„No more fucking, you understand?“

Aids gilt in Afrika noch weithin als „Krankheit des weißen Mannes“/ Die meisten Infektionen bleiben unerfaßt, Regierungen manipulieren Zahlen nach unten/ Für viele Schwarze Südafrikas ist die Empfehlung, Kondome zu benutzen, nur ein Trick der Weißen, um die schwarze Bevölkerung klein zu halten  ■ Aus Johannesburg Tim Murphy

Der Präsident nutzte eine Visite auf dem Lande, um Prognosen über die wachsende Zahl seiner Untertanen kräftig nach unten zu korrigieren. Uganda, erklärte Präsident Yoweri Museweni Ende letzten Jahres einem Bezirksrat, der 15 Kilometer nördlich der Hauptstadt Kampala tagte, Uganda werde im Jahr 2010 nur 20 Millionen Einwohner haben und nicht, wie bisher geschätzt, 37 Millionen. Sechs Millionen Kinder würden dann Waisen sein. Der Grund: Aids. Schon heute sind über eine Million Ugander infiziert. Die größte Blutbank des Landes weist 70 Prozent aller Spenden ab, weil sie mit dem Virus verseucht sind.

Uganda ist in den Statistiken der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit über 12.000 voll entwickelten Aids-Fällen afrikanischer Spitzenreiter, gefolgt von Zaire, Kenia, Malawi und Tansania. Von den acht bis zehn Millionen HIV-Positiven in aller Welt, schätzt die WHO, leben zwei Drittel in Afrika. Manche Städte im Zentrum des Kontinents haben Infektionsraten von 25 Prozent, abgelegene Dörfer werden von der Immunschwäche völlig entvölkert. Anders als in den Industriestaaten wird Aids in Afrika fast ausschließlich heterosexuell übertragen. Ärzte kämpfen gegen geballten Irrglauben und mit mangelnder Hygiene, allenthalben fehlt es an Personal, an Handschuhen und Einwegnadeln. Aufklärung ist im schwach versorgten Afrika schwer zu bewerkstelligen. Selbst städtische Afrikaner glauben häufig, Aids sei ein „Krankheit des weißen Mannes“, deren Gefahren maßlos übertrieben würden. Kräuterheiler verkünden in regelmäßigen Abständen, Schutz und Heilung gegen die Immunschwäche gefunden zu haben.

In etlichen Staaten gilt die Krankheit bereits als häufigste Todesursache. 500.000 infizierte Kinder werden nach WHO-Schätzung dieses Jahr in Afrika geboren. „Afrika ist mit einem Riesenproblem konfrontiert“, meint Michael Merson, Anti- Aids-Chef der WHO, „und der Höhepunkt ist noch längst nicht erreicht.“ Immer krasser wird Aids zu einer Krankheit der Entwicklungsländer, wo innerhalb der nächsten Dekade, so Merson, „vier Fünftel aller Infizierten leben werden“.

Auch von den staatlichen Behörden wird das Problem oft noch unterschätzt. Vom Krieg gebeutelte Staaten wie Mosambik, in denen die medizinische Infrastruktur seit Jahren weitgehend zusammengebrochen ist, haben scheinbar extrem niedrige Infektionszahlen und zwar deshalb, weil es keine Möglichkeiten gibt, die Krankheit zu diagnostizieren. Andere Nationen, wie das bevölkerungsreiche Nigeria, stehen unter dem Verdacht, die Infiziertenzahlen heftig nach unten zu manipulieren. In Afrika, vermutet die WHO, seien bis 90 Prozent aller Fälle nicht erfaßt. Im Nordosten Namibias etwa wurde kürzlich durch Zufall eine Gruppe HIV-Positiver entdeckt, deren Blutproben in der fernen Hauptstadt Windhoek irrtümlich auf Aids untersucht worden waren. Von den 20 untersuchten Proben waren 19 positiv gewesen.

Immer mehr Regierungen verlegen sich nun, nach Jahren der Ignoranz, aufs Handeln. Zimbabwes Präsident Robert Mugabe stuft das Problem neuerdings als extrem bedrohlich ein und startete eine „Aids-Woche“, nachdem sich herausgestellt hat, daß von den 9,5 Millionen Einwohnern Zimbabwes wohl 470.000 in den nächsten zehn Jahren an Aids sterben werden. Noch letztes Jahr glaubte Mugabes Regierung, daß es Aids in ihrem sozialistischen Musterland nicht geben dürfe und verbot Ärzten, ihren Patienten ein „Positiv“-Ergebnis mitzuteilen und Aids als Todesursache auf den Todesscheinen zu vermerken. Dabei hatte schon 1987 eine Untersuchung gezeigt, daß 70 Prozent der Prostituierten, die in den Bars an der Fernstraße von Zimbabwe nach Zambia arbeiten, den Erreger im Blut haben. In Harares Parirenyatwa Krankenhaus sind über 15 Prozent der neuen Blutspender HIV-positiv. Selbst Farmer verteilen mittlerweile kostenlos Kondome an ihre Arbeiter, weil sie sich darum sorgen, wer in ein paar Jahren ihre Ernte einfahren soll.

