: Olympia: Mercedes-Spiele mit dezentralem Kulturbeutel
■ Im Olympia-Büro macht man sich Gedanken zum kulturellen Beiprogramm für die geplante Olympiade im Jahr 2000/ Die Aufarbeitung der Nazi-Olympiade von 1936, etwa mit einem Museum auf dem Olympia-Gelände, kommt vorerst zu kurz/ Schwierzina will Mercedes als Hauptsponsor
Mitte. Der designierte Sportsenator und Noch-OB, Tino Schwierzina (SPD), fordert in der Springer- Presse offen »Mercedes-Spiele« für Berlin 2000. Daimler-Benz bot erfolglos einen Rüstungsmanager als Olympia-GmbH-Chef an. NOK- Chef Willi Daume meint, daß Olympia 1936 heute keine Rolle mehr spielt. Bei soviel froher Verdrängung ist es kein Wunder, daß die Themen Olympia und Kultur und die Vergangenheit der Olympischen Spiele in Berlin früh zum Streitpunkt innerhalb der früheren rot-grünen Koalition wurden. Im Sommer 1990 wurde der damalige alternative Sportstaatssekretär, Hans-Jürgen Kuhn, auf Geheiß von NOK-Chef Daume vom Regierenden Momper gefeuert und von seinen Olympia-Aufgaben entbunden. Kuhn hatte verlangt, daß Berlin noch vor einer Bewerbung für Olympia die Nazi-Olympiade von 1936 mit einem wissenschaftlichen Kongreß thematisiert. Die taz fragte beim Olympia-Büro nach, was man sich dort so als kulturelles Beiprogramm für das Jahr 2000 und die Zeit vorher ausgedacht hat.
»Man wird sich viel einfallen lassen müssen«, befand unlängst Willi Daume, Präsident des deutschen Nationalen Olympischen Komitees (NOK), »auch für die kulturellen Aspekte. Aber hierzu ist Berlin ja als große Kulturstadt zweifellos in der Lage.«
Des Präsidenten Worte und der Artikel 38 der Olympischen Charta, der ein gleichwertiges Kulturprogramm parallel zu den Wettkämpfen fordert, sind dem Berliner Olympia- Büro Befehl. Neben Laufparcours, Sporthallen und der Schnellbahn »Olympia-Expreß« kümmern sich die Planer in der sechsten Etage des »Hotels Stadt Berlin« deshalb auch um die Kultur im Zeichen der fünf Ringe. Schlagkräftige und farbenprächtige Devisen wie »Innenstadtspiele« oder »Regenbogen-Achse« (das meint die Reihung von Olympia- Stätten entlang des S-Bahn Nordrings) sind freilich vorerst nicht angesagt.
Der verantwortliche Sportwissenschaftler Christoph Dahms hält auf Bescheidenheit. Ihm kommt es darauf an, daß bei der Kultur »eine sehr breite Vielfalt erhalten und entwickelt wird«. Gerade im Ostteil der Stadt müsse jetzt Substanz gesichert werden, so zum Beispiel die Museumsinsel. Trotz des anerkannt hohen Kultur-Levels Berlin gebe es aus Olympia-Perspektive auch noch Defizite, unter anderem beim Film und Tanz. Hier gibt es konkrete Überlegungen für ein Tanzfestivalim Jahr 1992, auch ein festes »Tanzhaus« steht auf der Wunschliste. Im Rahmen der Filmfestspiele soll es 1993 die »Berliner Sportfilmtage« geben. Spielfilme aus dem Sport-Genre sollen da zu sehen sein, Lehrfilme und Olympiastreifen. »Natürlich auch Leni Riefenstahl«, sagt Dahms.
Aber, wie gesagt, im Olympia- Büro am Alexanderplatz ist man bescheiden. Solche Projekte könne man nur mit »anschieben«, heißt es. Wichtig sei es, daß schon in den nächsten Jahren etwas passiere. »Richtig fahren« könne man die Projekte ohnhin erst nach der Bildung der neuen Landesregierung und der Entscheidung des NOK im Frühjahr, die entweder zugunsten Berlins oder seines Rivalen Ruhrgebiet fallen wird — so Reinhard Heitzmann, Chef der Olympia-Öffentlichkeitsarbeit.
»Ex oriente lux« — das gilt auch für ein weiteres kulturelles Manko, das die Kultur-Olympioniken aufgetan haben: dem Sportmuseum. Die rund 40.000 Exponate des nichtöffentlichen »Sammlungszentrums zentrales Sportmuseum der DDR« sind unter Senatsregie gelangt und sollen als Grundstock für eine zukünftige Ausstellung gesichert werden. Bis 1933 gab es schon einmal ein Museum für Leibesübungen in der Stadt — es wurde von den Nationalsozialisten aufgelöst.
Ausstellungen soll es natürlich schon im Vorfeld der Spiele geben. Projektiert ist eine Schau zur »Geschichte der Olympischen Bewegung in Berlin«, die übrigens nicht erst mit dem Jahr 1936 beginnt. Schon für 1916 hatte die Stadt den Zuschlag — allerdings kam der Erste Weltkrieg dazwischen. Einen wissenschaftlichen Kongreß soll es ebenfalls Mitte der neunziger Jahre geben. Werden da auch »unsportliche« Aspekte wie die nationalsozialistische Rassenpolitik (»zigeunerfreie Stadt«) bei den Berliner Spielen 1936 behandelt? Sicher, »die wissenschaftliche Redlichkeit der Referenten« werde dies gewährleisten, versicherte Dahms.
All dies muß organisiert werden, deshalb muß ein Kulturbeirat her, 20 bis 30 Vertreter Berliner und auch auswärtiger Kultureinrichtungen werden sich da versammeln.
Wenn Berlin 1993 den Zuschlag des IOC erhält und es im Jahr 2000 endlich soweit ist, wird es neben der Deutschland- und Berlin-Präsentation auf den Gebieten Architektur, Literatur, Musik, Malerei, Skulptur und Sport-Philatelie (IOC-Mindestanforderungen) auch spezielle Programme für das Olympische Dorf und das Internationale Jugendlager geben. Zu dem Großereignis sollen nicht nur Abbado und die Philharmoniker aufspielen, sondern auch »dezentrale Kultur« eine Chance erhalten. Eine Idee besteht darin, einzelne Berliner Stadtbezirke für bestimmte Kontinente zuständig zu erklären. Da es bekanntlich mehr Bezirke als Kontinente gibt, müßte ausgewählt werden: etwa Kreuzberg für Karibik, Zehlendorf für Zentralafrika.
Tanz, Film und ein Sportmuseum: der geniale Einfall, die zündende Idee, der große Wurf fehlt wohl noch bei der Olympia-Kultur. Es ist ja noch Zeit. Wenn es unbedingt ein Motto geben muß: vielleicht läßt sich das wort »multikulturell« vermeiden. Christian Böhmer
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