MULTIPOLARE WELT
: Wie friedlich bleibt der Pazifik?

Die neunziger Jahre werden eine rapide Entwicklung im pazifischen Raum mit sich bringen: Japan wird auch militärisch unabhängiger von den USA, für das Verhältnis Chinas zu seinen Nachbarn wird entscheidend sein, was mit Hongkong und Taiwan passiert. Die Großmächte der Region – Japan, Indien und China – geben immer mehr Geld für ihre Marine aus, jeder will den Pazifik kontrollieren. Ein neues Wettrüsten mit Flugzeugträgern steht bevor.  ■ VON
GERALD SEGAL

Für den Raum des Pazifiks, auch „Stiller Ozean“ genannt, lautet die Schlüsselfrage, ob er seinem Namen gerecht werden und still und friedlich bleiben kann. Wirtschaftliche Prosperität prägt heute das Bild der Region, die in den Fünfzigern unter dem Korea-Krieg und in den sechziger und siebziger Jahren unter dem Vietnam-Krieg litt. Aber es wäre zweifellos zu optimistisch, zu erwarten, daß die rapiden Veränderungen der regionalen und globalen Politik diesem Raum Konflikte und Spannungen ersparen könnten.

In der bevorstehenden Dekade wird das zentrale Thema im Pazifik der Übergang von einer Welt der Supermächte zu einer Welt der Vielfalt der Mächte sein. Insbesondere Japan und China könnten die Situation positiv beeinflussen, aber die Zukunft beider Staaten ist noch unklar. Es ist unsicher, welchen Weg die beiden Länder einschlagen und wie sich ihre zukünftige Entwicklung auf Nachbarn, Verbündete und Feinde auswirken wird.

Am deutlichsten zeigen sich die Veränderungen der entscheidenden Strukturen im Verhältnis zwischen Japan und den USA. Die Beziehung entstand in der Zeit von Japans Kriegsniederlage, später lehnte sich Japan wirtschaftlich und militärisch an die USA an – zum Schutz vor China und der Sowjetunion. Heute hat sich dieses Verhältnis in fast jeder Hinsicht geändert. Japan ist inzwischen eine wirtschaftliche Supermacht, gefangen in einer bilateralen Struktur mit den USA, die beide Länder ruinieren könnte. Im Hinblick auf Verteidigung und Stabilität im Pazifik ist Japan immer noch von den USA abhängig, obwohl die Bedrohung durch China und die Sowjetunion erheblich geringer geworden ist. Wohin entwickelt sich nun diese Beziehung?

Japans Wirtschaft muß aus der ruinösen Bindung an die USA ausbrechen

Es scheint unvermeidlich, daß Japan eine unabhängigere Macht wird. Das bedeutet größere militärische Unabhängigkeit von den USA – was in einer Ära des sowjetischen Machtverlustes relativ leicht zu erreichen sein dürfte. In der Tat werden Japan und die Sowjetunion eine Einigung in ihren territorialen Konflikten erzielen, und die Beziehungen werden sich normalisieren müssen. Japan wird dann weniger unter Druck stehen, seine Verteidigungsausgaben zu erhöhen. Aber wesentlich problematischer ist die Frage, wie die Wirtschaft des Landes aus der ruinösen Bindung an die USA ausbrechen kann. Die vernünftigste Strategie scheint mir eine engere Anbindung an die Wirtschaft Ostasiens einerseits sowie eine stärkere Integration in die bald erweiterte EG andererseits. Nur wenn ein größeres Gleichgewicht zwischen den drei Seiten des weltwirtschaftlichen Dreiecks (Nordamerika – Europa – Asien) erreicht wird, kann Japan zu einer unabhängigen ökonomischen Kraft werden. Sollte ein solcher Veränderungsprozeß scheitern, werden sowohl die Weltwirtschaft als auch der Wohlstand in der Pazifikregion davon betroffen sein.

