Prenzlauer Berg: Wenn der Mieterberater erzählt...

■ Im Bezirk Prenzlauer Berg gerät das Gefüge bei den Mieten durcheinander/ Wohnungsgesellschaften beginnen erst jetzt, leerstehenden Wohnraum zu erfassen/ Hauptmieter knöpfen Untermietern oft das Zehnfache dessen ab, was sie selber zahlen/ Die Berliner Mietergemeinschaft gibt Rat

Prenzlauer Berg. Flackerndes Neonlicht strapaziert die Augen, doch vor dem Bürgerladen stehen die Mieter Schlange. In der Kollwitzstraße 92 berät die Berliner Mietergemeinschaft jeden Dienstag abend ratsuchende Ostberliner und auch zunehmend ehemalige Westler, die sich mittlerweile im Bezirk Prenzlauer Berg niedergelassen haben.

Die Gespräche erlauben einen Einblick in Ostberliner Verhältnisse: »Wir wohnen praktisch illegal in einer Zwei-Raum-Wohnung und haben keinen Mietvertrag«, erzählt ein junges Paar. Eine Bekannte vermittelte ihnen die Wohnung hinter dem Rücken der Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg. Nun bekommen die beiden keinen Vertrag, weil sie keinen Wohnberechtigungsschein (WBS) mit Dringlichkeit vorweisen können. Der jedoch ist nötig für jede der 470.000 Ostberliner Wohnungen — drei Viertel des Bestandes —, die den magistratseigenen Wohnungsbaugesellschaften gehören. Aber der WBS steht nur alten und kranken Menschen oder Menschen mit Kindern zu.

Das Paar zahlt seit Monaten Miete an die Nachfolgegesellschaft der kommunalen Wohnungsverwaltung. Die wiederum schickt ab und zu eine Räumungsaufforderung, die wenig später regelmäßig zurückgenommen wird. »Wenn die Gesellschaft über sechs, sieben Monate die Miete von Ihnen akzeptiert, dann entsteht ein faktisches Mietverhältnis«, weiß Rechtsanwalt Thomas Furth. Zudem brauche die Wohnungsgesellschaft, wenn sie die beiden loswerden wolle, einen Räumungstitel vor Gericht. »Eine Räumungsaufforderung der Gesellschaft können Sie getrost in den Papierkorb werfen.« Und wenn die beiden erst einmal im Besitz eines Mietvertrages sind, darf nachträglich von ihnen kein Wohnberechtigungsschein verlangt werden.

Auch der nächste Fall ist ein seit Monaten ansässiger Schwarzmieter, und Furth gibt ihm den gleichen Rat. »Ich habe manchmal das Gefühl, fast ein Viertel der Mieter am Prenzlauer Berg wohnt irgendwie illegal«, stöhnt er nachher — andere Schätzungen gehen von fünf bis zehn Prozent aus. Ostberliner Mieter gaben nach ihrem Auszug oft genug nicht die Wohnungsschlüssel ab: Die Miete ist billig, und der Wunsch der KWV, zu kontrollieren, wer wo wohnt, war offenbar nie sehr intensiv. Seit einigen Monaten werden immer mal wieder Bewohner entdeckt, die seit Jahren keine Miete zahlen. Mitarbeiter der Wohnungsgesellschaft laufen mittlerweile die Häuser ab und registrieren, ob Wohnungen leer sind.

Wenig begeistert ist das Bezirksamt Prenzlauer Berg über illegale Mieter. »Wenn uns so etwas bekannt wird, gehen wir dagegen vor«, sagt Baustadtrat Mathias Klipp vom Bündnis 90. Vor allem gutsituierte Westdeutsche, die auf legalem Wege weder im West- noch im Ostteil der Stadt an eine belegungsgebundene Wohnung kommen, schmuggelten sich in den Kiez und verdrängten langfristig die Ostler. Und die Mitarbeiter der ehemaligen KWV, vermutet Klipp, lassen gelegentlich alle Fünfe gerade sein. »Die verdienen mal gerade 600 Mark im Monat und haben Angst um ihren Arbeitsplatz, denen ist das egal«, meint Klipp. Beim Magistrat will man die jetzige WBS-Regelung durch einen Kooperationsvertrag mit den Wohnungsbaugesellschaften ersetzen. Dann wird nur noch ein Teil der Wohnungen per WBS vergeben.

Wenig Glück haben Fruths nächste Kunden: Einem jungen Paar wurde eine Gewerbeetage zum Arbeiten und Wohnen angeboten. 100 Mark monatlich kostete sie früher, jetzt verlangt der (private) Vermieter das Zehnfache. Nachdem dort schon vorher ein Gewerbebetrieb ansässig war, könne man nichts machen, bedauert Furth. Die Gewerbemieten sind auch im Ostteil der Stadt weitgehend freigegeben. Auch die verlangten drei Monatsmieten Kaution seien bei einem Gewerbemietvertrag zulässig.

Unzulässig sind allerdings überhöhte Wohnungsmieten. Denn noch gilt in der Ex-DDR die Mietpreisbindung. Zudem beziehen Vermieter vom Staat Zuschüsse, um die Kosten zu decken. Dem jungen Mann, der für seine Ein-Raum-Wohnung 200 Mark monatlich zahlen soll, kann geholfen werden. »Finden Sie heraus, was die Miete wirklich kosten darf«, rät Furth. Er könne sich bei Nachbarn erkundigen, wo der Vormieter hingezogen ist, oder aber den Preis der Nachbarwohnungen heranziehen — soweit diese in Größe und Ausstattung vergleichbar sind. Diesen Betrag — Furth schätzt ihn auf 35 bis 40 Mark pro Monat — solle der junge Mann dann einfach zahlen. »Wenn der Vermieter mehr will, müßte er klagen, und das ist angesichts der Rechtslage aussichtslos.« Schwieriger ist es, zuviel gezahlte Miete zurückzubekommen. Darauf hat der Mieter zwar einen Anspruch, muß aber selbst klagen.

Unter überhöhten Mieten leiden vor allem Untermieter, denen längst verzogene Hauptmieter oft das Zehnfache dessen abknöpfen, was sie selber zahlen. Ihr eigenes Gewissen beruhigen die Jungunternehmner meist damit, daß der wohlhabende Wessi-Student doch locker 400 bis 500 Mark monatlich bezahlen könne. Doch »eine überhöhte Miete ist auch bei der Untervermietung illegal«, weiß Furth und rät: »Setzen Sie sich mit der Wohnungsbaugesellschaft in Verbindung und klopfen Sie auf den Busch, ob die Ihnen einen Mietvertrag geben würde«, sagt er zu dem nächsten Klienten. Falls ja, solle er ab sofort einfach nur die zulässige Miete zahlen. »Wenn Ihnen die Wohnung vor dem 3. Oktober abgeboten wurde und sie unmöbliert ist oder Sie zu mehreren eingezogen sind, gilt das alte DDR-Mietrecht. Dann darf der Hauptmieter Sie nicht kündigen, nicht einmal wegen Eigenbedarfs, solange es keine Mietrückstände über die gesetzlich festgelegte Miete hinaus gibt.« Und die ist bekanntlich niedrig. Der Hauptmieter könne nur den Mietvertrag gegenüber der Wohnungsbaugesellschaft kündigen. Und dann steht der ehemalige Untermieter dort schon bereit.

Einen Trost hält Furth auch für die weniger glücklichen Fälle von Untermiete bereit. Wer den Untermietvertrag nach dem 3. Oktober abschloß oder möbliert und als Einzelperson wohnt, darf zwar bei Renitenz gekündigt werden. Die über die Monate zuviel gezahlte Miete kann er jedoch einklagen — und zwar rückwirkend bis zu einem Jahr.

Die nächste Ratsuchende will einen Untermieter aufnehmen, aber die Wohnungsgesellschaft ist dagegen. »Die können nicht dagegen sein, denn Ihr alter Mietvertrag nach DDR-Recht gestattet das«, sagt Furth. Die alten Mietverträge, wird er nicht müde zu betonen, seien nach wie vor gültig. »Unterschreiben Sie keinen neuen Vertrag, nur weil der Verwalter gewechselt hat. Dazu sind Sie nicht verpflichtet«, warnt er. Denn der neue Mietvertrag birgt einige Pferdefüße. So ist nur bei Mietverträgen vor dem 3. Oktober ausgeschlossen, daß der Vermieter wegen Eigenbedarf kündigen darf.

Kompliziert verhält es sich bei den nächsten Kunden, denn da ist das Haus an private Verwalter gegangen. Und die lassen modernisieren. »So etwas muß zwei Monate vorher angekündigt werden, und die müssen Ihnen auch sagen, wie hoch die Miete nachher wird«, sagt Furth. Daß die Bauarbeiter Mieterkeller aufbrechen, sei nicht legal. Notfalls müßten die Mieter die Polizei holen. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft ist da nicht immer ein Vorbild: Unlängst wurden in einigen ihrer Häuser Zettel einer Baufirma angeschlagen. Die kündigte an, bei Gelegenheit vorbeizukommen und die Fenster gegen Isolierglas auszuwechseln. »Bitte sprechen Sie unsere Bauarbeiter nicht an, die haben viel zu tun«, hieß es vorsorglich. Was die Miete nachher kostet, blieb in den Sternen.

Denn eine Modernisierung, die nach dem 3. Oktober beendet wurde — etwa der Einbau von neuen Fenstern, einer Innentoilette oder eines Bades —, läßt die Miete explodieren. Elf Prozent der Modernisierungskosten dürfen auf die Jahresmiete umgelegt werden. Diese Kosten solle man sich wenigstens per Rechnung nachweisen lassen. Der letzte Klient an diesem Abend bringt in die Mieterberatung einen Bewerbungsbogen mit, den eine Wohnungsvermittlungsfirma verteilt. Er möge doch bitte selbst eine Summe eintragen, die er im Erfolgsfalle für angemessen hoch halte, hieß es da. Eva Schweitzer