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Der Zaun zwischen den heiligen Bergen durchtrennt die Kulturen

■ Auch 100 Jahre nach dem Massaker von "Wounded Knee" am 29. Dezember 1890 - historisches Symbol indianischen Widerstands unter Führung des Sioux Sitting Bull - geht die...

Träge schiebt sich der junge Navajo seinen breitkrempigen Stetson aus der Stirn. Er löst sein langes, schwarzes Haar aus dem weißen Baumwollknoten und schlägt sich die millimeterdicke Staubschicht von Hemd und Jeans. Dann geht er zum Bach hinüber. Fast beiläufig langt er nach einem Klumpen Sand und scheucht damit seinen Hund auf. Der zieht daraufhin nur mäßig begeistert seine Runden um die etwa fünfzig Schafe, die im ausgedörrten Flußbett vergeblich nach Spuren des letzten Regens suchen; der Dinnebito Wash ist knochentrocken — seit Monaten.

Vor der Trading Post parkt ein halbes Dutzend Pickup-Trucks. Unter ihren Ladeflächen wechseln Hunde meist undefinierbarer Rasse von Zeit zu Zeit ihren Standort. Gnadenlose Mittagshitze. Nur dann und wann trudeln Windhexen, losgerissenes dorniges Buschwerk, zwischen der Exxon-Zapfsäule und der gegenüberliegenden Windmühle hin und her. Drinnen im Laden summt die Aircondition. Frauen, die jungen in Jeans, die älteren in ihren leuchtenden Blusen und Faltenröcken, die Handgelenke mit türkisfarbenen Armreifen geschmückt, tasten sachverständig Wasser- und Honigmelonen ab. Bezahlt wird hauptsächlich mit food stamps, Gutscheinen der Sozialbehörde. Hinten in der Ecke steht eine abgenutzte Bude: das US Post Office. Die Begays, Manygoats, Benallys, Hasgoods, Yazzies, Watchmans und Blackgoats, sie alle sind noch mal nach Vornamen sortiert: Alice, Katherine, Sarah, Roberta — angelsächsische Namen allesamt. Doch am Big Mountain sprechen die Menschen kein Englisch. Der Dinnebito Trading Post, neun Meilen nördlich der US 264, der von Tuba City bis Window Rock quer durch die Reservate von Hopi und Navajo führt, ist der vorgeschobene outpost, der letzte Außenposten weißer Kultur. Das hier ist eine Grenze, keine geographische oder politische, sondern eine kulturelle: Wir sind im Dinétah, dem Land der traditionellen Navajo.

„No Trespassing“ — Zutritt verboten

Andy Dann führt uns durch seinen „Garten“. Zwischen verrosteten Kühlschränken, ausgeschlachteten Pickups und Wasserkanistern wachsen trotz Dürre einige mickrige Wassermelonen. An einem mannshohen Drahtverhau in einem ansonsten zaunlosen Lebensraum zeigt Andy auf ein weißes Schild: „No Trespassing“ steht dort. Im Schatten spärlich wachsender Zypressen und Wacholderbüsche, die den Blick auf die mehr als hundert Meilen entfernt emporragenden San Francisco Peaks kaum behindern, zerteilt ein Stacheldrahtverhau die Ebene. „Hier seht ihr die neue Staatsgrenze. Das Land dort drüben gehört den Hopi — sagt Washington!“, erklärt er grimmig. Etwa 20 Einschüsse haben das Schild mit dem Gesetzeshinweis durchlöchert und das eingestanzte Public Law 93-531 fast bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. 289 Meilen lang ist der Grenzzaun, der das ehemals den Hopi- und Navajo-Nationen zur gemeinsamen Nutzung zugewiesene Reservat heute spaltet: der fence, Symbol eines menschlichen und gesetzlichen Alptraums im Streit um Land.

