Bielecki als Premier abgesegnet

■ Die neue polnische Regierung sieht sich im Zeichen der Kontinuität/ Walesas Wahlversprechen wird sie nicht einhalten können/ Scharfe Kritik am Projekt des präsidialen Beratungsrats

Erwartungsgemäß hat das polnische Parlament Jan Bielecki mit 276 Stimmen, bei 52 Enthaltungen und 58 Gegenstimmen, als neuen Ministerpräsidenten bestätigt. Der Premier gibt am heutigen Samstag seine Regierungserklärung ab, die Regierungsmannschaft wird nach Abschluß der Kandidaten-Anhörungen am Montag vorgestellt. Gegenstimmen kamen vor allem aus dem Lager der Bauernpartei, die dem Wissenschaftler und Ex-Unternehmer Bielecki vorwarf, keine Konzeption für die Lösung der Agrarkrise zu haben.

Wie lange die Regierung Bielecki amtieren wird, ist unklar. Zwischen den Jahren hatte Präsident Walesa die Alternative: Geschäftsführung der Regierung Mazowiecki bis zum Frühjahr und anschließend Parlamentswahlen oder eine neue Regierung und Beibehaltung des alten Parlaments bis zum Ende der Laufzeit zur Diskussion gestellt. Da diese Alternative in der Öffentlichkeit heftig kritisiert worden war — schließlich ist der Sejm nur zu einem Drittel demokratisch gewählt worden und Walesa war unter dem Schlachtruf der demokratischen Beschleunigung angetreten — ist es wahrscheinlich, daß sich Bielecki und die ihn stützende konservativ-liberale Koalition nun im Frühjahr zur Wahl stellen wird.

Die Regierung versteht sich als Fachleute-Kabinett mit dem ausdrücklichen Auftrag des Präsidenten, die ökonomischen Fragen in den Mittelpunkt der Arbeit zu stellen. Leszek Balcerowicz, der verantwortlich zeichnet für einen erfolgreichen Antiinflationskurs und die Konvertierbarkeit des Zloty, andererseits aber auch für eine Verschlechterung des Lebensstandards um 20 Prozent, wird im Kabinett eine Schlüsselstelllung einnehmen. Diese Entscheidung Walesas bedeutet einen Abschied von seinem Versprechen einer Beschleunigung der ökonomischen Reform. Ist doch unter Balcerowiczs Leitung die vielfach geforderte schnelle Privatisierung zwar mit einem riesigen Werbefeldzug aber mit geringen praktischen Schritten vor sich gegangen — und daran wird sich nichts ändern.

Kontinuität demonstriert Bielecki auch in der Außen- und Verteidigunspolitik, wo Skubiszewski und der mit dem Präsidenten befreundete Admiral und Verteidigungsminister Kolodzieczyk im Amt bleiben werden. Obwohl der Gdansker Aktivistenkreis um Walesa mit Ämtern reich gesegnet wurde, stehen auf der Kabinettsliste auch ausgesprochene Gegner Walesas. Dies ist vor allem beim designierten Sozialminister Boni und dem bisherigen Chef der Solidarność, Regien Mazowsze, der Fall. Boni fordert eine starke Einbeziehung der Betriebe und Gewerkschaftsorganisationen in den ökonomischen Umwandlungsprozeß und eine demokratische Diskussion ökonomischer Alternativen. Er gehört dem „linken“ Teil des Mazowiecki- Lagers an.

Regierungen werden unter Walesa kein leichtes Leben haben. Obwohl die verfassungsmäßigen Rechte des Präsidentenamtes noch nicht umrissen sind, hat Walesa während des Wahlkampfs versichert, daß er die Kabinette ohne viel Federlesens auswechseln werde. Was ursprünglich von der Präsidentschaft Jaruzelskis befürchtet wurde, der Ausbau von präsidialen Beraterstäben zu einer übergeordneten Diskussions- und Anweisungsinstanz, scheint jetzt unter Walesa Wirklichkeit zu werden. Sein Projekt eines dreistufigen Beratergremiums mit einer Vollversammlung, einem Leitungsgremium und einem ständigen Sekretariat riecht etwas nach der Trias ZK/Politbüro/Sekretariat unter dem Realsozialismus unseeligen Angedenkens. Der abgetretene General und seine ebenso diskrete wie zurückhaltende Amtsführung erscheinen vielen Kommentatoren in ausgesprochen mildem Licht. .Christian Semler