Nach einem Jahr Untätigkeit kam das Aus für 'Tribüne‘

Die Entscheidung über die Einstellung der Ex-FDGB-Zeitung 'Tribüne‘ fiel beim DGB/ Ausgeführt wird sie von alten Weggefährten des Harry Tisch  ■ Von Martin Kempe

Berlin (taz) — Anfang Dezember muß den Geschäftsführern des Ostberliner 'Tribüne‘-Verlages, den FDGB-Altgenossen Möller, Heinemann und Bensch, die Erkenntnis gekommen sein, daß die Zeitung des inzwischen in Auflösung befindlichen DDR-Gewerkschaftsbundes FDGB nicht mehr zu retten ist. Und so zitierten sie den seit einigen Monaten amtierenden Chefredakteur Michael Bolz in ihr Geschäftszimmer und eröffneten ihm, daß insgesamt 70 RedakteurInnen und MitarbeiterInnen der Zeitung und weitere 27 Beschäftigte aus anderen Bereichen des Verlagshauses am Teptower Park zum 31. März auf den Weg zum Arbeitsamt geschickt werden. Die blauen Briefe waren schon eingetütet und kamen als verspätetes Weihnachtsgeschenk des Verlages zwischen den Jahren bei den Betroffenen an.

Bolz schlug zunächst nur intern Alarm. Er weigerte sich, die Kündigungsschreiben an seine KollegInnen auszuteilen, und handelte sich dafür eine Abmahnung ein. Hilfesuchend wandte er sich an einige ihm bekannte Funktionäre aus dem Bereich Öffentlichkeitsarbeit der Westgewerkschaften, ohne allerdings etwas zu erreichen. Denn die Entscheidung, das ehemalige Hausblatt des großmächtigen FDGB-Bosses Harry Tisch dichtzumachen, wurde letztlich nicht von den Verlagsleitern am Teptower Park getroffen, sondern in Düsseldorf, in der für Wirtschaftsfragen zuständigen Abteilung des geschäftsführenden DGB-Bundesvorstandsmitgliedes Helmut Teitzel. Erst jetzt, nachdem die angekündigte Schließung der Zeitung bekannt wurde, spekulieren die Beschäftigten auch öffentlich über politische Verantwortlichkeiten.

Auch wenn der DGB auf strikte vermögensrechtliche und politische Distanz zum seit September 1990 in Liquidation befindlichen FDGB hält— unterderhand mischt er bei der Abwicklung des FDGB-Vermögens kräftig mit: Einer der beiden Geschäftsführer der Gewerkschaftlichen Vermögensverwertungsgesellschaft (GVVG), die das verbliebene FDGB-Vermögen verwaltet, ist ein DGB-Vertrauensmann namens Feichtinger, der andere ist Klaus Umlauf, ein altgedienter Spitzenfunktionär des in Liquidation befindlichen FDGB. Das Verlagshaus am Treptower Park, in dem neben der 'Tribüne‘ noch einige kleinere Zeitschriften und ein Buchverlag mit eher mäßigem Erfolg wirtschaften, ist im Besitz der GVVG. Für einen informierten Kenner der Szenerie in Düsseldorf und Ost-Berlin, der wie immer in solchen Fällen nicht genannt werden will, steht fest: „Die Geschäftsführer machen nichts ohne die GVVG, und die macht nichts ohne die Einwilligung von Teitzel.“

Möglichkeiten, die Zeitung zu retten, gäbe es nach Meinung der 'Tribüne‘-Redaktion durchaus. Zwar ist die Auflage im letzten Jahr von rund 400.000 auf nunmehr rund 100.000 (Januar) abgesackt. Aber ein Grund für die Einstellung ist dies nicht. Monatelang hatten Bolz und seine KollegInnen die Geschäftsführung mit Vorschlägen bombardiert, um Produktion, Vertrieb und Konzeption der altbackenen Zeitung zu modernisieren, Personal- und Sachkosten zu sparen und ein betriebswirtschaftlich tragfähiges Überlebenskonzept zu entwickeln. Aber ebensolange blieb die Antwort aus. Getan wurde nichts.

Kein Wunder, daß die Auflage immer weiter absackte. Denn Hauptbezieher der Zeitung waren immer noch die alten Betriebsgewerkschaftsleitungen (BGLs), die Kontingente bis zu 100 Zeitungen bestellten, um sie unentgeltlich an FDGB- Funktionäre in den Betrieben weiterzugeben. Mit der inzwischen vollzogenen Auflösung der BGLs und der Wahl von Betriebsräten brach natürlich auch der traditionelle Vertriebsweg für die Gewerkschaftszeitung zusammen. Anstrengungen, die bisherigen oder neue Leser zum Einzelkauf zu bewegen, gab es kaum.

Im letzten Halbjahr hat die 'Tribüne‘ immerhin trotz Auflagenschwund noch rund 3 Millionen Mark Gewinn erwirtschaftet, und Michael Bolz geht davon aus, daß die Zeitung auch bei einer Auflage unter 100.000 überlebensfähig ist, wenn sie nicht noch die anderen unrentablen Bereiche des Verlags mitschleppen muß und ein durchdachtes Überlebenskonzept erarbeitet wird. Aber durch die Schließungsankündigung, so Bolz, „wird doch jedes Sanierungskonzept von vornherein unterlaufen“. Einen Bedarf für eine Zeitung, die sich in besonderer Weise der sozialen Probleme der Bevölkerung in den neuen Bundesländern annimmt, sieht er auf Jahre hinaus. Und die politische Legitimation für die Ex-FDGB-Zeitung und ihre Redaktion, auch weiterhin als öffentliches Medium zu wirken, sei auch nicht geringer als bei allen anderen früheren DDR-Zeitungen, die inzwischen ganz oder teilweise von Westverlagen übernommen wurden. Westinteressenten für die 'Tribüne‘, so munkelt es, gebe es durchaus. Aber wer das ist, darüber wird in Berlin und Düsseldorf striktes Stillschweigen bewahrt. Ein Sondierungsversuch des DGB-Vorsitzenden Heinz- Werner Meyer beim Bertelsmann- Konzern in Gütersloh stieß auf Desinteresse. Der einzige Verlag, der bisher öffentlich genannt wurde, der Hamburger Bauer-Konzern, hat inzwischen dementiert.