Four Corner's Area. Zwischen den vier heiligen Bergen — Mount Blanca im Osten, Mount Taylor im Süden, Hesperus im Norden und den San Francisco Peaks im Westen — leben 200.000 Navajo und 10.000 Hopi auf der Hochebene des Colorado Plateaus, Schnittstelle der vier Bundesstaaten Utah, Arizona, Colorado und New Mexico. 15.000 Navajo und 100 Hopi fanden sich 1974, nach der Verabschiedung des Navajo-Hopi Land Settlement Act, über Nacht auf der jeweils falschen Seite einer neuen Grenze wieder. Was hatte den US-Kongreß dazu veranlaßt, diese Teilung vorzunehmen? Seit dem 12. Jahrhundert hatten die Hopi in ihren autonomen Dörfern oben auf den Mesas gemäß ihrer Tradition in streng religiösen Gemeinschaften gelebt und Mais, Bohnen und Kürbis angebaut. Die Navajo, die nachweislich seit 1565 im Südwesten leben, hatten ein anderes Gemeinschaftskonzept: Sie waren Halbnomaden, Viehhirten und Ackerbauern und besiedelten in Familienverbänden das weite Land.

US-Präsident Chester Arthur war es, der 1882 die drei Mesas der Hopi und die sie umgebenden Wüstenstreifen zum Reservat bestimmte, „für die Hopi und andere Indianer, die in diesem Gebiet siedeln können“. Diese schwammige Formulierung stand an der Wiege all jener Auseinandersetzungen, die Hopi und Navajo, in ihren Lebensformen ohnehin schon grundverschieden, während der Folgezeit aufgrund begrenzter Ressourcen zu „Gegnern“ machten. Als um 1920 herum einige Hopi mit der jahrhundertealten Tradition brachen, um sich aufs lukrativere Ranchen zu verlegen, hatten die Navajo — sukzessive durch die spanischen und US-amerikanischen Kolonisatoren verdrängt — aufgrund ihres Bevölkerungswachstums das „Hinterland“ weitestgehend belegt. 1941 trennte „Washington“ zur ausschließlichen Nutzung für die Hopi den District 6 ab: 100 Navajo-Familien mußten umziehen.

Reiche Bodenschätze auf heiligem Land

In den fünfziger Jahren wurden in dem als unfruchtbar und wertlos eingestuften Gebiet Bodenschätze entdeckt. Der „fortschrittliche“ Hopi tribal council, der Ausbeutung der Ressourcen nicht abgeneigt, verlangte die gerichtliche Festlegung der Eigentumsrechte an der 1882 geschaffenen Reservation. Dies wurde 1962 mit der Feststellung „gleicher und unteilbarer Rechte beider Nationen“ an dem von nun an als Joint Use Area (JUA) bezeichneten Territorium beschieden. District 6 verblieb den Hopi zur exklusiven Nutzung. 1972 ordnete ein Gericht dann die drastische Reduzierung des Viehbestandes der Navajo an; Hopi hatten sich beim Bureau of Indian Affairs (BIA) beklagt, daß sie die gemeinsame Nutzfläche wegen Überweidung durch die Navajo gar nicht nutzen konnten. Die Navajo ignorierten diese Anweisung. Als die Dürre sie eines Sommers zwang, ihre Schafe sogar in den District 6 zu treiben, kam es zur Konfrontation: Die JUA wurde 1974 vom US-Kongreß in zwei gleich große Hälften geteilt. Die Eigentumsrechte an den unter der Oberfläche schlummernden Schätzen allerdings verblieben weiterhin „joint and undivided“.

Was auf den ersten Blick als „gerechte“ Aufteilung eines Wirtschaftsgutes, nämlich Land, erscheinen mag, bedeutete von vornherein die Inkaufnahme der endgültigen Zerstörung einer homogenen Gemeinschaft, den kulturellen Genozid der noch am meisten der Tradition verhafteten Navajo. Denn das Gesetz PL 93-531 dekretierte gleichzeitig die Umsiedlung von Tausenden Navajo-Familien: Bis zum 7. Juli 1986 sollten die 15.000 Navajo ihr Dzi nii tsaa (das Gebiet um den Big Mountain) räumen und in Häuser einziehen, welche die Regierung in den Grenzorten des Reservates bereitstellen wollte. Für den 7. Juli 1986 hatten die Medien Big Mountain im Vorfeld zum Kriegsgebiet erklärt. Die 1.500, die sich bis zu diesem Tag geweigert hatten, ihr Land zu verlassen, rechneten damals mit einem massenhaften FBI-Einsatz. Mehr als 3.000 Sympathisanten, Rechtsanwälte und Journalisten waren angereist. Ein weiteres Wounded Knee war nicht auszuschließen. Doch der Tag verstrich, und nichts geschah.

