Japans Zurückhaltung in der Golfkrise

Außenpolitischer Spielraum durch verringerte Abhängigkeit von Ölimporten/ Erfolg staatlicher Energiesparmaßnahmen  ■ Aus Tokio Georg Blume

Ryohei Murata, der Botschafter Tokios in Washington, hatte seine Regierung rechtzeitig gewarnt. Die „Freifahrt“, die sich Nippon auf den Schultern der USA im Golf erlaube, stoße in Washingtoner Führungskreisen zunehmend auf Unverständnis. „Ein Japan, das in der Welt vertreten sein will, kann seine Verpflichtung nicht allein mit Geld begleichen“, bekräftigte auch der ehemalige Premierminister Noboru Takeshita. „Es muß auch menschlichen Einsatz zeigen.“ Doch daraus wurde nichts. Die Warnungen aus den USA blieben ungehört.

Warum sollte das Land auch im Golfkonflikt mitmischen? Völlig unbeirrt von weltweiten Ölpreisnöten und Rezessionsängsten demonstrieren Nippons Mächtige zum Jahresausklang ihr ungebrochenes Selbstbewußtsein. Die japanische Unbekümmertheit kommt nicht von ungefähr. „Zwischen der ersten Ölkrise 1973 und 1988 haben wir den Energieverbrauch in Japan um 36 Prozent reduziert“, stellt der energiepolitische Experte in Nippons schon legendären Industrie- und Außenhandelsministerium (MITI), Akira Kawamoto, fest. Verwundert fragt der Beamte: „Was sollen wir uns um die Ölpreise sorgen, wo wir doch über die energieeffizienteste Wirtschaft unter unseren Konkurrenten verfügen?“

Seit Saddam Hussein über Kuwait herrscht, sitzen MITI-Beamte wieder auf hohem Roß. In den Zeiten des Börsenbooms noch als orthodoxe Wirtschaftslenker verschrien, können die MITI-Verantwortlichen heute auf eine volkswirtschaftliche Glanzleistung verweisen: Zwischen 1973 und 1987 fiel Nippons Abhängigkeit vom Öl von 77,4 auf 56,9 Prozent des Energiebedarfs herab. In der gleichen Zeitspanne, in der sich das Bruttosozialprodukt des Landes verdoppelte, sanken die Ölimporte insgesamt um 25 Prozent. Japan steht nicht nur im Verhältnis zwischen Energieverbrauch und Wirtschaftsleistung weltweit an der Spitze, auch im Pro-Kopf-Verbrauch von Energie rangiert das Land weit hinter den meisten westlichen Industrieländern, vergleichbar etwa mit Italien und Spanien. Nippon, das allgemein als ressourcenarm und rohstoffabhängig gilt, hat sich während der achtziger Jahre nahezu unbemerkt zum ernergiepolitisch souveränsten Industrieland emporgeschwungen. „Das ist eine Leistung“, meint Akira Kawamoto.

Diese Leistung gelang in keiner Weise freiwillig. Sie ist ein Stück konsequenter Industriepolitik des MITI. Seit 1979 überwacht das Ministerium den Energieverbrauch in jährlich jeweils 5.000 ausgewählten Fabriken. Denn das Energiesparen, so hatten die Beamten entschieden, beginnt bei der Produktion. Bis zu zehn ausgebildete Ingenieure, die schweren Sonderprüfungen der Regierung unterliegen, müssen die einzelnen Firmen noch heute allein für energiesparende Maßnahmen abstellen. Die sind dann verpflichtet, dem Ministerium regelmäßig Bericht zu erstatten. Zwar drohen solchen Unternehmen, denen es damit nicht gelingt, energiesparende Maßnahmen durchzusetzen, keine Sanktionen. Doch kaum eine Firma will und kann es sich leisten, im Ansehen des MITI herabgesetzt zu werden.

Zweites Erfolgsrezept des MITI: eine verdeckte Energiesteuer, mit der das Ministerium auch bei den billigen Ölpreisen der achtziger Jahre einen Rückgang der Energiepreise verhinderte. Statt dessen sahen sich die Energieversorgungsunternehmen der ungewohnten Pflicht unterworfen, ihre Profite der Erforschung neuer Energiequellen zukommen zu lassen. Ergebnis ist, daß japanische Unternehmen heute über die weltbesten Technologien im Bereich der Solarzellen und bei der Verwertung von Flüssiggas und Flüssigkohle verfügen.

„Die Japaner machen genau das, was wir unter Carter begonnen haben. Der Unterschied liegt nur darin, daß sie weitermachen, wo wir vorzeitig aufgegeben haben“, befindet Ronald Morse, Energieexperte am Economic Strategy Institute in Washington. „In den USA haben wir alles getan, um zu deregulieren und die Energiepreise billig zu halten“, analysiert Morse. „Das bedeutet freilich auch, daß wir nun militärische Macht einsetzen müssen, damit die billigen Energiequellen weitersprudeln.“ Hätten die Vereinigten Staaten so sorgsam wie Japan auf die Ölkrisen der siebziger Jahre reagiert, überlegte unlängst das 'Asian Wall Street Journal‘, dann wäre es „vielleicht nicht nötig gewesen, Truppen in den Nahen Osten zu schicken. Tatsächlich halten dies viele Japaner immer noch für unnötig.

Während Ölpreise um 40 Dollar die Wachstumsaussichten in den USA und in Europa nicht unbeträchtlich drückten, stritten sich japanische Wirtschaftsinstitute um Wachstumseinbußen, die unter einem Prozent liegen. Worin bis heute der Grund liegt, weshalb die Solidaritätsbekundungen japanischer Regierungspolitiker mit der westlichen Golfpolitik immer wieder zu Lippenbekenntnissen gerieten. Noch im November gab sich die Regierung in Tokio den Anschein, als wolle sie Kopf und Kragen riskieren, um eigene Truppen nach Nahost zu schicken. Nun spricht in Japan niemand mehr davon. „Japans fortwährende Nichtstuerei hat viele davon überzeugt, daß unser Land der Bereitschaft entbehrt, beim Krisenmanagement auf der Weltbühne mitzuspielen“, beklagt Professor Toru Yano von der Universität in Kioto. Doch offenbar kann sich Nippon die angebliche Nichtstuerei besser als andere leisten.