Nicaragua: Düstere Wirtschaftsprognosen für 1991

■ Die versprochene Finanzhilfe aus dem Ausland kam nicht/ Neues Geld ist im Ausland nicht aufzutreiben/ Antisandinisten mit Durchhalteparolen

Managua (ips) — Unverändert schlecht präsentiert sich die Wirtschaftslage Nicaraguas zu Beginn des neuen Jahres. Acht Monate nach dem Amtsantritt der Koalitionsregierung Chamorro liegt die Jahresinflation wesentlich über jener von 1989. Die Landeswährung setzt ihre Talfahrt fort.

13.000 Prozent betrug inoffiziellen Quellen zufolge die Inflationsrate 1990, der Arbeitslosenanteil liegt gegenwärtig bei etwa vierzig Prozent der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung. Geschätzte 700.000 der 3,8 Millionen NicaraguanerInnen sind ohne regelmäßiges Arbeitseinkommen. Ende 1990 verfügten die nicaraguanischen KonsumentenInnen über eine um vierzig Prozent geringere Kaufkraft als noch ein Jahr zuvor. Nach einer kürzlich veröffentlichten UN-Studie leben achtzig Prozent der Bevölkerung in „extremer Armut“.

Eine soeben erschienene Studie des Verbandes der nicaraguanischen Wirtschaftsfachleute (APEN) prophezeit auch für 1991 keine Wende zum Besseren. Nach dieser Analyse notiert die Landeswährung Cordoba trotz der fünfzig im letzten Jahr erfolgten „Miniabwertungen“ zu Beginn des neuen Jahres noch immer 120 Prozent über ihrem eigentlichen Wert. Um eine abrupte große Abwertung zu vermeiden, werde die Regierung den Cordoba weiterhin in kleinen Schritten zwischen fünf und zehn Prozent abwerten müssen.

Diese Währungspolitik, so die Experten, werde bis wenigstens April oder Mai 1991 aufrechterhalten werden — dem Zeitpunkt, zu dem die alte Währung „Cordoba“ endgültig durch die neue Einheit „Goldcordoba“ abgelöst sein soll. Die Ersetzung der im Volksmund „Schweinecordoba“ — „Cordoba Chanchero“ — genannten alten Währungseinheit wird seit Mitte letzten Jahres durchgeführt. Der neue „Goldcordoba“ soll auf einem Kurs von 1:1 mit dem Dollar gehalten werden.

Die Autoren der Studie prognostizieren für 1991 außerdem einen beträchtlichen Rückgang der staatlichen Steuereinkünfte, der auf den 1990 erlittenen Produktionsrückgang zurückzuführen sei. „Ich habe nicht viel Grund, für 1991 optimistisch zu sein“, sagt auch Gewerkschaftsführer Lucio Jimenez, Chef des prosandinistischen Gewerkschaftsverbandes FNT. „Das Land geht ohne Finanzmittel von außen in das neue Jahr“, meint Jimenez in Anspielung auf das nicht eingelöste Versprechen der Regierung Chamorro, schon 1990 könnte durch massive Finanzhilfe aus dem Ausland eine Sanierung der Wirtschaft eingeleitet werden.

Die aus den Vereinigten Staaten eingetroffene Finanzhilfe ist geringer als erhofft. Die Versuche der Regierung, von einer Gruppe von Geberstaaten 300 Millionen US-Dollar zur Begleichung von Zahlungsrückständen aufzutreiben, waren bislang erfolglos. Auf einem Ende 1990 in Paris abgehaltenen Treffen gelang es den Nicaraguanern nur, für März 1991 eine weitere Zusammenkunft zu vereinbaren.

Für das Ausbleiben konkreter Zusagen macht Gewerkschaftschef Jimenez die Regierung mitverantwortlich, die es versäumt habe, den Gläubigern zeitgerecht ein Budget für 1991 vorzulegen: „Wir müssen gegen die massiven Entlassungen und den Abbau sozialer Errungenschaften kämpfen, die unter anderem deswegen drohen, weil die Regierung unfähig ist, den internationalen Finanzorganisationen gangbare Vorschläge zu präsentieren.“

Oppositionsführer Daniel Ortega bezeichnete die wirtschaftliche und politische Stabilisierung des Landes als „die Herausforderung für 1991“. In einer Pressekonferenz zu Jahresende meinte er, daß „Stabilität nicht schwer zu erreichen ist: Man muß den Arbeitslosen Arbeit geben und den gesellschaftlichen Reichtum besser verteilen.“

Die größte Hoffnung, die Kardinal Obando y Bravo, Erzbischof von Managua, für das neue Jahr hat, ist, „daß sich das Volk im Schweiße seines Angesichts sein Brot verdienen kann“. In einer Botschaft zu Jahresende sagt Obando y Bravo, 1990 habe „positive Aspekte“ gehabt, die wirtschaftliche Lage habe aber vor allem die Armen schwer belastet. „Wenn ich den Frieden fordere, meine ich nicht nur die Abwesenheit von Krieg, sondern auch, daß alle Nicaraguaner über das für ein würdiges Leben Notwendige verfügen“, sagte der Kirchenführer.

Für Präsidentschaftsminister Antonio Iacayo, Schwiegersohn und einer der engsten Berater der Präsidentin Violeta de Chamorro, liegt der Schlüssel für die ökonomische Genesung des Landes vor allem in der Gewährung einer „Sonderbehandlung“ Nicaraguas durch die internationalen Finanzorganisationen. In Übereinstimmung mit einem im September der „UNO“ präsentierten nicaraguanischen Vorschlag soll sich diese Sonderbehandlung auf die „Nachkriegsperiode“ des Landes erstrecken.

„Politische Veränderungen“ prophezeite für 1991 Vizepräsident Virgilio Godoy in einem Radiointerview zum Jahreswechsel. Godoy opponiert innerhalb der regierenden Bürgerkoalition „UNO“ als Vertreter einer „harten antisandinistischen Linie“ gegen den „gemäßigten“ Kurs von Präsidentin Violeta de Chamorro. Ohne die erwarteten Veränderungen zu konkretisieren, prophezeite Godoy für das kommende Jahr „einen neuen Sieg des Volkes über das Leid, das es in den zehn Jahren des Sandinismus und den acht Monaten der neuen Administration erfahren hat“.