Auf der falschen Seite des Zaunes

Auch Andys Freund Jeff lebt heute auf der „falschen Seite“ des Zauns. Ein Netz von Pfaden durchwebt die spärlich bewachsene, durch die monatelange Glut versengte Hochebene. Wir treiben Jeffs Schafherde auf die Windmühle zu, die einzige Wasserstelle weit und breit. Jeff zeigt auf einen Hogan — das sechseckige Haus aus Holz und Lehm der traditionellen Navajo —, der sich schemenhaft gegen den weiten Horizont abzeichnet. „Dort wohnen zwei achtzigjährige Frauen seit einigen Jahren allein. Mehrmals in der Woche sehe ich nach ihnen und versorge sie mit frischem Trinkwasser. Ihre Kinder, Enkel und Urenkel haben Big Mountain verlassen und leben heute in Winslow.“ Jeffs Ton ist bitter. Das Auseinanderbrechen der Familie ist für die Navajo ein unerklärlicher Zustand, macht doch die Anbindung an die Familie das Wesen des Diné way of life aus. Auch Jeff zahlte einen hohen Preis für seinen Entschluß zu bleiben. Seine Frau war der Umsiedlung in ein komfortables government house nicht abgeneigt. Also hatte Jeff die „Wahl“ zwischen Umsiedlung oder Scheidung. „So I divorced“, lautet sein trockener Kommentar.

Seit seiner Entscheidung fühlt er sich dem Kampf gegen die Vertreibung seines Volkes und der Unterstützung der Alten verpflichtet. Auch hilft er seinem Nachbarn Georg bei den Instandsetzungsarbeiten an einem verfallenen Hogan. Obwohl bauliche Veränderungen verboten sind und die BIA-Ranger ihn im Auge behalten, findet Georg immer wieder Ausreden für seine Anwesenheit im Blue Canyon, dem Ort, wo er geboren wurde. „Manchmal, nach klaren Mondnächten, sind einige Meilen des Zauns plötzlich beschädigt, einfach so, mit simplen Werkzeugen umgelegt“, berichtet Jeff und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Inszenierter Krieg um Land

Es gibt Stimmen, die behaupten, daß diejenigen Hopi und Navajo, die sich am meisten mit „Mutter Erde“ verbunden fühlen, am allerwenigsten miteinander im Streit darüber liegen. Denn ähnlich wie Jeff — vermutet er doch in unseren Köpfen die amtliche Version eines „indianischen“ Kriegs um Weideland — bestreiten traditionelle Navajo und Hopi ausdrücklich die so häufig als Ursache des Konflikts angeführte Feindschaft zwischen beiden Völkern. Sie sprechen von einem inszenierten Krieg um Land, der die US-amerikanische Öffentlichkeit Glauben machen soll, hier müsse ihre Regierung schlichtend eingreifen. In Wirklichkeit — so die feste Überzeugung der Widerständler vom Big Mountain und vieler Solidaritätsgruppen im In- und Ausland — sind es die „perfiden Interessen des US-amerikanischen Großkapitals“, die mächtigen Aktiengesellschaften, die wegen der reichen Gas-, Kohle, Öl- und Uranvorkommen hier auf dem Colorado- Plateau klare Zuständigkeiten wünschen. Ihr Instrument sind die tribal councils, die nach bürgerlichem Modell operierenden Stammesvertretungen, die bei beiden Indianernationen zwar nur eine Minderheit repräsentieren, von der US-Regierung aber als ausschließliche Verhandlungspartner anerkannt werden.

