Stiefkinder des Behindertensports

■ Die Elektro-Rollstuhlfahrer wollen ihre eigene Hockeyliga mit regulärem Spielbetrieb aufbauen Ihre Vorreiter sind die Spieler der „Munich Animals“, die voriges Jahr Europameister wurden

München (taz) — Das Trainingsspiel ist voll im Gange: Eine schöne Ballstafette, ein öffnender Querpaß, ein durchdachter Spielzug — gleich zweimal muß Torwart Ferdinand Schießl den Ball parieren. Die kleine, gelochte Plastikkugel hat der 33jährige Münchner weder mit seinen Händen noch mit seinen Füßen abgewehrt. Den Einschußwinkel verkürzte Schießl einzig und allein mit dem Rangieren seines Elektro- Rollstuhles. Insgesamt acht E-Rollstuhlfahrer flitzen mit ihrem zehn km/h schnellen Untersatz durch die Sporthalle im Münchner Norden — eine Hand am Steuerknüppel, die andere umschließt einen leichtgewichtigen Plastikschläger. Was die Mitglieder der „Munich-Animals“- Gruppe auf dem Parkett zeigen, beeindruckt selbst im Training.

Immerhin gewannen die Bayern 1989 für die Bundesrepublik den Europameistertitel. „Diese Lorbeeren haben uns wenig genutzt“, sagt Ferdinand Schießl, zugleich Fachwart für Rollstuhlhockey im Deutschen Rollstuhl-Sportverband (DRS), „unsere Sportart ist kaum bekannt.“ Gerade zehn Jahre ist dieses aus den Niederlanden importierte Ballspiel hierzulande bekannt. Gespielt wird es überwiegend an Schulen für Schwerstbehinderte. Der Schulabschluß bedeutet für die meisten auch das Ende ihres sportlichen Engagements, denn unbestritten gehören die E-Rollstuhlfahrer zu den Stiefkindern im Behindertensport. Den Schwerstbehinderten, die zum großen Teil an Muskelschwund leiden und deshalb auf den Stuhl angewiesen sind, wurde keine sportliche Betätigung zugetraut. „Zwar gibt es noch Rollstuhlball und -prellball für uns“, erklärt Ossi Utz, erfolgreicher Stürmer der Münchner, „aber erst im Hockey haben wir eine Sportart gefunden, mit der die Schwerstbehinderten ihren eigenen Sport ausüben können.“ Ungern erinnert er sich an Zeiten, als er bei den Rollstuhlbasketballern noch als „Blocker“ mitmischte und das Spiel wegen der Trägheit seines E-Stuhls an ihm vorbeirauschte.

Nun planen die „Munich Animals“ Großes: Sie bereiten den Aufbau einer eigenen Amateurliga vor. Für Fachwart Schießl ist das der folgerichtige Schritt, nachdem die Teilnehmerzahl bei Turnieren in den letzten Jahren ständig wuchs. Im Frühsommer dieses Jahres reisten immerhin zehn Mannschaften in die bayerische Landeshauptstadt zum Turnier um die „Isar-Trophy“.

Doch die Ligagründung ist mit mehreren Schwierigkeiten verbunden: „Wir wissen bis heute noch nicht, wie viele Mannschaften es bei uns gibt“, sagt Schießl. Ein Rundschreiben an alle Behindertenzentren und alle schon bekannten E-Rollstuhlhockeyspieler soll diese Frage bis Februar 1991 klären.

Eine Liga wird die Initiatoren auch vor enorme organisatorische und logistische Probleme stellen, angefangen vom Transport der 60 bis 70 Kilogramm schweren Stühle bis zur Unterbringung: „Unsere Spiele können wir nur in Wochenendturnieren austragen. Da fallen automatisch Hotelübernachtungen an“, weiß Fachwart Schießl. Und da nur die besseren (und damit teureren) Häuser rollstuhlgerecht eingerichtet sind, werden bei einem Spieltag leicht Kosten in Höhe von 10.000 D-Mark und mehr anfallen.

Um bei der Finanzierung des ehrgeizigen Vorhabens unabhängiger zu werden, wurde ein eigener Förderkreis für den Elektro-Rollstuhlsport gegründet. Unterstützung fanden die „Munich Animals“ bei ihren Turnieren bisher immer auch bei Sponsoren aus der Rollstuhlbranche und einer Versicherung. „Sicherlich wird die Ligagründung kein Zuckerschlecken werden“, resümiert Ferdinand Schießl, „aber das Projekt ist eine große Chance, den E-Rollstuhlsport voran zu bringen.“

Unterstützung verspricht sich Schießl auch vom Deutschen Hockey-Bund (DHB). Um auf ihre Sportart vor einem größeren Publikum aufmerksam zu machen hoffen die E-Rollstuhlfahrer auf ein Demonstrationsspiel im Rahmen eines offiziellen Länderspiels.

Vorbild für die „Munich Animals“ sind die Niederlande, wo es mittlerweile einen dreiklassigen Ligabetrieb für Rollstuhlhockey gibt. „In Holland sind zwar die Entfernungen kleiner“, meint Ossi Utz, „aber entscheiden ist, daß dort der Ligabetrieb klappt. Das ist auch unser Ziel.“ Ralf Köpke