China und Taiwan: Der Schlüssel liegt in Hongkong

Aber bis zu einem gewissen Grad hängt der Übergang zu einer größeren Unabhängigkeit Japans auch davon ab, wie das wichtige Verhältnis zwischen China und Japan sich entwickelt. Ähnlich wie es die Überlegenheit eines jüngeren gegenüber dem älteren Bruder mit sich bringt, gerieten die Familienverhältnisse in der konfuzianischen Welt ins Wanken, als Japan und China verschiedene Wege gingen. China betrachtet Japan als militärischen Zwerg, aber als wirtschaftlichen Riesen. Japan seinerseits sieht in China ein Land mit großem ökonomischem, Potential, dem durch ein kommunistisches System Schranken gesetzt sind. Trotzdem hält Japan es für unbedingt erforderlich, China auf dem Weltmarkt zu halten und am zukünftigen Wohlstand im Pazifik zu beteiligen. Solange China jedoch glaubt, von Japan lediglich benutzt zu werden und mit den sich rapide entwickelnden Teilen Ostasiens nicht Schritt halten zu können, wird es Japan seine Vormachtstellung übelnehmen. Obwohl es zwischen beiden Ländern keine Gebietsstreitigkeiten gibt, werden China und Japan in vielen Fragen wahrscheinlich gegenteiliger Meinung sein. Dabei geht es vornehmlich darum, daß die Großmacht China den Status quo nicht beibehalten will.

Im Unterschied zu allen anderen Mächten wünscht China gravierende Veränderungen in seinem Umfeld, und sobald es solche Veränderungen einzuleiten versucht, wird Japan feindlich reagieren. Zum Beispiel, wenn es um Taiwan geht. Diese sogenannte chinesische Provinz ist im Wettbewerb um diplomatische Beziehungen dem kommunistischen China eindeutig unterlegen. Aber Taiwan ist auf dem Weltmarkt in einer wesentlich stärkeren Position als China, auch wenn die offiziellen Verbindungen zur internationalen Staatengemeinschaft fehlen. Japan, dessen Stärke ans weltwirtschaftliche Wachstum gekoppelt ist, wäre nicht glücklich, wenn China militärisch einschritte, um das de facto immer unabhängiger werdende Taiwan unter seine Kontrolle zu bringen. Die wirtschaftlichen Interdependenzen zwischen Japan und Taiwan sind zu eng, als daß Japan untätig zuschauen könnte.

Wäre es trotzdem denkbar, daß China mit Gewalt gegen Taiwan vorginge? Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie man Chinas Strategie bei der „Vereinigung des Mutterlandes“ einschätzt. Die nächste Schlüsselentscheidung hierfür ist das Schicksal Hongkongs. China rechnet damit, Hongkong 1997 erfolgreich an das Festland anbinden zu können, und zwar unter dem Motto „zwei Systeme in einem Land“. Dieselbe Strategie gilt für Taiwan. Um die taiwanesische Bevölkerung davon zu überzeugen, daß die Wiedervereinigung mit dem Mutterland so schlecht nicht ist, muß aber die Integration Honkongs erfolgreich verlaufen. Doch es gibt immer mehr Anzeichen dafür, daß Hongkongs Zukunft nicht rosig sein wird. Der fortschreitende „brain drain“ – vornehmlich nach Kanada, den USA und Australien – wird wahrscheinlich den allmählichen Abstieg des mächtigen regionalen Handelszentrums bedeuten. Je absehbarer der Niedergang Hongkongs aber ist, desto stärker werden die Argumente für die offizielle Unabhängigkeit Taiwans, und China wird zunehmend unzufriedener werden.