Dennoch, das Verhältnis zwischen beiden Völkern ist bei weitem nicht vorurteilsfrei. Und zwar nicht erst seit dem Vordringen des weißen Mannes. Während der Sprecher der traditionellen Hopi, der 80jährige Thomas Banyacya aus Kykotsmovi, einen überlieferten internen Streit bagatellisiert und den Kampf der Widerständischen am Big Mountain offen unterstützt, gibt es auch andere Stimmen. Das überlieferte Mißtrauen gegenüber den benachbarten Navajo ist bei vielen Hopi lebendig. Einer, der sich selbst als „grey Hopi“ bezeichnet — er fühlt sich weder vom Stammesrat noch von den Traditionellen repräsentiert — ist Leigh Jenkins, Direktor der Abteilung für kulturelle Angelegenheiten beim Hopi tribal council. „Die Navajo haben uns über Jahrhunderte systematisch von unserem angestammten Land verdrängt. So auch am Big Mountain, wo wir das Land eben nur periodisch für die Jagd und zum Holzsammeln nutzten.“ In manchen Hopi-Tänzen komme laut Jenkins die Einstellung zu den Navajo deutlich zum Ausdruck, dort wo diese als Opportunisten und Querulanten dargestellt seien. „Mir ist die menschliche Tragik, die die Umsiedlung verursacht, durchaus bewußt“, so Jenkins. „Beide Nationen sollten daher schnellstens eine Lösung herbeiführen. „Wenn es nach mir ginge, ich würde die Aktion einfach abbrechen und die verbliebenen Big-Mountain- Navajo unter Hopi-Gerichtsbarkeit stellen.“

Faktisch ist das schon passiert, wenn auch die Hopi-Ranger lediglich auf der Grundlage des Umsiedlungsgesetzes agieren, überwachen und stören. Ansonsten aber ist Big Mountain seit dem 7.Juli 1986 polizeiliches Niemandsland. Denn an die Hopi tribal police, auf dem Gebiet des Reservats für „Recht und Ordnung“ zuständig, wendet sich von den Widerständlern natürlich keiner.

Sarah Begay und ihr Mann Willy gehören zu den älteren Navajo, für die die Umsiedlung nie zur Diskussion stand. Es ist schon dunkel, und nur durch einen Zufall finden wir die richtige Abzweigung, die zu ihrem Hogan führt. Andy, der zum Übersetzen gekommen ist, stellt uns der Familie vor. Mit ihren dunklen Augen sieht Sarah uns zunächst forschend an. Doch dann erzählt sie bereitwillig von ihrem Widerstand gegen das Umsiedlungsgesetz. „Hier wurde ich geboren, und hier ist auch der Ort, an dem ich sterben werde“, erklärt Sarah. „Meine Urgroßmutter hat mich die Lebensweise der Diné, unser überliefertes Wissen, gelehrt. Und so werde ich es meinen Enkeln und Urenkeln weitergeben. Es ist die einzige Lebensweise, um die ich weiß.“

In der Religion der Navajo bildet ihr Land das Zentrum jeglichen Lebens sowie die Basis für die Verbindung mit den spirituellen Kräften. Alltag, Glaube und Spiritualität sind faktisch so verschmolzen, daß jede begriffliche Trennung ihre Lebensphilosophie verkennt. Traditionelle Navajo praktizieren ihren Glauben, so wie es ihre Vorfahren jahrhundertelang taten: An geweihten Orten wie Gräbern, Quellen, jungen Bäumen, Felsen, Hügeln und Stellen, an denen Kräuter wachsen, halten sie Zeremonien ab, um mit ihren „Schöpfern“ zu kommunizieren. „Wir Navajo glauben“, so erzählt Sarah in ihrer ruhigen Art, die Pausen erlaubt, „daß uns unser Land von den Schöpfern zugeteilt wurde mit dem Auftrag, es zu erhalten und zu ehren. Wir dürfen diese heiligen Stätten nicht verlassen.“

Sichtlich konzentriert versucht Andy für die Sprache, die Sarah benutzt, adäquate englische Bilder zu entwerfen. Während er „interpretiert“, wischt sich Sarah verstohlen einige Tränen weg. Die ständige Bedrohung der vergangenen Jahre hat sie zerrieben. Besonders unter den älteren Navajo hat der psychische Druck viele Leben gefordert. Sarahs Sohn Ron beging vor Jahren Selbstmord, weil er für sich keinen Ausweg mehr sah. Die zahllosen Verletzungen haben die Menschen krank gemacht. „Jeden Tag rechne ich damit, daß die Bulldozer über den Hügel gerollt kommen. Ich bin angespannt und unruhig. Aber wegziehen werde ich nicht, soviel ist sicher — wir werden schießen, um uns zu verteidigen!“