Die ökonomischen Folgen der Seuche sind in einigen Staaten schon deutlich spürbar; im Kupferbergbau von Zambia und Zaire sinkt bereits die Produktion, weil qualifiziertes Personal ausfällt. Studenten aus Uganda und Tansania wurde im Ausland bereits der Zugang zu den Universitäten verwehrt. Südafrika schickt Arbeiter aus dem armen Malawi, die zu Tausenden in den Minen arbeiten, wegen Aids nach Hause. Die südafrikanischen Versicherungsfirmen weigern sich seit einigen Monaten kategorisch, Lebensversicherungspolicen für Malawier auszustellen, weil sie den Bankrott fürchten.

In Südafrika selbst gab es im November 1990 offziell 2.400 HIV-Positive. Doch die WHO schätzt, daß im kommenden Jahr allein 450.000 Schwarze im Land infiziert sein werden. Getrennte Familien, riesige Slums, Männerwohnheime sind der ideale Nährboden für die Verbreitung der Immunschwäche. Eine Untersuchung des Johannesburger Stadtgesundheitsamtes, unlängst erstellt, geht von rund 100.000 Infizierten im ganzen Land aus, davon 10.000 im Gebiet Johannesburg/Soweto. Das Verhältnis von HIV-positiven Männern und Frauen, so der Untersuchungsbericht, betrage bei den Weißen 26 zu 1, bei den sogenannten „Coloureds“ 3 zu 1 und bei Schwarzen ungefähr 1 zu 1. Im Jahr 1985 richtete sich die Aufmerksamkeit zunächst auf einige weiße Homosexuelle, die HIV-positiv waren. Mittlerweile reden militante Burenkreise von einer „schwarzen Massenseuche“. Ultrarechte Gruppen wie die „Welt- Apartheid-Bewegung“ hoffen, daß von Aids alle Kader der schwarzen Befreiungsbewegungen „in den nächsten fünf Jahren ausgelöscht werden“.

Sämtliche derzeit vorhandenen Krankenhausbetten Südafrikas würden in sieben Jahren mit Aids-Patienten belegt sein, schätzt Professor Odendaal von der Universität Stellenbosch. Alle Mittel für Familienplanung, sagt Odendaal, sollten schleunigst in die Aids-Aufklärung umgelenkt werden. Die Familienplanung ist nach Ansicht des Gynäkologen schlichtweg obsolet geworden. Doch nur sehr langsam kommen Aufklärungsprojekte in Schwung. Selbst der ANC tut sich schwer den Genossen zu „safer sex“ zu raten.

Tatsächlich halten zahlreiche schwarze Südafrikaner die Propagierung von Kondomen nur für einen Trick der Regierung, um das Anwachsen der schwarzen Bevölkerung zu bremsen — und ihr das letzte Glücksgefühl zu rauben. Der 'Sowetan‘, auflagenstarke schwarze Tageszeitung, befand vor nicht allzu langer Zeit noch ganzseitig: „Kondome sind out. Johannesburger Frauen wollen Sperma statt Gummi.“ Dutzende von Frauen bekannten laut 'Sowetan‘, sie würden „ihren Freund fortjagen, wenn er mit so einem Ding ankäme“. Das absurdeste Statement, das die Zeitung zitierte: „Sperma hat Proteine, und die brauche ich.“

Auch wenn solche Ausfälle zum Teil auf die verschrobene Phantasie afrikanischer Vollmachos zurückzuführen sind, spiegeln sie doch eine weitverbreitete Haltung wider. Das Sexualleben in den Schwarzengettos Südafrikas, aber auch in vielen anderen Metropolen auf dem Kontinent ist äußerst promiskuös. Die meisten schwarzen Männer, klagen aufgeklärtere Frauen, betrachten ihr Geschlechtsteil noch immer als Mittelpunkt allen Geschehens und empfinden die Idee, das kostbare Stück mit einem Gummi zu überziehen, als zutiefst ehrabschneidend.

Eine aktuelle Studie aus Durban, erstellt an einer Spezialklinik für Geschlechtskrankheiten, zeigt, daß über zwei Drittel der 1.000 Befragten mehr als nur einen Sexualpartner haben. Jugendliche prahlten mit bis zu 80 Partnern pro Monat und bezeichneten es als „great fun“, auch als HIV-Positiver noch „herumzuvögeln“. 99 von 100 Befragten benutzen keine Kondome.

Selbst die Aufklärung von Infizierten läßt deutlich zu wünschen übrig. Typisch ist, daß der gestreßte weiße Doktor dem schwarzen Patienten mit einem „Positiv“-Ergebnis nur schnell verkündet: „You have Aids, no more fucking, you understand?“ — Ende der Beratung. Dabei ist nicht nur fraglich, ob der Angesprochene überhaupt Englisch versteht.