Der Hinte und sein Chauffeur

■ Das Viertel rätselt: Wer wollte die straßenlose Gesellschaft? Was wußte Hinte?

Ich bin, ich weiß nit, wer. Ich komme, ich weiß nit, woher. Ich gehe, ich weiß nit, wohin. Mich wundert, daß ich so fröhlich bin.Foto: Falk Heller

Als Sanne Saap aus dem Urlaub kam, schien noch alles zu sein wie zuvor. Gutgelaunt war sie am Flughafen in ein Taxi gestiegen, hatte dem Fahrer frohgemut „Ein gutes neues Jahr“ und „Einmal Deichstraße“ zugerufen. Und weil Sanne Saap zu den Menschen gehört, die immer mit Taxifahrern reden, begann sie gleich von ihrem Urlaub zu erzählen, dem Wetter, dem Essen und den freundlichen Menschen dort draußen in der weiten Welt.

Dieser Taxifahrer jedoch gehörte zu den jenen Taxifahrern, die auf noch so freundliche Ansprache nur mit leisem Knurren reagieren. So in etwa Höhe Weserbrücke bemerkte Sanne Saap die grimmige Grundstimmung ihres Chauffeurs und beugte sich etwas näher zu ihm herüber, um zu verstehen, welches Wort der Mann zwischen seinen Zähnen hin und her bewegte. „Schraffnel“, glaubte sie zu verstehen

hierhin

bitte das Foto

von der Straßenecke

mit um sie biegender

Frau

oder „Schrappnur“ oder so ähnlich. „Sie müssen hier rechts den Osterdeich hochfahren und dann links“, sagte Sanne Saap, nicht um den Chauffeuer zu bevormunden, sondern um ihm durch deutlich zur Schau getragene Hilfsbereitschaft ein wenig die Laune zu erheitern.

Doch was war das? Die erste Straße, die vom Osterdeich links abging, hieß „Straße“. Und die nächste wieder „Straße“. Dann kam noch eine „Straße“. Und dann ein „Wall“. „Sie müssen an der Deichstraße vorbeigefahren sein“, stellte Sanne Saab fest. „Fahren sie hier doch bitte links, und dann gleich da vorne wieder links.“

Das Knurren des Fahrers wurde lauter. Die nächste Straße hieß „Straße“, dann ein „Pfad“, ein „Weg“, eine „Straße“. Eine Kreuzung, eine Ampel, ein Linksabbiegeverbot, ein Schrei: „Das war ER wieder. Das muß ER gewesen sein.“

Der Taxifahrer sprang aus dem Wagen und raste zu Fuß hinein in das Milchquartier. Sanne Saap konnte kaum folgen. Dort wo einst die Straßen Reeder-, Kreuz-, St-Pauli-, oder Alexander- hießen, war nun alles zu namenlosen Gassen geworden. Und vor den Häusern standen die Menschen und versuchten richtige Schlüssel in falschen Türen umzudrehen.

Sanne Saap und ihr Chauffeur rasten weiter in die Richtung, wo früher die Deichstraße gewesen sein mußte. Und dort im Schatten der Laterne stand er, den Pinsel mit dunkler Farbe noch in der Hand, das schwarze Lederjöppchen über dem eher schmalen Rücken.

„Hinte“, brüllte der Fahrer und riß dem Vermummten die Trittleiter unter den Beinen und das Palästinensertuch vom Gesicht weg. „Hinte, dein Spiel ist aus.“

Schweißgebadet von der Vorstellung, daß der Briefträger nun keine Päckchen mehr bringen würde, wachte Sanne Saap auf, warf sich in ihren Monteursanzug und rannte auf die Straße, um nach dem Rechten zu sehen. Und siehe: Der böse Traum war vorbei.

An der Straßenecke standen die Bediensteten von Herrn Hinte, und schrubbten Schilder, daß es ihr eine Freude war. Sanne Saap atmetete tief ein. Denn nun war ihre Welt wieder in Ordnung. Sretsök