Filmförderung als Gesamtkunstwerk

■ Zu einer Tagung über „Film — Ware — Kunst“ in Frankfurt

Preisfrage: Wo begegnen einem immer häufiger Worte wie „am Ende“, „tragfähig“, „muß greifen“, „Krise“, „Gremienfilz“, „Marktanteil unter fünf Prozent“, „tausend Töpfe“, „außen vor“, „Intendantenmodell“? Richtig: bei einem Seminar über die Misere des deutschen Films, dargestellt am Beispiel der (besonders im Verhältnis zum Resultat relativen) Großzügigkeit ebenso deutscher Filmförderung (mehr als hundert Millionen pro Jahr). So geschehen kürzlich in Frankfurt, wo das im Aufbau befindliche Filmhaus ein „Symposion zur aktuellen Debatte um den deutschen Film, sein Verschwinden vom Markt und die Kunst der Subvention“ veranstaltete. Gekommen war man (etwas angeschlagen zum Zuhören, Streiten, Mitreden) aus Nord, Süd und West, von Hamburg, Köln und München; nur die „Schwager aus dem Nahen Osten“ fehlten diesmal ganz. Verständlich, denn es war auch ohne sie eng genug. Und doch schien schon ein bißchen merkwürdig, daß, was vor einem Jahr noch großkotzig klang (der „deutsche Film“), heute zweifelsohne (auch juristisch) keine andere Bezeichnung verdient, gleichwohl wie zuvor nur den einen Teil deutschen Films meint. Von dem beigetretenen anderen war nicht einmal in Ansätzen die Rede, von den dort massenhaft um sämtliche Arbeitsmöglichkeiten gebrachten Machern gleich gar nicht, außer einmal: als Phantom für den Arbeitsmarkt. Stichwort: Achtung, dumping jobbing.

Immerhin lieferten irgendwann „Cineasten aus Thüringen“ mit ihren ratlosen Gesichtern den Anstoß für diese „bündelnde Debatte“. Ausgefochten wurde sie zwei Tage lang im Rittersaal des Deutschordenshauses. In einem Stift, über dessen Hof Jahrhundertnonnen huschten, unter den alten Ölgemälden einst adliger, weltlicher, städtischer Herrscher, gerahmt vom schnittigen Design der Sechziger. Die Tagung selbst bot eine Mischung aus fundierter Vorbereitung, teilweise gar aggressiv scharfer Polemik, aber auch launiger Talkstimmung. Was hindert also den deutschen Film daran, daß er von sich nicht sagen kann wie ein großer deutscher Banken- und Versicherungsverbund: Wir machen den Weg frei oder öffnen gar Horizonte? (Mein Sohn, 6, der TV-Werbung weglutscht wie Lollybälle, vergewisserte sich neulich erschrocken: „Nicht, Papa, einen Horizont kann man nicht öffnen?“) Ist die Marktwirtschaft, ohnehin ein kaum ungeteilter Segen für Kunstproduktion, noch so frei, daß sie dieses Attribut verdient — in einem global monopolistisch geknüpften Spinnennetz?

Die Diskussion um eine Art Schutzzoll für die Filmkunst wurde eingeleitet mit der schön rhetorischen Fragestellung: „Wo bitte geht's zum Markt?“ — Analysen eines Mythos'. Dieser Weg, befanden die Debattierenden (Dieter Kosslick, Wolf von Verschuer und andere), ist verstellt und doch wiederum nicht so verstellt, daß es nicht darauf ankäme, Schleichwege zu finden und zu nutzen. Wie aber verfährt der abgehobene, über alle Käuflichkeit erhabene europäische Kunstbegriff mit strategischen Komponenten? Folglich überwogen auch hier die konjuktivistischen Empfehlungen, immerhin hat man es ja mit komplizierten Persönlichkeitsstrukturen zu tun, und so richtig imperativ handhabbaren Rat weiß zudem wirklich keiner in bezug auf dieses dahinsiechende Phänomen wehrlos nichtamerikanisch gepowerter Filmkunst.

Die erste notwendige Provokation kam von außen: Thomas Elsaesser aus Norwich (GB) sprach ermunternd frech darüber, wie sich die verzwickten, klein gehaltenen, eher mittelständischen Produktionsbedingungen in der Ästhetik des deutschen Films spiegeln. Er beschreibt in psychoanalytischen Skizzen das Kapsar-Hauser-Syndrom des bundesdeutschen Films, der eigentlich keinen mit Haut und Haaren haftenden Produzenten mehr hat, welcher dem Markt entgegentrete, und drosselte zugleich die Intensität des permanenten Klageliedes von den US- Majors, ja schwor im Gegenteil auf Hollywood als die größte Kulturleistung, vergleichbar nur mit den Pyramiden, sprach von Maschinenprogrammen, mit denen die Amerikaner ihren Zuschauern sämtliche entsprechend gesteuerten Emotionen entlocken und damit Geld. Nur so führten sie die Technik zu wahrer Kunst.