Japan und die anderen Großmächte, wie die USA, werden sich auch nicht damit zufriedengeben, China bei der Annexion von Südseeinseln zuzusehen, wie im März 1988, als China vietnamesische Inseln besetzte. Durch das südchinesische Meer verlaufen für Japan lebenswichtige Versorgungswege, deren Blockierung das Land empfindlich treffen würde. Noch entscheidender ist, daß Taiwan, die Philippinen und Malaysia die Südsee beanspruchen, und je weiter China sich dort ausdehnt, um so besorgter wird die internationale Staatengemeinschaft reagieren. Chinas Militär wurde in den letzten Jahren modernisiert; vor allem die Marine wurde neu ausgerüstet, und die Reichweite ihrer Streitkräfte wurde vergrößert. Sollte China im nächsten Jahrzehnt einen Flugzeugträger einsetzen, wird Japan vermutlich gleichziehen – womit ein Wettrüsten im großen Stil eingeleitet wäre.

Weiter Krieg in Kambodscha, aber Wiedervereinigung der beiden Koreas?

Es ist beachtenswert, daß nur die asiatischen Großmächte – Japan, China und Indien – ihre Rüstungsausgaben zu erhöhen scheinen, während alle anderen sie reduzieren. Die Interessen der drei Staaten treffen in Südostasien zusammen, und zwar in Kambodscha, wo noch immer der letzte heiße Krieg der Pazifikregion ausgetragen wird. Da die indische Marine diesem Territorium immer näher kommt und in Indochina heftige Machtkämpfe toben, ist genügend Zündstoff für einen zukünftigen Konflikt vorhanden. Weil die Großmächte nicht in der Lage sind, Entscheidungen in Kambodscha durchzusetzen, wird der Krieg noch eine Zeitlang weitergehen. Es ist Japan nicht gelungen, bei der Beilegung des Konflikts eine führende Rolle zu übernehmen, und obwohl China und Vietnam sich wahrscheinlich einigen können, wird sich das Verhältnis zwischen den Staaten nicht gänzlich entspannen, da beide um Einfluß in Indochina kämpfen.

Derweil scheint doch der genauso alte, gleichwohl weniger heiße Konflikt zwischen den beiden Koreas seinem Ende entgegenzugehen. Die Interessen Chinas, Japans, der Sowjetunion und der USA in Nordostasien prallen in der Koreafrage aufeinander. In den Beziehungen zwischen China und Südkorea, der Sowjetunion und Südkorea sowie zwischen den beiden Koreas gibt es Anzeichen von Entspannung. Solange jedoch die Nachfolge in Nordkorea nicht geklärt ist, wird sich am Kräftegleichgewicht in dieser Region kaum Grundlegendes ändern. In der Tat kann die Wiedervereinigung Koreas – genau wie ihr deutsches Pendant – sehr rasch vor sich gehen, wenn das alte System erst einmal beseitigt ist.

Mit der Möglichkeit einer koreanischen Wiedervereinigung werden sich die Interessen der Großmächte verschieben. Japan wird von einem geeinten und mächtigeren Korea, das ihm seine ökonomische und militärische Vormachtstellung streitig machen könnte, nicht begeistert sein. China und die Sowjetunion könnten einen solchen Widersacher Japans zwar begrüßen, sie würden ein geeintes Korea jedoch ebenfalls eher als Konkurrenz empfinden. China wird dabei vorsichtiger sein als die Sowjetunion, die in ihrem Streben nach mehr Einfluß im pazifischen Raum an neuen Verbündeten interessiert ist.

Bisher war der Korea-Konflikt – ebenso wie die zentrale Frontlinie in Europa – Brennpunkt vieler Auseinandersetzungen im Rahmen des Kalten Krieges. Im neuen Zeitalter der Multipolarität und einer aufsteigenden japanischen und chinesischen Macht müssen die altbekannten Gewißheiten neu überdacht werden. Ja, der Pazifik wird wahrscheinlich weiterhin für seinen Wohlstand bekannt bleiben. Aber die Gefahr, daß dieser Reichtum durch Machtverschiebungen beeinträchtigt werden könnte, wird sicherlich größer. Die Region um den „Stillen Ozean“ kann sich glücklich schätzen, wenn es ihr gelingt, ihrem Namen gerecht zu werden.

Gerald Segal ist Forscher am Royal Institute for International Affaires in London und Herausgeber der Zeitschrift Pacific Review