Der Malermann als Chirurg

■ »Martha ist da« von Micha Kühne

Wer ist Martha? Micha Kähne hat ihre Anwesenheit zum Titel seiner Ausstellung erhoben. Eine glatte Lüge. Martha kann nirgendwo ausgemacht werden. Kähne behauptet gar, diese Frau gar nicht zu kennen. Ist sie jene, die da lichterloh brennt? Ein anderes Bild will ein Indiz liefern: »1 1/2 Frauen« sein Titel. Die freigelegte Wirbelsäule verbindet einen abgemesserten Rumpf mit dem Körperrest. Fleischfetzen auf grünem Grund, zwischen beiden Figuren ein Strom leuchtender Farbigkeit, der sich aus dem Bild herausgießt. Immer sind es Frauen, die da Übeles erfahren, verstümmelt, verbrannt, gar enthauptet werden.

Martha exisitiert nur in ihrer Negation. Ihr Kopf liegt zu Füßen des nackt zurückgelassenen Körpers. Der Hals klafft in den Bildrand, der Schnitt bleibt ausgespart, dennoch Blutspuren. Das ist die beinahe nüchterne Beschreibung eines allseits bekannten Ist-Zustandes, über den ein gesellschaftlicher Konsens besteht. Kähne schließt sich davon aus und nicht daran an.

Seine Annäherung an den Frauenkörper erfolgt zumeist mit dem Messer. Er spielt die Rolle des Chirurgen, des Analytikers. Die demontierten Teile legt er beiseite, die ihnen einst immanente Motorik bleibt in den Fragmenten erhalten, kann weitergedacht werden. Gliedmaßen laufen durchs Bild, ein Bein steht auf einem Nagelkissen. Es pocht auf Autonomie, braucht seinen Körper nicht mehr. Ebenso verhalten sich die abgestellten Körperhüllen. Menschenleer hängen Hose und Jacke im Bild. Fußlos, aber selbstbewußt, stehen die Schuhe darunter. Daneben eine Figur in ihrer elementaren und äußerlichen Vollständigkeit.

Maler Kähne zieht kein Ding dem anderen vor. Seine Sympathie und Aufmerksamkeit gilt eher der Idee hinter den gegenständlich faßbaren Details. Davon zeugen auch die ins Bild geholten Objekte. Das Fakirbett, ein Kinderwagen, Räder. Die sorgfältig angeordneten Löffel könnten aus dem Materialfundus von Marcel Duchamp stammen, an dem Kähne vorsichtig vorbeigeht.

Auf seinem Weg von der Kunsthochschule Weißensee, die ihn nach fünf Jahren als professionellen Maler entlassen hat, streifte Kähne Brandherde wie Chaime Soutine und Egon Schiele, deren Deformationsästhetik ihm weitergeholfen haben, eine großzügige Geste zu entwickeln. Die frühere Perspektive »von oben herab«, nicht als Haltung, sondern als Sichtweise — Micha Kähne ist fast zwei Meter groß — ist einem geraden Blick gewichen.

In einem so kleinen Heimatland wie der ehemaligen DDR blieb eine Dresdner Schule mit ihrem Expressionismus, von der nahezu vollständig emigrierten Malstrom-Genereation wiederbelebt und weitergemalt, nicht ohne Wirkung. Doch der in Vilnius geborene Kähne ist weder in Dresden noch in Berlin zuhause. Er sperrt sich in seinem Bildern jedem Zuordnungsversuch. Und richtig gut geht es ihm nur mit Scheila. Ist Martha offensichtlich abwesend oder nicht existent, ohne seinen Hund Scheila wurde Micha Kähne bisher nicht gesehen. Micha Möller

Die Eröffnung findet heute, 20 Uhr in der Galerie Johannes Zielke, Oderberger Str. 54 statt, leider ohne Band (Bis 2.2., Di-Fr 14-19, Sa 15-19 Uhr)