„Die spinnen echt, die Brema!“

■ Wie eine Berliner Lokalpatriotin mitten in die Bremer Eiswette geriet und sich ein Urteil bildete

Birgit M. aus Berlin hatte sich für dieses Wochenende etwas Besonderes vorgenommen. Sie wollte endlich einmal nach Bremen fahren, um sich vor Ort davon zu überzeugen, ob die Stadt wirklich so „nett“ sei, wie alle sagen. Als Berliner Lokalpatriotin hatte sie da erhebliche Zweifel. Doch bevor Bremen „endjültig abjehakt wird“, wollte sie wenigstens mal „kieken jeen“.

Den Samstag verbrachte die waschechte Berlinerin, auf ihre Herkunft legte sie ganz besonderen Wert, zwischen Rathaus, Schnoor und Bötcherstraße. Sie war mäßig beieindruckt. „Na ja, janz dufte wa“, lautete ihr fachfrauisches Urteil. Am nächsten Tag, so hatte sie sich vorgenommen, sollte die Weser begutachtet werden.

Birgit M. machte sich also gegen Mittag auf den Weg. Wind und Regen pfiffen ihr mit ziemlicher Wucht entgegen. „Echtet Scheißwetta“, fand sie und stämmte sich dagegen. Aber was war das? Am Ende des Sielwalls, dort wo er auf den Osterdeich trifft, wurde sie von einer wogenden Menschenmenge umringt. Kind und Kegel, ausstaffiert mit Gummistiefeln und Regenmänteln, strebten offensichtlich Richtung Weser. Hier kamen Birgit M. zum ersten Mal Bedenken. „Die sind ja nich' janz dicht hier in Bremen“, murmelte sie in ihren hochgeschlagenen Kragen. Da aber Berlinerinnen von Natur aus neugierig sind, beschloß sie sogleich, der eigenartigen Völkerwanderung auf den Grund zu gehen.

Unten am Wasser standen Mikrophone und Lautsprecherwagen. „Ach so“, dachte sie, „ne Demo!“ Das kannte sie ja von Berlin. „Hoffentlich jib's anständig Zoff mit de' Bullen“. Sie schaute sich suchend nach Plakaten und schwarzem Block um. Da ertönte plötzlich ein Tusch über Mikro. Ein älterer Herr in Schwarz trat gemächlich vor's Mikro. Direkt vor ihm im Rasenmatsch stand eine eiserne Waage.

Der, wie Birgit M. fand, reichlich unpraktisch gekleidete Mann im Zylinder, rief irgendetwas laut in die Menge. Trotzdem sie die Ohren spitzte und aufmerksam lauschte, verstand B.M. kein Wort. Mit fragenden Blicken wandte sie sich an ihren Nachbarn zur Linken. „Hier prüfen die Vorstandsmitglieder der Eiswette von 1826 ob die Weser 'geiht oder steiht–“, lautete die Erklärung. „Wat is' los?“ Birgit M. begriff immer noch nichts.

Einige Minuten später schritt eine ganze Mannschaft ehrwürdiger Herren mit Zylinder unter strömendem Regen und Marschmusik den Deich herunter. Trotz eisigem Wind lachten die meisten und winkten der Schirmmenge zu. „Die schecken det nich'“, bedauerte B.M. „die Irren“. Auch als zwei 'notarius publicus' gefolgt von den drei Königen aus dem Morgenland eintrafen und später wieder ein Trupp schwarzmelonter Männer den Hang hinunter sprintete, stand sie nur kopfschüttelnd da.

Der Clou der ganzen Geschichte sei der 99 Pfund wiegende grünberockte Schneider, klärte eine beleibte Dame die unwissende Berlinerin auf. Der müsse nämlich mit einem heißen Bügeleisen über die zugefrorene Weser, um zu prüfen, ob das Eis hält. „Aber die is' doch ja nich' zujefroren“, wandte Birgit M. ein. Das hier etwas nicht stimmte, hatte sie natürlich sofort kapiert. „Alte Tradition“, damit war das Thema für die Beleibte beendet.

Als dann die schwarzen Herren auch noch Steine in die Weser warfen und das grüne Schneiderlein auf einem Motorboot zum anderen Ufer fuhr, fand Birgit M., daß das Maß voll war. Ihre Füße waren inzwischen ganz taub vor Kälte, die Jacke durchnäßt und ihr kleiner roter Schirm zerfetzt. Als die Wochenendstippvisite beendet und die Berlinerin endlich wieder in ihrem geliebten Berlin eingetroffen war, stand ihr Urteil fest: „Die spinnen echt, die Brema!“ Birgit Ziegenhagen