Schlangenlinien

■ Das Bonner Spitzenpersonal schleudert in die verkehrspolitisch-ökologische Sackgasse KOMMENTARE

Wahlversprechen, das ist keine besonders neue Erkenntnis, sind dazu da, nicht eingelöst zu werden. Die Schlangenlinien, auf denen sich die Koalitionsunterhändler in Bonn der überfälligen und jedenfalls begrüßenswerten Verteuerung des Straßenverkehrs und damit dem Wortbruch nähern (oder auch nicht), bergen allerdings eine pikante Besonderheit: Die heilige Vorwahlverheißung, zur Finanzierung der teuren Einheit keinesfalls dem Steuerzahler ins Portemonnaie langen zu wollen, liegt ausnahmsweise den Wahlstrategen schwerer im Magen als dem Wahlvolk selbst. Letzteres nämlich hat sich mehrheitlich damit abgefunden, daß der Tritt aufs Gaspedal so preiswert nicht bleiben kann, wie er ist. Und so haben sich die meisten potentiell Betroffenen — ganz im Gegensatz übrigens zu den aufgeregten Kommentaren zahlloser Interessengruppen — längst in ihrem Sessel zurückgelehnt und beobachten nun eher genüßlich bis hämisch die ungelenken Turnübungen des politischen Spitzenpersonals in Bonn.

Leider ist die Beobachterrolle so lustig nicht, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Denn die anstehenden Entscheidungen werden Signalcharakter haben, wie auch immer sie im Einzelnen ausfallen mögen. Weichenstellungen stehen bevor, deren Konsequenzen gewaltig sein werden. Die Koalitionäre müssen entscheiden, ob sie sich auf Kosten der Autofahrer lediglich die leeren Kassen füllen, ob sie das vereinigte Deutschland als autogerechtes europäisches Transitland präparieren oder aber ein auch international unübersehbares Zeichen gegen die ökologischen Konsequenzen einer grenzenlosen Ausweitung des Straßenverkehrs setzen. Die erste Alternative wird aus glaubwürdigkeits-kosmetischen Gründen (und wegen der Wahlen in Hessen) kaum zum Zuge kommen.

Die Diskussionen über die Autobahngebühren oder Straßenverkehrsabgabe und der begleitende Bonner Theaterdonner deuten allesamt auf die zweite Alternative. Die Gebühr, die Vielfahrer belohnt, die sogenannte Zweckbindung der Einnahmen für den Ausbau des Straßennetzes in der ehemaligen DDR, der Vorschlag, dort mit Hilfe von „Maßnahmegesetzen“ das Schnellstraßennetz zu komplettieren, dies alles spricht eine deutliche Sprache. Es geht nicht um die Eindämmung des explodierenden Straßenverkehrs, nicht um eine effektive Verlagerung auf die Schiene, nicht um die Förderung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs. Nein, Kanalisierung des stockenden Straßenverkehrs ist angesagt. Selbst der Bundesumweltminister sorgt sich neuerdings mehr um den bevorstehenden Verkehrsinfarkt, als um das Weltklima, den Sommersmog oder den siechen Wald. Das ganze geschieht frei nach dem Motto: „Fahren die Autos schneller, stirbt der Wald langsamer.“ Das alte Nord-Süd-Transitland Bundesrepublik soll möglichst rasch auch in Ost-West-Richtung effektiv betoniert werden.

Vor den Wahlen klang das alles anders. Da gab es mindestens in Ansätzen eine Verkehrsdebatte unter umweltpolitischen Vorzeichen. Regierung und Opposition stritten über Mineralölsteuererhöhung oder Schadstoffabgabe, über die ökologischen Kosten der Automanie, über die Förderung der Schiene zu Lasten der Straße. Tatsächlich drehte sich der Streit ganz wesentlich um die Frage, wie die Umwelt am effektivsten aus dem Würgegriff von über 30 Millionen Pkw befreit werden kann. Es war diese Debatte, die selbst unter passionierten Autofahrern die Erkenntnis wachsen ließ, daß es so nicht weitergehen kann. Jetzt, unter dem Diktat der leeren Kassen, streiten sich Finanzminister und Haushaltsexperten über die Zukunft des Autos — nicht Umweltminister und Ökologen. Unter der Balkenüberschrift „Schutz der Umwelt“ wurde die öffentliche Akzeptanz geschaffen für jene Milliarden, die nun Theo Waigel in die Scheuer fahren will. Sollte es dabei bleiben, wäre dies der eigentliche Wahlbetrug. Gerd Rosenkranz