Die streitbaren Frauen vom Big Mountain

Es sind die älteren Frauen, auf deren Kraft, Standfestigkeit und Selbstverständnis sich der Widerstand am Big Mountain wesentlich stützt. Da das Land der Obhut der älteren Frauen untersteht und als materielles Erbe über die Töchter an die nächste Generation weitergegeben wird, empfinden gerade sie eine ausgeprägte Verantwortung. Die noch ungebrochene Verbundenheit mit der „indianischen“ Kultur ist die Quelle von Streitbarkeit und Renitenz auch bei Katherine Smith. Katherine ist eine drahtige Alte mit selbstbewußtem Auftreten und einem durchdringenden Blick. Auch sie hat einige ihrer Verwandten in die Stadt ziehen lassen müssen. Dennoch ist ihr Wille ungebrochen. Wir begegnen Katherine im Kreise anderer „Ältester Frauen“ beim traditionellen Sonnentanz, einer Zeremonie, welche die befreundeten Lakota alljährlich für die Widerständischen am Big Mountain veranstalten, um sie in ihrem Kampf zu unterstützen. Mit einem verschmitzten Glanz in ihren Augen erzählt sie gerne die Geschichte, wie sie während des Zaunbaus vor einigen Jahren kurzerhand zum Gewehr griff und einen Warnschuß in die Luft feuerte, um der Bautruppe zu zeigen, daß sie deren Aktivitäten nicht zu billigen bereit sei. Pauline Whitesinger, ebenfalls eine der Unbeugsamen, fuhr damals mit dem Kleinlaster ihres Sohnes auf einen Arbeiter los und drohte, ihn zu überfahren. Als der Vorarbeiter sie warnte, ihre Gegenwehr sei sinnlos, und sie liefe Gefahr, im Gefängnis zu sterben, antwortete Pauline: „Genau hier ist der Ort, wo ich, und zwar aus Altersschwäche, sterben werde, nirgendwo sonst“, und warf ihm eine Handvoll Big-Mountain-Erde ins Gesicht.

Gallup, New Mexico: „Border town“-Kultur

Auch auf rechtlicher Ebene leisten die Navajo Widerstand. Der letzte Vorstoß des Big Mountain Legal Office in Flagstaff, das die Navajo juristisch vertritt, lautet: Zur Verteidigung der Heiligen Böden. Begründet ist die neueste Klage mit dem verfassungsrechtlich verbrieften Recht eines jeden Amerikaners auf freie Ausübung seiner Religion. Ein Gerichtshof in Phoenix hörte 1989 zehn Stammesälteste an, die den weißen Richtern in anschaulicher Weise die Religion der Navajo zu erklären versuchten. Eine Entscheidung war für den Herbst des selben Jahres vorgesehen, wurde aber wieder bis auf weiteres vertagt. „Es ist immer wieder das gleiche, die Gerichte verschleppen die Sache, bis unsere Leute schließlich von selbst gehen — oder sterben“, beklagt sich Betty Tso, eine der Mitarbeiterinnen des Legal Office. „Und eine neue Deadline gibt's jetzt auch. Bis 1993 soll die Angelegenheit aus der Welt sein. Die Sache wird dem Finanzministerium offenbar zu kostspielig.“

5.000 Dollar in bar und ein komfortables neues Heim ist der US-Regierung die Aufgabe des Diné way of life wert. Die einstöckigen, braungelben Billigbauten am Stadtrand von Gallup, nur wenige Meilen außerhalb der Navajo-Reservation, stehen dichtgedrängt im staubigen Sand. Die Benallys haben vor gut drei Jahren ihren Hogan verlassen, vom Alltag am Big Mountain zermürbt und der ständigen Reibereien mit der Umsiedlungsbehörde und den Hopi-Rangern müde. Während in der Küche ohne Unterlaß der Fernseher lärmt, sitzt Bertha Benally zwischen einer Unzahl von plüschigen Einheitsmöbeln in ihrem Wohnzimmer. „Ich vermisse meinen Hogan, meine Familie und die Schafe. Hier weiß ich nicht, was ich tun soll. Mein Mann Larry und ich, wir haben doch nichts gelernt, womit wir in dieser Welt überleben könnten.“ In der Ecke steht ein angestaubter Webstuhl. Den benutzt Bertha seit langem nicht mehr. „Es erinnert mich nur an zu Hause. Ich habe Schuldgefühle und schäme mich, weil ich mein Land aufgegeben habe.“

