piwik no script img

Kalter Kaffeesatz

Die Berufsgruppe der Hellseher ist zwar genauso überflüssig wie etwa die der Tontaubenzüchter, doch leider gibt es immer noch genügend bedauernswerte Menschen, die sich nicht zu schade sind, den Quatsch dieser Leute ernst zu nehmen. Am Anfang eines jeden Jahres haben die selbsternannten Propheten Hochkonjunktur und sahnen mit ihren seltsamen Voraussagen ordentlich ab. Bewaffnet mit kaltem Kaffeesatz oder der klassischen Kristallkugel, spinnen sie ihr dickes Garn und wollen uns dieses dann als Zukunft verhökern. Die größten Selbstdarsteller in diesem Metier sind natürlich die Amerikaner. Mit ihren Wahrsagungen für 1990 haben sie wieder mal voll daneben gehauen. Dank ihres „Zweiten Gesichts“, „Dritten Auges“ oder mit Hilfe weit entfernter Himmelskörper übertrafen sie sich gegenseitig. So sahen sie z.B. für das vergangene Jahr eine Heirat zwischen Jackie Onassis und dem Hardrocker Jon Bon Jovi voraus. Die Springflut, die über New York hereinbrechen sollte, blieb ebenfalls aus. Im Rosengarten des Weißen Hauses ist keine Spur von einem Meteoriteneinschlag zu entdecken. Und leider, leider haben die Japaner auch kein Wundermittel entdeckt, das der in jedem Winter wütenden Erkältung den endgültigen Todesstoß versetzt hätte. Einen irakischen Überfall auf Kuwait und die damit verbundene Kriegsgefahr hat keiner gesehen, wahrscheinlich herrschte gerade Bodennebel in der Kaffeetasse und diese Kristalldinger sind natürlich auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Hellseher sind selbstverständlich auch nur Menschen, doch alle modernen Zukunftsdeuter machen denselben, äußerst verhängnisvollen Fehler — und das ist ihre Genauigkeit. Ihre Prophezeihungen sind einfach viel zu konkret. Einer ihrer Gurus, der olle Nostradamus, war nicht so bescheuert. Er war in seinen Aussagen immer so vage, daß man nur die richtige Interpretation finden muß, um zumindest ein Körnchen Wahrheit zu entdecken.

Ein unumstößliches Naturgesetz lautet: Spinner bringen immer wieder neue Spinner hervor. So haben die neuen Visionäre die „Skeptiker der Region San Francisco“ geschaffen. Dieser lustige Verein, nach eigener Darstellung „eine Gruppe von Leuten aus allen Lebensbereichen, die für die kritische Überprüfung übersinnlicher Behauptungen eintreten“, hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den Blödsinn der Hellseher als solchen zu entlarven. Warum dafür erst ein Verein gegründet werden mußte, das steht nun wirklich in den Sternen. Karl Wegmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen