Entsetzen über Einwanderung von Juden nach Deutschland

■ Amerikanische und israelische Juden kritisieren die Zustimmung der deutschen jüdischen Gemeinde zur Einwanderung sowjetischer Juden

Der israelische Verband des Jüdischen Weltkongresses (WJC) hat die Unterstützung deutsch-jüdischer Organisationen für die Einwanderung sowjetischer Juden nach Deutschland scharf verurteilt. In einer am Dienstag in Jerusalem veröffentlichten Stellungnahme heißt es, es sei „schwer zu verstehen und hinzunehmen“, daß jüdische Organisationen in Deutschland die Einwanderung von Juden in ein Land befürworten, „daß unter den Nazis für die Ermordung von sechs Millionen Juden verantwortlich war“. Weiter heißt es in der Erklärung, daß die israelische Sektion des WJC „mit aller Entschiedenheit die diesbezüglichen Anstrengungen der jüdischen Gemeinschaft zurückweise“. Der Weltverband wurde aufgefordert, seinen Einfluß zu nutzen, um entsprechende Aktionen zu stoppen. „Israel ist die natürliche Heimat der Juden“, es sei unvorstellbar, daß Juden „in diesen Zeiten in der Welt den Status heimatloser Flüchtlinge“ annähmen.

Die israelische Sektion des Weltkongresses teilt damit die Haltung der „Holocaust Orgsanisation“ in den USA. Diese Organisation mit mehr als 70.000 Mitgliedern hatte sich schon in der vergangenen Woche „entsetzt“ über die jüdische Einwanderung nach Deutschland geäußert. Sie haben ebenfalls den Jüdischen Weltkongreß aufgefordert, die Einwanderung nach Deutschland zu verurteilen. Ende dieser Woche werden die 40 amerikanischen Sektionen des Weltkongresses darüber entscheiden, ob sie die Auffassung der Holocuast-Vereinigung auch zu ihrem verbindlichen Standpunkt erklären. Dieser Protest aus Israel und Amerika ist vor allem ein Affront gegen Heinz Galinski, der sich seit Monaten vehement bei den deutschen Politikern für die Aufnahme der in der Sowjetunion bedrohten Juden einsetzt. Mehrfach hat Galinski betont, daß er die Einwanderung nach Deutschland nicht als ein Mißtrauensvotum gegen Israel begreift, daß aber das „Selbstbestimmungsrecht“ der ausreisewilligen Juden im Vordergrund stehen müsse. Zudem erhofft sich Galinski, daß durch die jüdische Zuwanderung aus dem Osten das Gemeindeleben in Deutschland gestärkt wird.

Auf Unverständnis wird die Haltung bei den Juden stoßen, die gerade nicht nach Israel wollten. Es gibt unter den Bewohnern der Berliner Aufnahmeheime schon einzelne, die über Israel aus der SU ausreisten aber nach Deutschland wollen. Der Chemiker Nikolaij M. gehört zu dieser noch recht kleinen Gruppe. Er lebt mit seiner Familie schon seit vier Wochen im Aufnahmeheim in Ahrensfelde bei Berlin. Israel habe er verlassen, sagt er, „weil er Pazifist ist und seine beiden Söhne nicht im Militärdienst sehen möchte“. Als „Verrat an Israel“ kann er seine Entscheidung nicht begreifen. Seine Erfahrungen in Tel Aviv bezichnet er als „desillusionierend“. In Moskau sagt er, „wurden wir angefeindet, weil wir Juden waren, in Israel, weil wir es nicht genug waren“. Ein Weg zurück ins Judentum sei ihnen durch die orthodoxe Haltung der israelischen Einwanderungsbehörde sehr erschwert worden. Seine Frau ist Nichtjüdiun, Mischehen sind in Israel nicht wohlgelitten. 70 Prozent der nach Berlin einreisenden sowjetischen Juden sind mit Nichtjuden verheiratet.

Auch für die jetzt in Zittau lebende Musikerin Wanida S. kam eine endgültige Emigration nach Israel nie in Frage. Sie hat Israel erst kurz vor Weihnachten verlassen, aus Angst vor einem Krieg mit dem Irak. Jetzt zeigt sie sich „überwältig“ von der Hilfsbereitschaft der Deutschen. „Früher wäre ich in Deutschland umgebracht worden“, sagt sie, „aber jetzt sind die Deutschen sich ihrer Schuld bewußt und versuchen eine späte Wiedergutmachung.“ Anita Kugler