„Gallup — Hauptstadt des Indianerlandes“ — so wollen es die großen schwarzen Lettern auf dem Schild am südlichen Ortseingang. Eins ist richtig: Aus der indianischen Kultur läßt sich Kapital schlagen. An fast jeder Ecke dieses Ortes an der Reservatsgrenze wird Kunsthandwerk angeboten, Teppiche, Schmuck, Schnitzereien — nur nicht von Indianern. Die tragen die wenigen Dollar, die sie wöchentlich von der Sozialbehörde erhalten, ab sieben Uhr morgens zu einem der zahlreichen Schnapsläden. Das alte und das neu entstandene Gallup bieten ein Bild der Verzweiflung: Junge Navajo, Apache und Zuni fristen in diesen Straßen ihr Dasein zwischen den Kulturen. Sind schon die Reservatsgrenzen durch Bars und Trinkbuden eindeutig markiert, in Gallup sind dem hemmungslosen Alkoholkonsum keinerlei Grenzen gesetzt. Aufgeschwemmt, in desolatem Gesundheitszustand und angetrunken stehen oder liegen sie in Grüppchen zwischen den Mülltonnen von Tankstellen und Billigmotels. Nach Auskunft eines Polizisten hat Gallup die höchste durch Alkohol bedingte Unfallrate der gesamten USA.

Böses Erwachen in einer fremden Welt

„Man kann nicht einen traditionellen Navajo vom Land entfernen, ihn in der Mitte einer Großstadtkreuzung fallen lassen und erwarten, daß er überlebt“, kritisiert Charlie Cambridge, dessen Familie in den 50er Jahren zusammen mit 30.000 anderen Navajo ebenfalls im Zuge einer Umsiedlungsaktion vertrieben wurde, das Umsiedlungsprogramm. Völlig unvorbereitet würden die „Umgesetzten“ ins 20. Jahrhundert katapultiert. Nicht nur an Qualifikationen für den Arbeitsmarkt mangele es den Navajo. „Es gibt noch nicht einmal Programme zur Integration in die fremde, irritierende Umgebung. Auch an monatliche Strom-, Wasser- und Steuerzahlungen sind die Umgesiedelten nicht gewohnt. Vor allem die Alten sind den Anforderungen der technischen Ausstattung ihres neuen Heims nicht gewachsen.“ Aus Unwissenheit Kredithaien ausgeliefert, unterzeichnen die neuen Städter Verträge und verpfänden ihr Haus zum Erwerb eines neuen Pickup- Trucks, ohne diese Handlung auch nur ansatzweise zu verstehen. „Die meisten alten Navajo stehen unter Schock, weil sie, wie sie glauben, darin versagt haben, sich und ihre Familie zu schützen“, erklärt Charlie.

Entwurzelt, ausgeliefert und zunehmend unfähig, über ihre eigenen Belange zu bestimmen — Apathie bei den älteren, Alkoholismus, Gewalttätigkeit und hohe Selbstmordraten bei den jüngeren Navajo sind der Preis des ungewollten Transfers. Doch das, was wir in Gallup vorfinden, die Auswirkungen eines bösen Traums, aus dem die Zwangsamerikanisierten offenbar am liebsten nicht mehr aufwachen wollen, unterscheidet sich nur graduell vom Leben derjenigen, die hinter dem Stacheldraht ausharren. Denn längst ist das, was die Diné ausmachte, auch am Big Mountain zerschlagen: die homogene traditionelle Kultur. Der fence bildet weniger die Grenze zwischen zwei Völkern als vielmehr zwischen Kulturen. Er ist zum Symbol des Aufeinanderprallens von unvereinbaren Werten geworden: Ein Haus und die Hoffnung auf einen 9-to-5- job sind nicht zuletzt aufgrund einer konsequenten „Indianerpolitik“ auch bei vielen Navajo mittlerweile zum Wert geworden, Schafe hüten dagegen Sache der Vergangenheit.

Auch wenn 1993 ohne Gewaltanwendung vorübergeht, die Wunde, die die Unterschrift des „großen weißen Vaters“ — der letzte Sieg Washingtons in einer langen Kette von Versuchen, indianische Kulturen auszulöschen — in den Seelen Tausender verursacht hat, wird nicht mehr verheilen. Die Wahl zwischen zwei Ufern gibt es längst nicht mehr — nur noch den Graben.

Und die alten Frauen vom Dzi nii tsaa wissen es.

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