Standbild: Guter Vorsatz für 1991

■ "Menschen '90", ZDF, 29.12.; "1990. Das Jahr", ARD, 30.12.

Für uns Fernsehteilnehmer war 1990 ein ungewöhnlich anstrengendes Jahr. Um ehrlich zu sein, schon die letzten Monate des Jahres 1989 sahen uns nächtelang in die ächzenden Sessel gedrückt, die Fernbedienung in der Hand und die deutsche Einheit vor Augen. Und es kam natürlich noch schlimmer.

Manche von uns haben sich im Laufe des Jahres einen dieser wundervollen Lazyboy-Fernsehsessel angeschafft, um die Strapazen vor der Glotze besser verkraften zu können. Aber als Mike Tyson zu Boden ging, war den meisten klar, daß auch wir nicht ungeschoren davonkommen würden. Und so saßen wir denn auch in den letzten Tagen vor der Mattscheibe und ließen die letztjährigen Höhepunkte des elektronischen Welttheaters Revue passieren. Natürlich in der ersten Reihe.

Günther Jauch hatte im ZDF ein Show-Potpourri zusammengerührt, das uns nochmals die Tränen in die Augen trieb. Die Fake-Sängerin Milli Vanilli durften da ebenso wenig fehlen wie der Falschelfer von Andi Brehme, von Manta-Fahrer Matthias Reim träumten wir so schweißgebadet wie von Rollstuhlfahrer Schäuble.

Der gute Kanzler und die böse Stasi hatten uns das Jahr über in Atem gehalten, und auch am Ende des Jahres blickten wir dankbar in die herzensguten Augen des Mannes, der die deutsche Einheit zu verantworten hat. „Ich habe Schuhgröße 46“, bekannte er freimütig. Und als dann die Wildecker Herzbuben auf einem roten Styroporherz standen und „Herzilein, du mußt net traurig sein“ anstimmten, da konnten wir schon problemlos mitsingen. Zu guter Letzt wurde noch ein junger Mann vorgestellt, der im Sommer über Bord seiner Fähre geworfen wurde und zehn Stunden in der Adria schwamm. Wir, die wir zehn Stunden im Programmangebot paddeln, das aber tagtäglich, konnten da nur müde lächeln. Anderntags waren wir selbstredend wieder zur Stelle, als das Jahr im Ersten aufbereitet und abgewickelt wurde.

Hajo Friedrichs, als Connaisseur herzhafter Nachrichtenhäppchen, ließ es nur so flutschen: Winterorkane, Noriega, Wehner tot, Pferdeschinder, pfälzischer Saumagen, die Einsamkeit des Franz Beckenbauer in der römischen Arena, Steffis Tränen. Und natürlich, beschwörend oft wiederholt, die frohe Kunde vom „Zusammenbruch des Kommunismus“. Aber er richtete den Blick auch voraus in die Zukunft und drohte uns allen mit dem 15. Januar. Noch sehen wir Saddam Hussein kleine Kinder tätscheln und sich murmelnd gen Mekka verneigen. Doch was wird er in zwei Wochen tun? Wird er die amerikanischen Jungs und uns alle mit bundesdeutschem Giftgas benebeln? Ein Millionenheer blutrünstiger Moslems auf Europa loslassen? Sitzen wir vielleicht schon am Ende dieses Jahres ohne Schweineschnitzel am Mittagstisch, während quäkende Muezzins über den Bildschirm flimmern, tagein und tagaus? Die Lage ist ernst, und wir werden viel Mumm benötigen, um auch in diesem Jahr die Fernsehwelt durchzustehen. Aber es muß ja sein, denn ohne uns Fernsehteilnehmer wäre das Ende der Welt nah. Und deshalb werden wir dranbleiben. [nach zwölf Mal „wir“ verrate mir bitte mal, wer das ist?, d. s-in] Olga O'Groschen