In einer nächsten Runde ging es um die „Identifikation einer Kunst“, genauer: um die Identifikation von Film als Kunst. Jutta Brückner sprach von der Abtreibung einer ganzen Generation, die ihre Filme in keinem Gremium mehr landet, insbesondere Frauen sind die Betroffenen: Sander, Mikesch, Sanders-Brahms und sie selbst sind gezwungen, ihre Talente in Universitäten zu parken. Sie beschrieb groteske Odysseen entlang einer mit Fördertöpfen gepflasterten Via Appia zum echolosen Zirkelruhm. Reinhard Hauff benannte dagegen vor allem klimatische Störungen aufgrund der Beweisnot, Schuldige zu suchen für einen Ist-Zustand. Gleichzeitig würden noch zu viele nichtige Filme gemacht, die allesamt nicht sein müßten und so unfertig kaum in Produktion sollten, wären da nicht die Jahresfristen und Verfallsdaten öffentlicher Gelder. Vor allem dürfe man sich nicht länger dazu hinreißen lassen, jede kleine Idee zu einem großen Spielfilm zu verarbeiten und damit zur Verwaisung des Kinos beizutragen. Die Krise heute bestehe vor allem im Fehlen einer Aufbruchstimmung: „Wir hatten damals einen Gegner, wußten manchmal sogar, wofür wir einen Film machen wollten! Das ist verlorengegangen.“

Mit der Beschreibung der Stimmungs- und Lebenslage eines Filmautors untermauerte Peter Märthesheimer das Debakel des kräftezehrenden Gremiumsgerangels, schlimmer noch aber wiege die Anonymität: „Einen TV-Redakteur kann ich anrufen, er kann mir gut zureden oder klar nein sagen. Ein Gremium tagt demokratisch-anonym, scheinbar unbeeinflußt-geheim. Ein Fernsehsender kann mir den Sinn meiner Arbeit garantieren: Veröffentlichung und Bezahlung.“ Völlig mißachtet würde hierzulande auch das so notwendige Spiel um „try and error“, wo anderswo 90 Prozent der Drehbücher wissentlich auf Halde produziert werden, um ein herausragendes Zehntel zu „gewinnen“. Dem deutschen Film fehle zudem, so Laurens Straub, der Größenwahn von Herzog, Fassbinder, aber auch der vom Airbus-Vater Strauß, welcher sich ja auch Subventionen, und nicht unbedeutende, erfochten habe.

So richtig hilfreich gegen diese handfesten Gegebenheiten ist es dann nicht, wenn sich ein junger Filmemacher fast bockig hinstellt, von wegen: Nun laßt euch mal was einfallen, sonst wird es in Zukunft die „Christan-Wagner-Filme“ nicht mehr geben (bisher gab es, wenn ich nicht recht irre, erst einen: Wallers letzter Gang). Michael Kötz wiederum schlägt ein Intendantenmodell vor: Die Gremienförderung will er ersetzt wissen durch berufene „Filmintendanten“ in den Ländern (Wem fallen dafür 16 Namen ein? — Mir nicht!), die als Einzelleiter (wie das in der DDR hieß) alle Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Schutzzoll Filmförderung von der Idee bis zur organisierten Verbreitung öffentlich zu verantworten hätten. Garantiert kein Idealmodell: Es klingt nach Institutionalisierung und in der Konsequenz nach einem staatlichen Studio, wie es in Babelsberg jetzt notgeschlachtet wurde. Dagegen scheint für viele das Gremiendickicht gemütlicher, um das „Grundrecht aufs Filmemachen“ zu realisieren, ob das Ergebnis am Ende noch außer vor den Augen der Macher selbst bestehen muß oder nicht. Als ob die Freistellung vom Zwang der Wirtschaftlichkeit quasi verfassungsmäßig garantiert werden sollte...

So manches Gremiumsmitglied liest bis zu 18.000 Mark im Jahr beiseite, berichtete Renée Gundelach, auch um ein bißchen Mitleid aus dem Raum zu nehmen, als sie zusammen mit Hubert Ortkemper ihr Modell einer neuen Produktionsförderung beschrieb, das auf gezieltere Subventionierung hinausläuft. So richtig klar wurde das aber nicht — leider kam am Ende plötzlich eine Hurtigkeit auf, die der Nachdenklichkeit dieser interessanten und zum Glück nicht auf Ergebnisse programmierten Tagung eher Abbruch tat. Deren Verdienst es auch war, wenn schon nicht den deutschen Film, so doch die Diskussion um ihn am Leben zu halten. Dietmar Hochmuth