?

Nein. Mit der Entwicklung in Slowenien ist noch nicht der entscheidende Punkt für solch eine Auseinandersetzung erreicht. Die Konflikte liegen zwischen den Republiken Serbien und Kroatien tiefer. Das große Konfliktpotential sehe ich bei Grenzfragen. Kroatien zum Beispiel hat keine historischen Grenzen. Die Grenzen sind nach 1945 entstanden, wurden vom Politbüro der Kommunisten entschieden. Wer sie verändern will, und die Nationalisten wollen dies, weil sie von der Tradition her argumentieren, provoziert regionale bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen.

Was bedeutet die Perspektive einer möglichen Demokratisierung in Albanien für Jugoslawien?

Eine neue Katastrophe. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber die Demokratisierung gibt den Albanern die Möglichkeit, sich zum Nationalstaat hin zu definieren. Das wird serbische Reaktionen herbeiführen. Wenn über territoriale Veränderungen verhandelt werden muß, läßt sich mit dem Begriff der „nationalen Souveränität“, der jetzt von den nationalistischen Führungen gebraucht wird, kein Frieden stiften. Interview: Erich Rathfelder